Spielt man Filme oder Serien schneller ab, kann das Gehirn mehr aufnehmen. Die Technik sollte man jedoch nicht zu oft anwenden.

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"Speedwatcher" findet man in erster Linie nicht an der Uni, sondern auf Streamingportalen wie Netflix und Co. Dort schauen sie sich ihre Lieblingsserien nicht in normaler Geschwindigkeit an, sondern etwa mit Faktor 1,2, also 20 Prozent schneller als normal, und nach einer gewissen Eingewöhnungszeit steigern sich manche bis auf Faktor zwei. So verschaffen sie sich etwa einen schnellen Überblick über verpasste Serienfolgen, um wieder mitreden zu können.

Auch Lernende könnten von dieser Technik profitieren, wenn sie Lernvideos von der Uni oder der Schule etwas schneller abspielen. Nicht nur, dass sich dadurch in der gleichen Zeit mehr Lernmaterial sichten lässt. Studien liefern zudem Hinweise darauf, dass es auch den Lernerfolg verbessern könnte.

Schon 2001 berichtet Joel D. Galbraith vom Center for Instructional Design an der Brigham Young University Provo, Utah, von seinen Versuchen mit Studenten. Sie spielten versuchsweise Lernvideos der Uni schneller ab, die meisten kamen dabei gut mit dem Faktor 1,5 zurecht. Das Wortfeuerwerk offenbarte eine positive Nebenwirkung: Durch das beschleunigte Abspielen schien der Lerneffekt bei den Studenten größer zu sein. Galbraith vermutet, dass sich der Zuhörer stärker konzentrieren muss und so mehr Leistung vom Gehirn abfordert.

Schnellerer Konsum – bessere Noten

2020 lies ein Team um David Lang von der kalifornischen Stanford University seine Studenten Videos mit dem Faktor 1 oder 1,25 abspielen und stellte fest: Wer schneller konsumierte, hatte tendenziell bessere Noten in seinen Fächern, schaute sich mehr an als die anderen und sicherte sich mehr Diplome.

Tatsächlich scheint sich der schnellere Wort- und Bildlauf positiv auf das Lernen auszuwirken. "Das Gehirn belohnt Anstrengung mit besserer Merkleistung", sagt der Neurobiologe und Hirnforscher Martin Korte, der sich an der Technischen Universität Braunschweig intensiv mit Fragen rund ums Thema Lernen beschäftigt. Der Grund: Ist eine Aufgabe besonders anspruchsvoll, wird Dopamin ausgeschüttet, was die Aufmerksamkeit und auch den Lerneffekt erhöht.

Für Korte könne daher schnelleres Abspielen beim Lernen durchaus ein gutes Instrument sein – sofern der Lernende sein Lerntempo anpasse. "Wie viel schneller der Lernende tatsächlich den Stoff abspielen und ihm dabei noch folgen kann, hängt im Wesentlichen von der Informationsdichte des Materials und dem Vorwissen des Zuhörers ab", sagt Martin Korte. Wenn der Professor in der Online-Vorlesung ohnehin schon schnell spricht, erschwert ein noch schnelleres Abspielen eher das Verständnis. Auch bei neuen, komplexen Themen hat das Gehirn Schwierigkeiten, dem zu folgen. Dann bleibt der Benefit aus, denn es führt dazu, dass man öfter nochmal zurückspulen und Passagen erneut anhören muss. "Das nervt und stresst", sagt Korte. Und Stress ist kontraproduktiv, es stört beim Lernen, man wird unaufmerksam, lässt sich ablenken.

