Amnesie und mangelnder Antrieb: Keanu Reeves schlüpft in "Matrix: Resurrections" über zwanzig Jahre nach dem ersten Teil wieder in die Rolle von Neo, kann sich aber nur an wenig erinnern.

Foto: Warner

Warum ein Studio das Sequel eines gut abgelegenen Erfolgsfilms aus den späten 1990er-Jahren angeht, bleibt üblicherweise eine interne Angelegenheit. Man könnte auch sagen: In der Matrix der Filme selbst hat die Antwort nichts verloren. Doch 18 Jahre nach dem letzten Eintrag in der berühmten Serie um das Höhlengleichnis unserer digitalen Existenz sieht die Sache ein wenig anders aus. Da heißt es im Film erstaunlich offen, Warner Bros. hätte die Fortsetzung auch ohne den Franchise-Erfinder durchgedrückt. In diesem Fall gab es also keine Alternative: "Let’s get to work."

Warner Bros. Pictures

Die Pointe der betreffenden Szene von Matrix: Resurrections liegt jedoch darin, dass es um gar keinen Film, sondern um ein Computerspiel geht. Thomas A. Anderson alias Neo (Keanu Reeves), die Erlöserfigur der ersten drei Teile, hat in diesem Alternativszenario als Games-Designer der Matrix seinen größten Erfolg gelandet. Der paranoische Ausgangspunkt, dass die Realität nur Simulation ist, die Menschheit in Wahrheit dagegen wie eine Batterie am Aufladekabel hängt, nimmt sich so gleich weniger bedrückend aus.

Besessen von Selbstmord

In Resurrections begegnen wir Anderson dennoch als merklich ausgeblutetem Mitarbeiter, der sich trotz seiner Position vage im falschen Leben glaubt. Während die jüngeren Mitarbeiter der Firma sich die Haare raufen, wie man an das Matrix-Vorbild noch einmal anschließen oder es sogar übertrumpfen könnte, leidet er selbst unter Depressionen und geht regelmäßig in Therapie. Überhaupt scheint der Film besessen von Selbstmordideen.

Für Lana Wachowski, die nunmehr ohne ihre Schwester die Regie verantwortet, dient diese Form der "Selbstironie" wohl als Rechtfertigung, die Matrix wieder hochzufahren. Sie will damit betonen, dass ihr die Fortsetzung ein persönliches Anliegen war – und eben keine von Strategen errechnete Erfolgskalkulation. Das darf glauben, wer will. Der Verweis aufs Gaming und die selbstreferenziellen Schleifen des Blockbustertums sind dennoch ernst gemeint: Denn Resurrections malt sich selbstbewusst eine Zukunft aus, die sich vor allem an der Nostalgie labt. Matrix will mit den Großen, Star Wars und Marvel, zumindest dahingehend mitspielen, dass es sich auch als medial ausbaubare Welt versteht. Und die führt dauernd zu sich selbst zurück.

Schnell auf einen "Simulatte"

Wiederauferstehung steht hier also nicht umsonst im Plural: Die wichtigsten Figuren mitsamt ihren ikonisch gewordenen Martial-Arts-Kampf-und-Patronenfang-Fähigkeiten in Zeitlupe werden von Wachowski wie Tote aus der Hausgruft geholt. Neo und sein weibliches Gegenüber Trinity (Carrie-Anne Moss) sind in einer falschen bürgerlichen Identität gefangen. Mithilfe neuer Helfer wie der blauhaarigen Hackerin Bugs (Jessica Henwick) müssen sie ihr wahres Selbst wiedererkennen. Morpheus wurde in der Gestalt von Yahya Abdul-Mateen II einfachheitshalber gleich jung gerechnet. Wer müde wirkt, geht – ein guter Gag – ins Eckcafé auf einen "Simulatte".

Der augenzwinkernde Tonfall hält in Resurrections eine Ouvertüre und den ersten Akt lang. Neo muss in einem an Alice im Wunderland angelehnten Plot (Aleksandar Hemon und David Mitchell schrieben am Drehbuch mit) durch gefaltete Oberflächen hindurch aufgespürt und zum Mitmachen überredet werden. Das wirkt ein wenig wie ein dauerabstürzendes Computerprogramm, eine wilde Mesalliance aus Neo-Noir- und Mindgame-Thriller, besitzt aber Charme; denn wie die Darsteller trägt der einst so einflussreiche ästhetische Stil quasi schon ein paar Charakterfalten im Gesicht.

Vollbremsung außerhalb der Matrix

Wachowski kann dann aber doch nicht auf vermeintlichen Tiefgang verzichten. Einmal aus der Matrix draußen, droht Schwafelgefahr. Im von der Generalin Niobe (Jada Pinkett Smith) geführten Widerstandsnest Zion, in dem man biologisches Farming mit niedlichen George-Lucas-Blechwesen praktiziert, legt der Film eine Vollbremsung hin.

Doch Neo wurde zum Glück nicht zum Erdbeerenpflücken wiedererweckt. Der dramatische Kern von Resurrections liegt in der zeitgemäßen Idee, dass es zur Rettung der Welt auch ein weibliches Händchen braucht. Können die Liebenden Neo und Trinity ihre Kraft aus einem vergangenen Leben regenerieren? Die Frage nach der Attraktivität des Alten bleibt letztlich auch für den Erfolg von Matrix 4 entscheidend. Die Antwort des Films erfolgt in manchmal zähen, manchmal zügigeren Etappen – mit den Jahren wird alles, auch eine Himmelfahrt, beschwerlicher. Das ist immerhin ehrlich. (Dominik Kamalzadeh, 22.12.2021)