Bild nicht mehr verfügbar.

Nach der umstrittenen Wahlreform werden nur noch 20 der 90 Sitze im Parlament direkt gewählt.

Foto: REUTERS/Tyrone Siu

Hongkong – Bei der umstrittenen Parlamentswahl in Hongkong ist die Beteiligung auf ein Rekordtief gefallen: Lediglich 30 Prozent der registrierten Wähler gaben ihre Stimme ab. Dies ist die niedrigste Wahlbeteiligung, seit in Hongkong vor drei Jahrzehnten erstmals ein Parlament gewählt wurde. Gegen fünf Demokratieaktivisten wurden Haftbefehle wegen Aufrufs zum Wahlboykott erlassen.

Die Wahl fand erstmals auf der Grundlage eines umstrittenen neuen Wahlgesetzes statt, das die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten drastisch verringert und die Zahl der Peking-treuen Repräsentanten vervielfacht. Zudem wurden vor der Abstimmung alle Kandidaten auf ihren "Patriotismus" und ihre politische Loyalität gegenüber Peking hin überprüft.

Opposition ausgeschlossen, Haftbefehle gegen Aktivisten

Die größten prodemokratischen Parteien der Stadt hatten keine Kandidaten aufgestellt. Dutzende prominente Oppositionelle – darunter viele, die bei der letzten Wahl Sitze im Parlament gewonnen hatten – wurden wegen Verstößen gegen das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz inhaftiert, von der Wahl ausgeschlossen oder flohen ins Ausland. Die Behörden erließen zudem Haftbefehle gegen Aktivisten im Exil, die zum Boykott der Wahlen oder zur Abgabe ungültiger Stimmzettel aufgerufen hatten.

Seit der Einführung des umstrittenen Sicherheitsgesetzes durch Peking im vergangenen Jahr gehen die Behörden in Hongkong hart gegen alle Aktivitäten vor, die nach ihrer Auffassung die nationale Sicherheit Chinas bedrohen. Die Behörden nahmen seither hunderte Demokratieaktivisten fest.

Zahlreiche Aktivisten sind seither aus Hongkong geflohen. Über Online-Netzwerke üben sie vom Exil aus weiterhin großen Einfluss auf die Demokratiebewegung aus, während viele Aktivisten in Hongkong strafrechtlich verfolgt werden.

Boykottaufrufe sind aufgrund neuer Gesetze strafbar

Die Behörden beschuldigten am Samstag unter anderem den in Großbritannien lebenden Nathan Law, während einer Videokonferenz die Wahlberechtigten in der chinesischen Sonderverwaltungszone zum Zuhausebleiben aufgefordert zu haben.

Laut den von Peking in diesem Jahr massiv verschärften Gesetzen für Hongkong ist es strafbar, andere zu einem Boykott oder zur Abgabe ungültiger Stimmzettel anzustiften. Die nun erlassenen Haftbefehle betreffen auch Sunny Cheung, Timothy Lee, Carmen Lau und Kawai Lee, die alle Hongkong verlassen haben. Ihnen drohen bis zu drei Jahre Haft.

Die Gruppe veranstaltete am Donnerstag einen Livestream, in dem sie angeblich die Hongkonger aufforderten, zu Hause zu bleiben. Die Behörden beriefen sich auch auf Online-Inhalte von Cheung, der derzeit in den USA Asyl beantragt.

Mehrheit im Parlament steht nicht zur Wahl

Die chinesischen Behörden hatten im März trotz massiver internationaler Proteste eine radikale Wahlrechtsänderung beschlossen. Damit wird das Hongkonger Parlament von bisher 70 auf 90 Sitze vergrößert. Nur noch 20 statt wie bisher 35 von ihnen werden durch direkte Wahl besetzt. Während Aufrufe zum Wahlboykott verboten sind, ist es allerdings nicht illegal, einen ungültigen Stimmzettel abzugeben oder gar nicht zur Wahl zu gehen.

Beobachter waren bereits im Vorfeld davon ausgegangen, dass viele Hongkonger der Wahl fernbleiben würden, da sie nach dem harten Durchgreifen Pekings jede Hoffnung auf demokratische Veränderungen in ihrer Heimat aufgegeben hätten. Das amtliche Endergebnis wird am Montag erwartet.

Proteste gegen Lam

Bei der Stimmabgabe von Regierungschefin Carrie Lam protestierten Demokratieaktivisten gegen die umstrittene Wahlrechtsreform, mit der sich Peking die Kontrolle über die Wahl verschafft hat. Lam hatte bereits vor der Wahl den Eindruck zurückgewiesen, dass Hongkonger mit einer geringen Wahlbeteiligung Kritik an der Regierung zum Ausdruck bringen wollten. Lam argumentierte dagegen, dass wenig Interesse an der Wahl zeigen würde, dass die Bürger keinen Wunsch nach Veränderung hätten.

Die Stimmabgabe von Regierungschefin Carrie Lam wurde von Protesten begleitet.
Foto: imago images/VCG

Ungeachtet der fehlenden Legitimation für das neue Parlament verteidigte Lam das neue Wahlsystem. Dieses bedeute, dass "antichinesische" Elemente an der Kandidatur gehindert worden seien und dass sich die politische Situation nun beruhigen werde, sagte Lam am Montag vor Journalisten. "Wir können das sogenannte demokratische System oder die Regeln westlicher Länder nicht kopieren", sagte Lam weiter. Die Abstimmung am Sonntag habe Hongkong auf den Pfad des Prinzips "Ein Land, zwei Systeme" zurückgeführt.

Auf die Frage, warum nur 1,3 Millionen der 4,5 Millionen registrierten Wähler ihre Stimmen abgegeben hätten, antwortete Lam: "Was der Grund dafür ist, kann ich nicht analysieren." Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums machte die Corona-Pandemie sowie "antichinesische Elemente" und "externe Kräfte" für die niedrige Wahlbeteiligung verantwortlich.

Lam, deren erste Amtszeit sich ihrem Ende nähert, wollte noch am Montag nach Peking reisen und sich mit Vertretern der chinesischen Zentralregierung treffen. Über den neuen Regierungschef oder die neue Regierungschefin der Sonderverwaltungszone wird im März jenes aus Peking-treuen Repräsentanten bestehende 1.500-köpfige Komitee entscheiden, das auch 40 der Hongkonger Parlamentsabgeordneten ausgewählt hatte. Die Amtsinhaberin hat bisher nicht durchblicken lassen, ob sie eine zweite Amtszeit anstrebt. Ihre Zustimmungswerte liegen derzeit bei rund 36 Prozent.

Kritiker: "Ein Land, ein System"

Seit dem 1. Juli 1997 gehört die frühere britische Kronkolonie wieder zu China und soll eigentlich nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme" eigenständig regiert werden. Auch wurde den sieben Millionen Hongkongern damals zugesagt, über 50 Jahre noch bis 2047 "ein hohes Maß an Autonomie" und viele politische Freiheiten genießen zu können. Seit dem Erlass des Sicherheitsgesetzes reden viele aber nur noch von "Ein Land, ein System". (APA, 20.12.2021)