Sowohl analoge als auch digitale Existenz: "Giotto's Corridor".
Foto: Laurent Ziegler

Endlich ist es so weit: Jetzt zu Weihnachten soll das neue James-Webb-Weltraum-Teleskop starten, das uns Bilder etwa von Exoplaneten liefern wird. Was dieses "Fernrohr" in den Kosmos mit dem neuesten Tanzstück "Giotto's Corridor" des Choreografen Georg Blaschke und des Medienkünstlers Jan Machacek aus Wien verbindet? Richtig: ein Tanz um Fakten und Fiktionen der Perspektive.

Um diese Verbindung zu überprüfen, kann man entweder direkt zu Giotto di Bondones Himmelsdeckenfresko in der Cappella degli Scrovegni bei Padua aufschauen oder sich einfach auf Blaschkes Website eine Fotomontage ansehen, die drei Figuren zeigt, wie sie unter ebendiesem Sternengewölbe schweben. Zwischen 1306, als Giotto seine goldenen Sternchen auf blauem Grund malte, und den heutigen Kosmos-Bildern liegt ein 700 Jahre "langer" Zeitkorridor. Er führt von Giottos Wechsel in dreidimensionale Bildarchitekturen zu den gigantischen Raum-Zeit-Fluchten des gegenwärtigen Spähens ins All.

"Tanz in der Flucht"

Weltflucht ist dabei die kulturelle Konstante: Wie Gläubige damals "in den Himmel kommen" wollten, möchten viele das auch jetzt. "Tanz in der Flucht" heißt es folgerichtig im Untertitel bei Blaschke und Machacek. Das Künstlerduo hat sich für "Giotto's Corridor"– Uraufführung war am Wochenende im Brut-Theater – mit Martina De Dominicis, Evandro Pedroni und Eva-Maria Schaller zusammengetan.

Dieses Tanztrio führt mitten in jene kulturelle Choreografie, die es bis zum technischen Wunderwerk James-Webb-Teleskop brauchte: knapp vorbei an einer religiösen Ideologie, die wissenschaftliche Erkenntnisse lange zu verhindern suchte.

Gewänder in Gemälden

Zwei Frauen mit strengen Frisuren und ein Mann mit Kinderstrampelhose finden in einem korridorähnlichen Bühnenraum zusammen. Dort zeigen Videoprojektionen einen vibrierenden Boden, auf dem Trümmer von Gipsplatten tanzen.

Die drei Tanzenden ver- und enthüllen sich mit färbigen Decken, die auf die Gewänder in Giottos Gemälden anspielen. Dabei haben sie gleichzeitig eine analoge und, in Machaceks Projektionen, eine virtuelle Existenz. Beide zeigen den Versuch der Spezies Mensch, ihr gestörtes Verhältnis zu gegebenen Umwelten zu verarbeiten. (Helmut Ploebst, 21.12.2021)