Heinz-Christian Strache (links) war bis zum Ibiza-Video Vizekanzler der Regierung Sebastian Kurz I

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Knapp ein Vierteljahrhundert hat Heinz-Christian Strache in der Spitzenpolitik verbracht, zuletzt als Vizekanzler der türkis-blauen Koalition. Mit dem "Ibiza-Attentat", wie er es nennt, endete seine Karriere. Mit einem gleichnamigen Buch will er Aufarbeitung leisten. Ein Gespräch über Vergangenheit und Zukunft.

STANDARD: Regulär wäre die türkis-blaue Regierung bis 2022 im Amt gewesen. Wie würde deren Corona-Politik aussehen?

Strache: Da wären wir in einen Konflikt geraten. Das wäre eine Situation ähnlich dem Migrationspakt, da wollten Sebastian Kurz und die ÖVP zustimmen – und ich sagte ihm, wenn er nicht Abstand nimmt, ist das für mich ein Koalitionsbruch.

STANDARD: Sind Sie zufrieden damit, wie die FPÖ agiert?

Strache: Es gibt Positionen, die sich überschneiden; aber es geht auch um die Art der Debatte, Wortwahl und Tonalität. Man muss es so thematisieren, dass es eine breitere Masse der Bevölkerung erreicht. Denn es geht nicht grundsätzlich gegen eine Impfung, es geht um die Freiheit des Einzelnen, die körperliche Integrität, und da hat ein staatlicher Zwang nichts verloren.

STANDARD: Hat die Maßnahmengegner-Partei MFG Chancen – und wollen Sie dort andocken?

Strache: Zum einen bin ich davon überzeugt, dass die MFG bundespolitisch reüssieren wird. Das tut auch der Demokratie und der Vielfalt gut. Ich selbst bin nicht mehr in der Politik tätig. Ich kümmere mich um die Aufarbeitung der mich fassungslos machenden Vorwürfe gegen meine Person, um meine Familie und darum, meine wirtschaftliche Zukunft weiter aufzubauen.

STANDARD: Sie haben kürzlich um Spenden gebeten. Daran gab es Kritik, weil Sie viel mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung verdient haben.

Strache: Das ist ja ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Ich habe jahrelang Tag und Nacht gearbeitet und viel für das Land weitergebracht. Dass ich dafür ein Gehalt und genehmigte Spesen erhalten habe, ist völlig legitim. Aber dass man dann mit anonymen Anzeigen und jahrelangen Ermittlungsverfahren konfrontiert wird, die der einzelne Bürger kaum bewältigen kann, ist eine andere Geschichte. Auch Sigrid Maurer oder Peter Pilz haben sich mit Spendenaufrufen für ihre Verfahren an die Öffentlichkeit gewandt.

STANDARD: Wo sind die Ersparnisse?

Strache: Man hat einen Bitcoin, den ich als eiserne Reserve gewechselt habe, und eine Lebensversicherung von mir vonseiten der Staatsanwaltschaft sichergestellt und eingefroren. Damit hätte ich meine Verfahrenskosten bedienen wollen. Durch die herzliche Hilfe von Menschen kann ich mein Berufungsverfahren sicherstellen. Die laufenden Kosten für andere Verfahren sind noch offen. Das belastet sehr!

STANDARD: Sie beklagen die hohen Verfahrenskosten. Aber inhaltlich hört man von Ihnen keine Kritik an der WKStA, obwohl Sie sogar erstinstanzlich verurteilt wurden. Warum nicht?

Strache: Das ist eben nicht mein Zugang. Ich war immer felsenfest vom Rechtsstaat überzeugt. Es wäre nur im Falle eines augenscheinlichen Behörden- oder Justizskandals notwendig, in der Öffentlichkeit und auf dieser Ebene rechtsstaatliche Strukturen bzw. Fehlentwicklungen sachlich zu kritisieren.

STANDARD: Der Auslöser für Ihre Verfahren war ja das Erscheinen des Ibiza-Videos. Es hat auch Türkis-Blau beendet. Nun gibt es Hinweise, dass die ÖVP schon vorher mit einem Koalitions-Aus spekulierte. Warum?

Strache: Meine konsequente Ablehnung des UN-Migrationspakts, dem Kurz zustimmen wollte, ist in der Bevölkerung gut angekommen. Das war eine Situation, die ihm nicht gefallen hat. Ich habe dann gemerkt, dass ab 2019 begonnen wurde, meine FP-Projekte zu torpedieren oder Dinge künstlich als Skandal aufzubauschen, den Konflikt zu schüren.

STANDARD: Auch rund um Postenbesetzungen gab es Aufregung.

