Wer "And Just Like That ...", die Nachfolgeserie von "Sex and the City", noch nicht gesehen hat, sollte jetzt nicht weiterlesen. Denn schon am Ende der ersten Folge erleidet John James Preston aka Big, die große Liebe von Carrie Bradshaw, einen Herzinfarkt. Als seine Ehefrau wenig später nach Hause kommt, ist Big zwar noch ansprechbar. Er verliert aber langsam das Bewusstsein. Es folgt: ein hollywoodreifer Abschied, gefolgt von Bigs Tod. Dabei hätte Carrie den Notruf wählen und mit einer Herzdruckmassage beginnen sollen, sagt die Grazer Kardiologin Ursula Rohrer, die sich die Folge für den STANDARD angeschaut hat.

Ein Bild aus besseren Tagen: Carrie Bradshaw und Mr. Big in der Serie "Sex and the City". Seit kurzem läuft mit "And Just Like That ..." ein Sequel.
Foto: Imago Images / Mary Evans

STANDARD: Erst absolviert Big ein hochintensives Spinning-Training auf seinem Fahrrad-Ergometer. Dann schaltet er die Dusche ein, greift sich an die Brust, sinkt zu Boden. Wie realistisch ist denn die Darstellung seines Herzinfarkts?

Rohrer: Im Prinzip ist das sehr realistisch dargestellt. Ein Herzinfarkt entsteht durch ein verschlossenes Gefäß am Herzen. Der Schmerz kommt durch den Sauerstoffmangel am Herzmuskel zustande. Der Griff an die Brust und die Ausstrahlung in den linken Arm sind typisch für einen Herzinfarkt, weil der Schmerz häufig in diese Körperhälfte ausstrahlt. Was für mich weniger gepasst hat, war, dass ihm sein Handy aus der plötzlich schlaffen Hand fällt. Die Kraft verlässt einen deswegen nämlich nicht im Arm.

STANDARD: Als Carrie Bradshaw nach Hause kommt und ihren Mann auf dem Boden sitzen sieht, bleibt sie erst eine gefühlte Ewigkeit wie versteinert stehen. Dann läuft sie zu ihm und küsst und hält ihn. Was sagen Sie als Kardiologin dazu?

Rohrer: Die richtige Reaktion wäre eine andere gewesen. Gleich nach dem Nachhausekommen hätte Carrie Big fragen müssen, was denn passiert ist und welche Symptome er hat. Er war zu diesem Zeitpunkt ja noch bei Bewusstsein. Er hätte ihr wohl gesagt, dass er unter Brustschmerzen und Atemnot leidet. Daraufhin hätte Carrie sofort den Notruf wählen müssen – in Österreich also die Telefonnummer 144, europaweit ist es die 112. Der "Calltaker" am anderen Ende der Leitung hätte ihr wichtige Hilfestellung geben können. Etwa dass sie Ruhe bewahrt, bei der Person bleibt, das Fenster aufmacht und einengende Kleidung öffnet. In der Szene verändert sich die Situation dann – Big verliert zunehmend das Bewusstsein. In dieser Situation hätte Carrie dann noch einmal den Notruf wählen können und die Person am anderen Ende der Leitung darüber informieren, dass Big nun bewusstlos ist.

"Wenn man gar nichts macht, hat der Mensch gar keine Chance", sagt Ursula Rohrer.
Foto: Meduni Graz

STANDARD: Was macht man in einer solchen Situation?

Rohrer: Der nächste Schritt wäre zu überprüfen, ob Atmung und Kreislauf noch vorhanden sind. Das klingt schwierig, ist es aber nicht. Carrie müsste Big flach auf den Rücken legen und versuchen, seine Atemwege zu öffnen: Eine Hand wird auf die Stirn, eine ans Kinn gelegt, der Kopf nach hinten überstreckt, dann zehn Sekunden lang überprüft, ob noch Atemzüge kommen. Wenn die Person gar nicht mehr oder nicht normal atmet, wird mit der Herzdruckmassage begonnen. Für Laien wird übrigens nicht mehr empfohlen, einen Puls zu suchen. Das ist nämlich extrem schwierig. Tendenziell fühlt man da nämlich einen Puls, auch wenn keiner mehr da ist, und verzichtet dann fälschlicherweise auf die überlebenswichtige Herzdruckmassage. Zu alldem wird man telefonisch auch angeleitet, wenn man in einer solchen Situation den Notruf wählt.

STANDARD: Braucht es auch eine Mund-zu-Mund-Beatmung?

Rohrer: Dazu wird nur geraten, wenn man es sich zutraut. Die Mund-zu-Mund-Beatmung erhöht die Überlebenschancen aber noch einmal ganz deutlich.

STANDARD: Wenn Carrie all das gemacht hätte, hätte Big überlebt?

