Die gesetzliche Impfpflicht ist zweifellos ein Eingriff in das Grundrecht auf Privatleben und körperliche Integrität – und zwar auch dann, wenn kein physischer Zwang ausgeübt wird, sondern "nur" Geldstrafen drohen.

Foto: APA / Zeitungsfoto.at / Daniel Liebl

Die Impfpflicht wirft philosophische, medizinische und ethische Fragen auf, ist vor allem aber eines: die juristisch umstrittenste Regelung der vergangenen Jahrzehnte. Früher oder später wird der Verfassungsgerichtshof das Gesetz prüfen, das ist praktisch sicher. Aber was spricht aus rechtlicher Sicht gegen die Impfpflicht? DER STANDARD fasst die wichtigsten Argumente zusammen – und legt sie auf die Waagschale.

"Eingriff in Grundrechte"

Die gesetzliche Impfpflicht ist zweifellos ein Eingriff in das Grundrecht auf Privatleben und körperliche Integrität – und zwar auch dann, wenn kein physischer Zwang ausgeübt wird, sondern "nur" Geldstrafen drohen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erst kürzlich in einem Verfahren über die Impfpflicht in Tschechien bestätigt.

Gleichzeitig haben die Straßburger Richter aber klargestellt, dass eine Impfpflicht gerechtfertigt sein kann, um die Allgemeinheit vor Ansteckungen und schweren Erkrankungen zu schützen. Die tschechische Regelung, die Impfungen gegen neun Kinderkrankheiten vorschreibt, ist daher mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar.

"Nicht verhältnismäßig"

Eingriffe in Menschenrechte sind erlaubt, müssen aber verhältnismäßig sein. Dabei stellen sich schwierige Abwägungsfragen. Darf man in die körperliche Integrität Einzelner eingreifen, um die Allgemeinheit zu schützen? Der EGMR ist bei seiner Entscheidung zur Impfpflicht in Tschechien zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen: Der Schutz der Allgemeinheit vor schweren Erkrankungen ist höher zu werten als der Eingriff durch eine Impfung, die sehr sicher ist.

DER STANDARD

In der Pandemie kommen noch weitere Argumente dazu: Die Impfung verhindert eine Überlastung des Gesundheitssystems und schützt damit auch jene, die normalerweise nicht schwer an Covid-19 erkranken. Eine hohe Impfquote würde zudem weitere Lockdowns und damit verbundene Freiheitseinschränkungen verhindern.

"Nicht notwendig"

Eingriffe in Menschenrechte müssen notwendig sein, um das Ziel zu erreichen. Das wäre nur dann der Fall, wenn andere, gelindere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung nicht ausreichen. Der Verfassungsgerichtshof wird sich also mit der Frage beschäftigen, ob es andere Wege gegeben hätte, die Impfquote zu erhöhen. Die Regierung argumentiert damit, dass es trotz Impfkampagne nicht möglich war, die Menschen zu überzeugen.

Abseits der Impfung gibt es zwar auch andere Wege, die Bevölkerung zu schützen, Lockdowns sind aber ihrerseits mit starken Grundrechtseingriffen verbunden. Impfungen könnten im Vergleich zu einem monatelangen Lockdown daher das gelindere Mittel sein.

Denkbar wäre auch, dass Medikamente auf den Markt kommen, die die Impfung überflüssig machen. Das kann zum jetzigen Zeitpunkt aber ausgeschlossen werden: Zwar hat der Pharmakonzern Pfizer angekündigt, ein Präparat auf den Markt zu bringen, bis dahin dürfte es aber noch dauern. Bislang ist auch nicht geklärt, wie gut das Medikament schützt und welche Nebenwirkungen damit verbunden sind.

"Kein Schutz vor Varianten"

Eingriffe in Menschenrechte müssen geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen. Zuletzt stellte sich deshalb die Frage, ob die Impfung gegen Omikron überhaupt hilft. Wäre die Wirksamkeit stark beeinträchtigt und die Impfung nicht geeignet, Ansteckungen und schwere Erkrankungen zu verhindern, wäre die Pflicht unzulässig.

Helfen würde ein angepasster Impfstoff. Das Gesetz könnte dann per Verordnung des Gesundheitsministers erweitert werden – übrigens auch ein Punkt, der mitunter kritisiert wird. Bis ein neuer Impfstoff am Markt ist, wird es jedenfalls dauern. Die neue Welle erreicht uns wohl schon früher. Nach aktuellem Stand dürfte aber zumindest die Auffrischungsimpfung die Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung auch bei Omikron stark reduzieren.

"Zu hohe Strafen"

Die Impfung darf laut Gesetz nicht mit körperlichem Zwang durchgesetzt werden. Alles andere wäre wohl verfassungswidrig. Bei der Frage, ob die Impfpflicht verhältnismäßig ist, spielt aber nicht zuletzt auch die Höhe der Geldstrafen eine entscheidende Rolle.

Pavel Vavřička, der die tschechische Impfpflicht vor den EGMR brachte, musste eine Verwaltungsstrafe von umgerechnet 140 Euro bezahlen. Im Vergleich dazu sind die in Österreich geplanten Strafen von bis zu 3600 Euro deutlich höher.

Problematisch könnte auch das sogenannte Doppelbestrafungsverbot sein. Menschen dürfen für dieselbe Straftat nicht mehrfach bestraft werden. Im Gesetz ist nun aber vorgesehen, dass Impfverweigerer alle drei Monate neu belangt werden können.

Laut Verfassungsrechtler Karl Stöger von der Uni Wien werde man sich "genau anschauen müssen", ob diese Automatik den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht oder ob man im Gesetzesentwurf nachbessern muss. Sein Kollege Christoph Bezemek von der Uni Graz sieht das weniger problematisch: Ein Verstoß gegen die Impfpflicht sei ein Dauerdelikt, das öfter bestraft werden kann. (Jakob Pflügl, 18.12.2021)