Die Kauflaune der Konsumenten hilft der Wirtschaft.

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Österreich hat bis Herbst diesen Jahres eine Phase starker wirtschaftlicher Erholung gehabt, die lediglich im Frühjahr durch die dritte Corona-Welle etwas gebremst wurde. Am Ende des dritten Quartals 2021 lag die gesamtwirtschaftliche Leistung (GDP) des Landes wieder auf Vorkrisenniveau – etwas hinter Dänemark, vor Deutschland, aber ziemlich genau im Schnitt der OECD-Mitgliedsstaaten.

Nach dem gewaltigen Einbruch der Wirtschaft Mitte 2020 (einem Jahresminus von 6,8 Prozent des GDP) geht es stetig aufwärts. Allerdings: Noch liegt die jährliche Wirtschaftsleistung unter jener vor der Krise. Und die Pandemie hat gnadenlos viele strukturelle Schwächen im österreichischen Sozial-, Gesundheits- und Pflegesystem aufgedeckt. Das gilt auch für die Arbeitsmärkte und damit verbunden für Risiken im Pensionssystem.

Zu diesem Ergebnis kommt die in Paris angesiedelte Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem umfassenden Jahresbericht zur Lage in Österreich. Das 131 Seiten starke Dokument wird heute vom Chef der Organisation persönlich, Mathias Cormann, in Wien im Außenministerium vorgestellt. Er nützt eine Visite, um mit Außenminister Alexander Schallenberg und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (beide ÖVP) zu konferieren. Auch ein Treffen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, selbst ein habilitierter Ökonom, ist vorgesehen.

Milliarden zur Rettung

Folgt man der OECD, dann hat die Regierung bei der Bewältigung der Pandemiefolgen in ökonomischer Hinsicht vieles richtig gemacht, indem sowohl Firmen durch Direkthilfen als auch den Arbeitnehmern durch die Kurzarbeit mit Milliardenbeträgen unter die Arme gegriffen wurde. Bei den Staatshilfen liegt Österreich durchaus im Spitzenfeld. Allerdings, so warnen die OECD-Experten, müsse man jetzt mittelfristige Budgetkonsolidierung ins Auge fassen. Es wird betont, dass die üppige staatlichen Unterstützungen für die Wirtschaft nur möglich waren, weil die Budget- und Gesamtverschuldungslage vergleichsweise gut war.

Positiv hervorgehoben wird im Gesamtbild auch das Niveau der Arbeitslosigkeit, die im langfristigen Vergleich niedrig bleibt: Nach einem Anstieg auf 5,4 Prozent im Jahr 2020 wird sie bis 2023 wieder auf 4,5 Prozent zurückgehen.

Abgesehen von den relativ positiven ökonomischen Grunddaten weist der Bericht, der am 15. November endredigiert wurde und in den DER STANDARD vorab Einblick nehmen konnte, aber auch auf ein ganzes Bündel an Schwächen und Versäumnissen in den Systemen hin – bzw. bringt entsprechende Vorschläge zu Verbesserungen durch besseres Regieren.

OECD sieht zu späte Reaktion

Besonders auffällig: Obwohl Österreich eines der besten Gesundheitssysteme OECD-weit habe – auf 1.000 Österreicher kommen im Schnitt 7,4 Spitalsbetten, auf 100.000 Einwohner 29 Intensivbetten –, sei die Zahl der Covid-19-Toten "signifikant". Die Prüfer führen das darauf zurück, dass die Regierung zu lange zugeschaut und zu spät auf Infektionswellen reagiert habe, insbesondere im Herbst vergangenen Jahres.

Ab dem Sommer habe man sich zu sehr darauf verlassen, dass sich ausreichend viele Menschen mit dem damals verfügbaren Impfstoff immunisieren lassen würden. Es zeige sich, dass ein hoher Anteil von einem Drittel sich nicht impfen lassen wolle. Der Regierung wird wegen ihrer Versäumnisse und der ständigen Wechsel in der Strategie empfohlen, jetzt eine starke Kampagne zur Impfung – für das Boosten – zu machen.

Zurück zum Wirtschaftlichen: In der Stärke der vierten Welle, im Lockdown und den Ungewissheiten durch Omikron sieht die OECD die größten Risiken für die Fortsetzung des Aufschwungs. Die Bundesregierung müsse daher ganz gezielt Maßnahmen setzen, um die Beschäftigung dort anzukurbeln, wo sich Schwächen gezeigt hätten.

So sei eindeutig, dass Frauen sowohl in der Beschäftigung wie auch bei den Einkommen im Vergleich zu Männern zu den Verlierern der Pandemie gehörten, nicht zuletzt wegen der Betreuung der Kinder. Daher müsse in Österreich die Kinderbetreuung ausgebaut werden und alle Möglichkeiten müssten genutzt werden, um Vollzeitstellen für Frauen zu fördern.

Interessant auch, dass die Experten aus Paris ganz neue Möglichkeiten zur Hebung der Beschäftigung (und indirekt zur Unterstützung der Pensionssysteme) sehen. Nach der Pandemie, nicht zuletzt durch die Rückkehr vieler EU-Migranten in ihre Heimat, gebe es im Bereich des Tourismus wie bei der Pflege neue Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Arbeitnehmer. Die Regierung könnte das durch Ausbildung fördern. Langfristig müsse das Pensionsalter bzw. die Lebensarbeitszeit ohnehin steigen, die Pandemie mache hier eine neue Tür auf.

Starker Konsum

Was das Wachstum betrifft, sieht die OECD in Österreich eine solide Aufwärtsentwicklung, die durch stärkeren Konsum getragen werde. Einem Wachstum von 4,9 Prozent 2022 werde eines von 2,5 Prozent in 2023 folgen, nach einem Plus von 3,7 Prozent im Gesamtjahr 2021. Bremsend wirkten sich die Rohstofflieferungen an die produzierende Industrie und der Arbeitskräftemangel aus, heißt es im Bericht. Aber auch die zu erwartenden weiteren Einbrüche im für Österreich so wichtigen Tourismus seien ein Risikofaktor für mögliche Rückschläge.

Viel Nachholbedarf sieht man auch im Bereich der Digitalisierung, wo Österreich im Vergleich zu den Champions unter den OECD-Partnern schon vor der Pandemie viel aufzuholen hatte. Die Corona-Krise, das vielerorts erzwungene Teleworking im Homeoffice, habe sich als Treiber der Entwicklung erwiesen. Dort müsse die Regierung nun verstärkend eingreifen.

Ähnliches gilt im Bereich der Ökologisierung und beim Kampf gegen den Klimawandel. Die geplanten Schritte der ökologischen Steuerreform werden im Bericht ausdrücklich begrüßt. Aber die OECD-Ökonomen weisen gleichzeitig auf ein daraus erwachsendes soziales Problem hin: Jene, die auf fossile Energie angewiesen sind, sei es auf Autos im ländlichen Bereich oder Besitzer von alten, schlecht gedämmten Häusern, gerieten ins Hintertreffen, würden übermäßig belastet, was die Sozialsysteme ausgleichen müssten.

Apropos Belastungen, ganz besonders weist die OECD darauf hin, wer die großen Verlierer in der Pandemie waren: Teilzeitbeschäftigte und Ein-Personen-Unternehmer. Sie hätten die schwersten Einkommensverluste hinnehmen müssen, seien aber im Vergleich zu Angestellten "inadäquat geschützt" worden. (Thomas Mayer, 20.12.2021)