Der stellvertretende Generalstabschef Rudolf Striedinger muss mit rasch wachsenden Infektionszahlen und einer möglichen Überlastung der Infrastruktur nicht nur in der Gesundheitsversorgung, sondern auch bei der Ernährung der Bevölkerung rechnen.


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Leere Regale gab es im Vorjahr bei vielen Supermärkten, wo das Klopapier ausgegangen ist. Wenn sehr viele Menschen an Omikron erkranken oder in Quarantäne geschickt werden, könnten auch die Lebensmittel knapp werden.

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Wien – Es ist ein düsteres Bild, das der Expertenrat der deutschen Regierung zu Covid-19 am Sonntag in seiner ersten Stellungnahme zur Einordnung und zu den Konsequenzen der Omikron-Welle zeichnete. Dass die neue Variante des Coronavirus eine "neue Dimension in das Pandemiegeschehen" bringe, hörte man so auch schon von Österreichs Regierung. Doch was darunter konkret zu verstehen ist, teilte der 19-köpfige Expertenrat, dem auch der Virologe Christian Drosten und seine Kollegin Melanie Brinkmann angehören, Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) in einem dreiseitigen Papier mit, das vom Rat einstimmig freigegeben wurde.

"Explosionsartig"

Die bisher "nie dagewesene Verbreitungsgeschwindigkeit mit Omikron-Verdopplungszeiten von etwa zwei bis drei Tagen" und Hinweise darauf, dass "auch Genesene und Geimpfte stärker in das Infektionsgeschehen" eingebunden sind, könnten dazu führen, dass "ein relevanter Teil der Bevölkerung zeitgleich erkrankt und/oder in Quarantäne" ist, heißt es in dem Papier. Durch die "explosionsartige Verbreitung" könne "die gesamte kritische Infrastruktur unseres Landes extrem belastet" werden. Neben dem schon überlasteten Gesundheitssystem wären dann auch "Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung und die entsprechende Logistik" in Gefahr.

"Weitere Kollateraleffekte sind insbesondere in der berufstätigen Bevölkerung zu erwarten, unter anderem durch die dann notwendige Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Menschen", rechnen die Virologen vor. Sogar wenn sich alle Spitäler ausschließlich auf die Versorgung von Notfällen und dringlichen Eingriffen konzentrierten, könnten nicht mehr alle angemessen versorgt werden.

Herbert Saurugg, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge, schätzt die Lage in Österreich um nichts besser ein: "Wir haben aus der Pandemie bisher so gut wie nichts gelernt. Wir stehen vor einer möglichen Versorgungskrise und die Bevölkerung kann sich nur wenige Tage selbst versorgen", sagt Saurugg im Gespräch mit dem STANDARD. Wenn die Beschäftigten von Energieversorgern in großer Zahl im Krankenstand oder in Quarantäne seien, wäre das ebenso eine Bedrohung für das zivile Leben in Österreich wie der Ausfall der Beschäftigten im Handel.

Mangelnde Bevorratung

Schon beim ersten Lockdown im Vorjahr mussten Soldaten des Bundesheers in Logistikzentren des Handels aushelfen – "aber wenn die Kassierinnen mehrerer Supermärkte alle daheimbleiben, kann niemand mehr einkaufen, da kann man nicht einfach überall einen Soldaten hinsetzen". Saurugg beklagt, dass es in Österreich keine Kultur der Bevorratung der Haushalte mit Reis, Nudeln und Dauerkonserven gebe.

Und er will auch keine Panik schüren: Es mache keinen Sinn, wenn jetzt viele Menschen die Supermärkte leerkaufen wollten – dann bliebe für andere gar nichts mehr übrig. Aber bei den Einkäufen für die Feiertage zusätzlich zum Weihnachtsbraten und dem Sekt für den Jahreswechsel auch ein paar Dauerkonserven und ein paar Kisten Mineralwasser als Ergänzung der Notvorräte mitzunehmen könnte helfen, allfällige Versorgungsengpässe im Jänner besser zu überstehen.

Denn Signale für solche Engpässe werden von der Politik gemieden – dort ist man vor allem an guter Stimmung zu den Feiertagen interessiert. Da passe das Bild von Millionen, die vielleicht daheim hungern müssen, schlecht dazu, meint Saurugg. Und sieht sich damit im Einklang mit dem deutschen Expertenrat. Dieser warnt eindringlich, dass die aktuellen Inzidenzen "von weiten Teilen der Gesellschaft und Politik als Zeichen der Entspannung wahrgenommen werden".

Tatsächlich müsse die Politik "sofort" bzw. "in den nächsten Tagen" handeln, damit die beschriebenen Szenarien nicht schon Anfang 2022 eintreten. So weit, so beunruhigend.

Doch wie wird die Lage von der österreichischen Politik eingeschätzt? Kennt man die Stellungnahme? Wie bereitet sich das Land auf Omikron vor?

Aus dem Gesundheitsministerium heißt es dazu auf STANDARD-Anfrage: "Auch in Österreich wird die Lage bezüglich der kritischen Infrastruktur genauestens analysiert. Dazu erfolgt aktuell eine inhaltliche Bewertung durch die Gecko." Zudem seien im Zuge der Pandemie "in Zusammenarbeit mit der kritischen Infrastruktur und dem Verteidigungsministerium bereits zahlreiche Vorbereitungen getroffen und Prozesse aufgesetzt worden, um bei einer Verschärfung der Lage rasch reagieren zu können". Welche das genau sind, wird nicht ausgeführt.

Im Verteidigungsministerium wird darauf verwiesen, dass der neue Gecko-Chef, Generalmajor Rudolf Striedinger, erst einmal die Arbeitsfähigkeit seines Gremiums herstellen müsse und daher leider keine inhaltlichen Stellungnahmen abgeben könne. Als Leiter der Geschäftsstelle hat er sich den bisherigen stellvertretenden Kabinettschef des Ministeriums, Roman Markhart, ins Bundeskanzleramt mitgenommen.

Bundesheer kann nur auf Anforderung helfen

Das Bundesheer selbst müsse zunächst die Funktionsfähigkeit der eigenen Infrastruktur sicherstellen: Die mehrfach angekündigten "Sicherheitsinseln" würden erst 2025 im Vollbetrieb sein, heißt es – und diesen Vollbetrieb gebe es dann auch nur als Unterstützung für die Blaulichtorganisationen, die dann dort "auftanken" können. Die ortsansässige Bevölkerung könne aus solchen Sicherheitsinseln nicht versorgt werden, wird klargestellt.

Wohl aber könne das Bundesheer aushelfen, wenn von ziviler Seite Unterstützung angefordert wird – dann wird geprüft, welche Assistenz das Militär leisten kann. Das allerdings kann rasch und sehr weitreichend sein: Im Vorjahr hat das Bundesheer sogar den Notbetrieb eines Pflegeheims übernommen. (Katharina Mittelstaedt, Conrad Seidl, Colette M. Schmidt, 21.12.2021)