Rohrer: Dass er durch eine Herzdruckmassage von Carrie wieder zurückkommt, wäre extrem unrealistisch, weil der Herz-Kreislauf-Stillstand im Rahmen eines Herzinfarkts oft durch Herzrhythmusstörungen entsteht. Sehr viele Herzinfarkte kann man durch mechanische Reanimation nicht beheben. Aber Carrie hätte die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Rettungsteam übernehmen und Big durch deren Maßnahmen wiederbelebt werden kann. Wenn ein Mensch keinen Kreislauf mehr hat, wird auch das Hirn nicht mehr durchblutet. Das kann zu irreversiblen Schäden führen. Wenn es aber nur sehr wenige Minuten sind, dann hat man gute Chancen, ohne irreversible Hirnschäden davonzukommen. Jede Minute, die man in einer solchen Situation nichts tut, verringert die Überlebenswahrscheinlichkeit um drei bis fünf Prozent – und man startet ja nicht bei 100 Prozent.

STANDARD: Das nächste Krankenhaus ist inmitten von New York ja nicht weit entfernt. Wie wäre denn das Rettungsteam vorgegangen?

Rohrer: Die Sanitäter könnten etwa die Herzrhythmusstörungen mit einem Defibrillator behandeln. Big hätte also vielleicht an Ort und Stelle wieder einen Kreislauf bekommen und wäre dann ins Krankenhaus gebracht worden. Die zweite Variante wäre gewesen, dass man ihn unter Herzdruckmassage zum Herzkatheterlabor bringt und dort schaut, dass das verstopfte Gefäß wieder aufgemacht wird. Das geht schnell und kann durchaus klappen.

STANDARD: Carrie ist ein zartes Persönchen, Big ein großgewachsener, nicht ganz schlanker Mann. Hätte sie denn für eine Herzdruckmassage überhaupt genug Kraft gehabt?

Rohrer: Eine Herzdruckmassage ist körperlich wahnsinnig anstrengend. Im organisierten Notfall- und Rettungsdienst wechselt man sich alle zwei Minuten ab, weil eine effiziente Herzdruckmassage nur so möglich ist. Aber wenn man die Arme im rechten Winkel zum Oberkörper gerade durchstreckt, kriegt man auch als kleine Person ordentlich Druck zusammen. Tendenziell gehen Menschen in einer solchen Situation immer viel zu vorsichtig vor. Dass eine Rippe bricht, ist sehr realistisch, fügt den Menschen in der Situation aber keinen Schaden zu. Wenn man aber gar nichts macht, hat der Mensch gar keine Chance.

STANDARD: Und wird das im Fall des Falles auch gemacht?

Rohrer: Die Wahrscheinlichkeit, einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses zu überleben, ist extrem länder- bzw. regionenabhängig. In Österreich sind weniger als 50 Prozent der Reanimationen solche Laienreanimationen. Aber auf öffentlichen Plätzen ist es gar nicht so unrealistisch, dass man im Fall des Falles reanimiert wird.

STANDARD: In der sechsten Staffel von "Sex and the City" hat Big sich bereits einer Herz-OP unterzogen. Hat er seinen Lebensstil danach entsprechend angepasst?

Rohrer: Bei dieser Herz-OP dürfte es sich um eine Angioplastie, also einen Eingriff, bei dem bereits verschlossene oder verengte Gefäße geweitet werden, gehandelt haben. Da ist es natürlich ganz schlecht, wenn jemand weiterhin Zigarren raucht. Überhaupt war sein Lebensstil natürlich auch ein Risikofaktor – viel Arbeit, ein Beziehungs-Hin-und-Her, eine Ernährung mit vielen tierischen Fetten. An sich wäre Ausdauersport wie Radfahren für ihn gut gewesen, aber nicht unbedingt diese hochintensiven Spinning-Einheiten.

STANDARD: Offenbar hat Big Nitroglycerin-Tabletten eingenommen. Hätten ihm die in dieser Situation geholfen?

Rohrer: In Österreich gibt es das Nitroglycerin eher in Sprayform. Es wirkt gefäßerweiternd und verbessert die Durchblutung am Herzen. Es wird zur Symptomlinderung verordnet, wenn eine Gefäßerkrankung sich bereits zugespitzt hat. Aber einen Herzinfarkt können die natürlich nicht beheben. Da hilft nur, mit dem Katheter reinzugehen und das Gefäß aufzumachen.

STANDARD: Ist es im Sinne einer Vorbildwirkung problematisch, wie Carrie auf den Herzinfarkt reagiert?

Rohrer: Es ist natürlich kritisch zu sehen, dass Carrie nicht reagiert. Ich würde meinen, dass einen alleine der Hausverstand dazu bewegt, aktiv zu werden, anstatt sich hinzusetzen und darüber zu philosophieren, wie schrecklich das Leben ist. Aber ich finde den Diskurs, der dadurch entsteht, was Carrie anders hätte machen können, spannend. (Franziska Zoidl, 21.12.2021)