"Niemand haftet" – Ärzte impfen ihn nicht, aber schreiben kein Attest

Foto: Panther Media / Marcus Strobl

Stefan Berger (Name geändert) ist kein Impfgegner. Er hat sich bisher in seinem Leben gegen alles Mögliche impfen lassen: "Tetanus, Typhus, Hepatitis, Zecken", beginnt er aufzuzählen. "Aber immer in Abstimmung mit meinen behandelnden Ärzten." Und das ist diesmal anders: Mehrere Ärzte haben dem Mittvierziger nämlich abgeraten, sich gegen Corona impfen zu lassen. Attestieren will ihm das aber keiner.

Selbst Impfärzte im Austria Center Vienna und auf dem Rathausplatz – an beiden Stellen hatte Berger schon den Ärmel aufgekrempelt – nahmen aufgrund seiner Krankengeschichte davon Abstand, ihn zu impfen. Doch seine komplizierte Situation findet sich nicht auf der Seite des Gesundheitsministeriums, wo die Gründe aufgelistet sind, die Bürgerinnen und Bürger von der Impfpflicht entbinden.

Schmerzvolle Kindheit

Schon als Kind in Deutschland hatte der Wahlwiener Berger polyarthritische Schübe. "Eine Zeitlang waren meine Gelenke so entzündet, dass ich nicht laufen und meine Hände nicht bewegen konnte. Ich konnte deshalb zwei Jahre nicht zur Schule gehen", erinnert er sich im Gespräch mit dem STANDARD. Durch starke Medikamente und eine strenge Diät ist Berger nun seit 15 Jahren schmerzfrei.

Doch diese Balance, so glauben auch seine Ärzte, könne leicht wieder in Schieflage gebracht werden. Im Fachjargon ist Berger HLA-B27 positiv, ein Faktor bei Morbus Bechterew, bei dem das Immunsystem ständig aktiv ist. Weiters hat Berger Blutgerinnungsprobleme und regelmäßig Gehörstürze und Tinnitus, die mit einer noch ungeklärten Problematik zusammenhängen könnten.

Sein Problem sei, dass ein Teil der Bechterew-Experten argumentiere, "gerade deshalb solle man sich impfen lassen, die anderen sagen: Auf keinen Fall!" Und gerade in Kombination mit seinen anderen Gebrechen mit unklarem Ursprung halten Mediziner die Impfung bei ihm für ein Risiko.

Überschießende Reaktion

Sein Vater und sein Onkel leiden genetisch bedingt an ähnlichen Symptomen wie Berger. Sie sind beide über 70 und glaubten den Befürwortern der Impfung: "Beide haben binnen eines Monats nach der Impfung Probleme bekommen, streiten aber ab, dass es mit der Impfung zu tun hat. Mein Vater hat neurologische Probleme, mein Onkel bildet nicht mehr genügend Blutkörperchen und braucht jetzt regelmäßig Blutkonserven."

Berger habe "vollstes Verständnis, dass die Impfung eine gute PR braucht, damit sich möglichst viele Menschen impfen lassen. Aber Scheuklappen sind gefährlich und verunsichern." Ärzte wollten in strittigen Fällen oft kein Attest schreiben, um nicht in Verruf als Impfgegner zu kommen.

Doch Autoimmunerkrankungen seien ja nicht nur immunsupprimierte Fälle, es gebe auch viele, bei denen das Immunsystem – wie bei Berger – überschießend reagiere. Er hoffe auf eine für ihn sichere Impfung. In Deutschland hat er einen Arzt gefunden, der ihm ein Attest schreibt.

Die Demos samt rechtsradikaler Beteiligung und Verschwörungsmythen lehnt er zutiefst ab. Er bestehe auch nicht darauf, "als Ungeimpfter überall teilnehmen zu dürfen, ich will mich ja selbst nicht gefährden! Aber wenn ich in einem Schanigarten Kaffee trinke, bin ich nicht gefährdeter als auf der Gasse beim Spaziergang." Seine Angst bleibt: "Mir würde bei einer Reaktivierung des rheumatischen Entzündungsgeschehens die Arbeitsunfähigkeit drohen, und ich bin der Alleinverdiener in meiner Familie. Ein verschärfendes Problem, für das niemand die Haftung übernimmt." (Colette M. Schmidt)


"Immer ging alles schief" – Witwe und vierfache Mutter fürchtet Nebenwirkungen

Foto: Panther Media / Marcus Strobl

Silvia Hemetek (Namen geändert) hat viel zu schultern. Vier Kinder, darunter zwei Söhne um die 20, eine Elfjährige sowie die 13-jährige schwerbehinderte Annika, muss sie versorgen. Ihr großes, am Fuße der Berge in Niederösterreich gelegenes Haus müsste fertigrenoviert werden. Ihr langjähriger Lebensgefährte und Vater der Kinder ist vor drei Jahren plötzlich an einem Hirninfarkt gestorben.

Auch sie selbst ist krank. Vor einigen Jahren wurde bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert.

Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, die in Schüben verläuft. In Silvia Hemeteks Gehirn und Rückenmark entstehen immer wieder chronische Entzündungen. Schwer behindernde Symptome hat die knapp 50-Jährige zum Glück bis dato nicht. Um Verschlechterungen zu verhindern, nimmt sie ein immunsupprimierendes Medikament. Das hat einen Preis: Ihr Immunsystem wird gehemmt.

"Auf keinen Fall"

Aus diesem Grund ist die ausgebildete Lehrerin sicher: Würde sie gegen Corona geimpft, so würde sie keine oder nur sehr wenige Antikörper entwickeln. "Wozu soll ich mich also impfen lassen? In der Hoffnung, dass mein Immunsystem im Hintergrund T-Helferzellen produziert?", fragt sie. Und beantwortet die Frage gleich selbst: "Nein, auf keinen Fall!"

Diese strikte Impfablehnung beinhaltet aber noch mehr. Sie ist auch das Ergebnis einer Reihe negativer, ja katastrophaler Erfahrungen mit Ärztinnen und Ärzten, ihren Diagnosen und Behandlungen. Etwa jener mit Tochter Annika, die mit einem leichten Downsyndrom und einem Herzfehler auf die Welt kam.

Dreimal wurde sie deshalb operiert, "immer ging alles schief": Herzstillstand, Sauerstoffmangel, Hirnschaden. Nun hat Annika einen Herzschrittmacher und ist stark pflegebedürftig. Jeden Werktag wird sie von ihrer Mutter in die 30 Kilometer entfernte Kreisstadt zur Schule gefahren – und wieder abgeholt. Nähere passende Lernangebote gibt es nicht.

Und da ist die Krankengeschichte des verstorbenen Lebensgefährten. Vier Tage nachdem ihn Ärzte wegen harmlos erscheinender Beschwerden untersucht und für gesund erklärt hatten, brach er mit einer Hirnblutung zusammen und starb, schildert Hemetek – und mutmaßt: "Wer weiß, vielleicht haben seine Kinder eine ähnliche Anfälligkeit geerbt?"

Das, sagt Hemetek, spreche gegen die Corona-Impfung für die Kinder. Immerhin gelten Thrombosen als mögliche Nebenwirkung der Impfstoffe. Auch der Einwand, dass diese extrem selten sind, mildert ihre Vorbehalte nicht: "Wenn es heißt, dies oder jenes geschieht nur in einem von ganz vielen Fällen, so trifft es sicher mich. Für seltene Nebenwirkungen habe ich ein Talent." (Irene Brickner, 18.12.2021)