Es gibt kaum einen Ort auf der Welt, an dem Plastik und Mikroplastik heute nicht vorkommt. Einige Bakterien haben sich mittlerweile daran angepasst und sind in der Lage, bestimmte Kunststoffe zu fressen.

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Die Zahl ist gewaltig: Etwa 370 Millionen Tonnen Kunststoff werden weltweit jedes Jahr produziert. Zum Vergleich: Das entspricht ungefähr dem Gewicht von 37.000 Eiffeltürmen, 3,5 Millionen Blauwalen oder 50 Millionen Elefanten. Ein großer Teil des Plastiks landet nach dem Gebrauch einfach in der Umwelt, treibt an der Oberfläche des Meeres, sinkt auf den Meeresboden, wird an die Küsten gespült oder liegt in Wäldern, Bergen oder am Straßenrand.

Darunter befinden sich auch Unmengen an Mikroplastik, winzige Plastikteile, die etwa beim Reifenabrieb von Autos oder beim Zerfall von Plastikmüll entstehen und die nur schwer abbaubar sind. Diese Plastikteile werden zunehmend von Fischen und anderen Meeresbewohnern gefressen, was schlimme Folgen für Ökosysteme und uns Menschen hat, warnen Wissenschafterinnen und Wissenschafter.

Plastik als Nahrung

Hoffnungen darauf, Kunststoffe und Mikroplastik in Zukunft zumindest teilweise wieder aus Ozeanen, Flüssen und Böden entfernen zu können, werden nun immer mehr in Lebewesen gesetzt, die so klein sind, dass wir sie mit dem bloßen Auge nicht einmal erkennen: Mikroorganismen, die sich im Laufe der Jahre mit ihrem Stoffwechsel so an die Kunststoffe in der Umwelt anpassen, dass sie diese einfach auffressen, um daraus Energie und Nahrung zu gewinnen.

Tatsächlich haben Bakterien schon seit Jahren damit begonnen, bestimmte Kunststoffe zu fressen. 2016 entdeckten japanische Forscher etwa ein Bakterium, das Polyethylenterephthalat, kurz PET, komplett abbauen kann. Sie fanden die Bakterien auf halbverrotteten PET-Flaschen auf einer japanischen Mülldeponie.

Nach mehreren Untersuchungen und Versuchen gelang es Wissenschafterinnen und Wissenschaftern 2020, die Geschwindigkeit des Abbauprozesses durch die Bakterien um das Sechsfache zu erhöhen. Trotzdem braucht das Bakterium immer noch mehrere Wochen, um die nur wenigen Milligramm einer PET-Flasche abzubauen. Um eine gesamte PET-Flasche abzubauen, brauchen Bakterien in der Natur 500 Jahre oder länger.

Noch sind bestimmte Bakterien, die sich auf PET-Flaschen spezialisiert haben, sehr langsam beim Fressen.
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Verlockende Idee

Ebenfalls im vergangenen Jahr gaben Wissenschafter in Deutschland an, ein Bakterium gefunden zu haben, das sich von sogenannten Polyurethanen ernährt. Diese kommen etwa in Schuhen, Kühlschränken oder Küchenschwämmen vor, sind schwer zu recyceln und landen in vielen Ländern daher meist auf Deponien, wo sie die Umgebung mit Chemikalien vergiften können. Allerdings könnte es laut den Forschern weitere zehn Jahre dauern, bis die Bakterien bei der Plastikmüllreduktion tatsächlich eine nennenswerte Rolle spielen könnten.

Die Idee, dass sich die Natur, beziehungsweise Bakterien, künftig einfach um den Müll der Menschen kümmert, klingt für viele wohl trotzdem zu verlockend, um sie schnell wieder fallenzulassen. Zudem ließen sich mithilfe der Bakterien in der Industrie vielleicht eines Tages auch schwer recycelbare Kunststoffe wieder zu neuen Produkten verarbeiten, anstatt immer neues Plastik zu produzieren, sagen Befürworter.

Fragwürdige Studie

Verstärkt wurde die Hoffnung, Bakterien könnten unser Plastikmüllproblem lösen, kürzlich auch durch einer Studie einiger Wissenschafter an der Technischen Hochschule Chalmers in Schweden. Darin hieß es, dass es weltweit 30.000 verschiedene Enzyme gibt, die zehn verschiedene Kunststoffsorten abbauen können. Überall dort, wo die Plastikverschmutzung in der Umwelt größer ist, seien auch Mikroorganismen eher auf deren Abbau spezialisiert, heißt es von den Wissenschaftern.

Andere Wissenschafter und Biologen zweifeln an der Studie. "Die Aussagen darin sind nicht belastbar, und es wurden wesentliche Kontrollen nicht gemacht. Die Ergebnisse gleichen eher alternativen Fakten", sagt Wolfgang Streit, Mikrobiologe an der Universität Hamburg, dem STANDARD. Da Kunststoffe erst seit ein paar Jahrzehnten hergestellt werden und dabei meist bewusst so, dass sie möglichst schwer abbaubar sind, hätten Organismen noch keine bis sehr wenig Zeit gehabt, sich evolutiv auf Plastik einzustellen und darauf zu spezialisieren. Das sei mit der Grund, weshalb der Abbau in der Natur durch Bakterien so lange dauere.

Nur bei wenigen Kunststoffen

Zudem kenne man bisher nur Bakterien, die PET und Polyurethane abbauen können, die nur einen kleinen Teil des weltweiten Plastikmülls ausmachen. Für viele andere Kunststoffsorten, wie Polyethylen oder PVC, das etwa in Rohren oder Bodenbelägen vorkommt, gebe es keine natürlichen Verwerter. "Die Bindungen sind für die Mikroorganismen extrem schwer zu knacken", sagt Streit.

Zumindest bei PET und Polyurethanen sieht der Experte aber Potenzial, Bakterien künftig vermehrt als Helfer einzusetzen. Mithilfe genetischer Veränderungen könnten neue "Superbakterien" PET noch weit schneller und effizienter abbauen als bisher. Allerdings dürften diese veränderten Bakterien keinesfalls einfach in die Natur gelangen. Stattdessen müssten sie in geschlossenen Systemen eingesetzt werden, die von der Umwelt abgegrenzt sind, beispielsweise in speziellen Kompost- oder Kläranlagen, sagt Streit.

Biologisch abbaubar

Noch wichtiger sei es allerdings, sich schon bei der Herstellung des Plastiks über die Abbaubarkeit Gedanken zu machen. "In Zukunft könnten wir vermehrt Biokunststoffe herstellen, deren Polymere mit Sollbruchstellen versehen sind, die dann von Mikroorganismen angegriffen werden können", sagt Streit.

Wo diese biologisch abbaubaren Kunststoffe zum Einsatz kommen, hänge dann von dem jeweiligen Produkt ab: Während sich das Smartphone nicht schon nach wenigen Monaten auflösen sollte, wäre das bei Kaffeebechern oder Plastiksackerln durchaus nützlich. "Rund die Hälfte des produzierten Plastiks wird nach dem Gebrauch sofort wieder weggeschmissen, wie etwa Verpackungen. Da würde ein solcher Recyclingprozess extrem helfen." Einfach darauf zu warten, dass die Natur die Aufgabe übernimmt und sich Kunststoffe in der Umwelt bald wie von selbst auflösen, sei jedenfalls die falsche Strategie. (Jakob Pallinger, 27.12.2021)