Strache: Ich habe immer wieder erlebt, dass die ÖVP nicht paktfähig ist und versucht, einen da oder dort zu legen. Ich habe Sebastian Kurz, mit dem ich sonst einen korrekten Umgang auf Augenhöhe hatte, damit konfrontiert. Wir wollten uns das nicht gefallen lassen.

STANDARD: Ist das aus Ihrer Sicht Teil der türkisen DNA?

Strache: Es gibt ja diesen Spruch über die "schwarze Spinne, die ihren Partner auffrisst". Man hatte das Gefühl, dass das der VP-Plan war. Das war aber nicht der Fall – und führte zu einem gewissen Unbehagen.

STANDARD: Wann hätten Sie mit Neuwahlen gerechnet?

Strache: Ich habe meinen Weggefährten gesagt, dass ich von Herbst 2019 ausgehe, denn da hätten wir das Doppelbudget beschließen sollen – und damit hätte die ÖVP alles umsetzen müssen, was wir im Regierungsprogramm und in Sidelettern dazu ausgemacht hatte. Ich habe gefürchtet, dass die ÖVP ein Ausstiegsszenario sucht. Dass es dann im Mai durch ein manipulativ zusammengeschnittenes Video so kam, damit habe ich nicht gerechnet.

STANDARD: Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass sich Herbert Kickl schon als Innenminister abgeschottet hat.

Strache: Das ist alles etwas, das nach meinem Rücktritt besonders auffällig erschienen ist. Zur Übernahme des Ministeramts musste man ihn fast bedrängen. Dann war er nicht mehr greifbar. Vielen meiner Anregungen wurde von Kickl nicht nachgekommen; das war auffällig.

STANDARD: Auch Johann Gudenus kritisieren Sie scharf, etwa weil er Ihnen den jetzt flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek vorgestellt hat.

Strache: Das ist für mich besonders eigenartig. 2017 hat mir Johann Gudenus mit aller Gewalt einen Termin mit Marsalek aufgedrängt. Ich habe den nahezu auf Zwang kennengelernt und wusste nicht, was ich mit ihm reden soll. Dann erzählte er mir von seinem eigenartigen Projekt in Libyen und angeblicher Unterstützung innerhalb der EU dafür. Nachher habe ich mir gedacht: Was war das jetzt? Das war fast, als hätte man das mit Krampf inszeniert, damit man später sagen kann, den hat Strache auch getroffen.

STANDARD: Während Ihres verhängnisvollen Urlaubs auf Ibiza waren Sie auf der Yacht von René Benko. Sie wollen von ihm erfahren haben, dass Kurz Türkis-Blau plant.

Strache: Es war so, dass wir festgestellt haben, dass wir beide auf der Insel sind. So hat sich das ergeben, dass ich mit meinen erwachsenen Kindern sowie mit Gudenus und seiner Ehefrau zum Hafen bestellt wurde, wo wir mit einem Schlauchboot abgeholt wurden. Auf Benkos Yacht fand dann ein Abendessen statt; es gab für die Kinder Schnitzel und für die Erwachsenen Sushi. Vor allem wurde Smalltalk betrieben, aber eines blieb mir in Erinnerung: nämlich, dass Benko vermittelte, Sebastian Kurz habe Interesse an einer Zusammenarbeit und werde auf mich zukommen.

STANDARD: Das schien zu diesem Zeitpunkt aber ohnehin naheliegend.

Strache: Mich hat es stutzig gemacht, weil Kurz zu mir, obwohl ich langjähriger Oppositionsführer war, nie Kontakt gesucht hat – übrigens im Unterschied zu Christian Kern und der Sozialdemokratie, wo ich lange zuvor schon persönliche Gespräche und ein Abklopfen hatte.

STANDARD: Die SPÖ wollte keine Koalition, weil es in Ihrer Partei oft rechtsextreme Vorfälle gab. Sie selbst schreiben, es gab Kritik an Ihrer Unterstützung für Israel.

Strache: Mir war als freiheitlich denkender Mensch immer wichtig, verhängnisvolle Kapitel unserer Geschichte aufzuarbeiten und Sorge zu tragen, dass Antisemitismus in der politischen Arbeit keinen Platz mehr haben sollte.

STANDARD: Zurück zur näheren Zeitgeschichte. Ist Ihre Aufarbeitung von Ibiza mit Ihrem Buch abgeschlossen?

Strache: Für mich war es notwendig und wichtig. Abgeschlossen ist sie sicher nicht, aber ein wesentlicher Teil davon. Ich werde mich jetzt darauf konzentrieren, für meine Familie da zu sein und meine unternehmerische Zukunft nachhaltig zu gestalten. (Fabian Schmid, 20.12.2021)