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Gabriel Boric (links) und José Antonio Kast (rechts) hoffen auf den Sieg.

Foto: Elvis Gonzalez /Pool via REUTERS

Es wird wohl ein knappes Rennen bei der Präsidentenstichwahl in Chile. In einem Land, das lange für politische Mäßigung und Wirtschaftsliberalismus bekannt war, könnten die Kandidaten gegensätzlicher nicht sein.

Da ist zum einen José Antonio Kast, ein erzkonservativer 55-jähriger Anwalt und neunfacher Vater, Sohn eines Nazis und Verehrer des Ex-Diktators Augusto Pinochet. Und zum anderen Gabriel Boric, ein 35-jähriger, tätowierter ehemaliger linker Studentenführer, der das neoliberale Modell Pinochets begraben und Abtreibung legalisieren will.

In der ersten Runde lag Kast leicht vorn. Umfragen geben nun Boric einen knappen Vorsprung. Beide sind neue Gesichter, die das über lange Jahre verkrustete politische Establishment aufmischen. Der Ausgang der Wahl ist von strategischer Bedeutung, denn der Sieger wird die neue Verfassung umsetzen müssen, die der Verfassungskonvent derzeit ausarbeitet.

Polarisierung

Die Kampagne war geprägt von Polarisierung. So versprach Kast den Bau eines Grenzgrabens gegen Migranten und verkündete eine harte Hand gegen Kriminelle und Vandalen. Boric will die private Krankenfürsorge verstaatlichen, Subventionen für die Hausarbeit und Steuern für Superreiche einführen.

Trotz dieser konträren Positionen ist die Stimmung in Chile gelassen. Bei einer Straßenumfrage des TV-Senders FNM in Santiago dieser Tage siegten die Nichtwähler und die Unentschlossenen vor denjenigen, die sich schon für einen Kandidaten entschieden hatten. Für Anspannung sorgte am Donnerstag dann aber der Tod von Lucía Hiriart, der 98-jährigen Witwe Pinochets, den dessen Gegner ausgelassen feierten.

Sie sonst ruhige Stimmung liegt vielleicht auch daran, dass beide gemäßigtere Töne angeschlagen haben. So nahm Kast Abstand von seiner Ankündigung, das Frauenministerium abzuschaffen und aus dem UN-Menschenrechtsrat auszutreten. Boric mäßigte derweil seinen Steuererhöhungsplan.

In der Mitte ankommen

Beide zielen damit auf die Mitte und auf die Nichtwähler und die Unentschlossenen. Das bietet sich schon aus pragmatischen Gründen an: Boric und Kast wären im Parlament auf Allianzen angewiesen – und hätten so eine komplizierte Aufgabe. Im Abgeordnetenhaus gibt es eine linke Mehrheit, der Senat ist konservativ dominiert. "Die Chilenen wollen einen Systemwandel, aber einen geordneten", meint Cristián Leporati von der Universität Diego Portales. (Sandra Weiss, 19.12.2021)