Keine pauschale Empfehlung

"Ich würde daher nicht jedem Studenten pauschal empfehlen, Vorlesungen grundsätzlich schneller abzuspielen." Das passende Abspieltempo müsse jeder für sich selbst herausfinden. Korte selbst hört Hörbücher in deutscher Sprache mit Faktor 1,2, Hörbücher auf Englisch dagegen in normaler Geschwindigkeit. "Wenn ich aber nach einem deutschen Hörbuch vergesse, die Abspielgeschwindigkeit zurückzustellen, merke ich beim Anhören eines englischen Hörbuches recht bald, dass mein Stressfaktor nach einer Weile ansteigt." Da Englisch für ihn eine Fremdsprache ist, braucht sein Gehirn einfach mehr Zeit, um das Gehörte zu verstehen.

Auch sollte man es mit dem schnellen Abspielen nicht übertreiben. Stundenlanges Schauen und Lernen in hoher Abspielgeschwindigkeit bedeutet Stress für das Gehirn. Und zwar umso mehr, je komplexer das Thema ist. Wer dann auch noch in der Freizeit Serien und Filme meist schneller abspielt, kann dann quasi selbst überdrehen. "Wer das sehr häufig tut, muss damit rechnen, dass sein Aggressionspotenzial durch die unbewusste ständige Überforderung des Gehirns steigt."

Langfristig können auch Schlafrhythmus- und -qualität gestört werden, Kopfschmerzen treten häufiger auf. "Auch entwickelt sich eine Diskrepanz, denn die reale Welt läuft nun mal langsamer ab als ein mit Faktor 1,5 abgespielter Film", sagt Korte. Betroffene entwickeln dadurch schneller Langeweile, sind ungeduldiger und entwickeln einen Druck, möglichst bald wieder in ihre schnellere Serienwelt zurückzukehren. Korte empfiehlt: "Einfach auch mal einen Film wieder in normaler Geschwindigkeit genießen, dabei kann das Gehirn entspannen und abschalten."

Die Entdeckung der Langsamkeit

Doch nicht nur schnelleres Abspielen macht die digitale Technik möglich, genauso lassen sich zum Beispiel Filme oder Hörbücher auch verlangsamen: "Ältere Gehirne sind nun mal langsamer getaktet." Viele Ältere oder Menschen mit Handicap verstünden langsam Gesprochenes besser und könnten so den Nachrichten aus den Mediatheken oder Spielfilmen besser folgen – zumal dadurch auch Untertitel länger eingeblendet bleiben. Gerade wenn Formulierungen anspruchsvoll sind, wie bei Nachrichten oder Filmen, kann ein etwas langsameres Abspielen auf Faktor 0,9 oder 0,8 daher durchaus die Verständlichkeit erhöhen. Viel langsamer sollte man es allerdings nicht einstellen, denn dann könnte es sein, dass die Sprache unnatürlich verzerrt wird.

Aber auch Jüngere profitieren vom langsameren Abspielen, wenn sie auf Youtube eine Anleitung ansehen möchten, um beispielsweise ein Lied auf dem Klavier oder der Gitarre nachzuspielen oder ihre Fremdsprachenkenntnisse durch Filme mit original Tonspur verbessern wollen.

Noch gehört eine variable Abspielgeschwindigkeit nicht in allen Medienplayern und Apps zum Standard. Während Youtube, Netflix und die Mediatheken von ARD und ZDF diese Funktion im PC-Browser und in ihrer Smartphone-App vorsehen, bieten Amazon Prime Video, Disney+ und Apple TV+ sowie die ORF-Mediathek TVthek das nicht von sich aus. Bei ihnen lässt sich die fehlende Funktion aber zumindest im Browser mit der kostenlosen Erweiterung "Video Speed Controller" nachrüsten.

Der Hörbuchanbieter Audible lässt seine Hörbücher im PC-Browser und in der App schneller oder langsamer abspielen, auch die meisten Podcast-Apps bieten variable Abspielmöglichkeiten. Die beliebten Streamingplattformen Deezer und Spotify sehen das noch nicht vor. Für Spotify-Abonnenten gibt es aber zumindest mit der App Eary eine mobile Drittlösung. (Andreas Grote, 18. Dezember 2021)