Verbund-Chef Michael Strugl, der auch Branchensprecher ist, urgiert eine Roadmap zur Vollendung der Energiewende.

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Im zweiten Jahr der Pandemie hat man bei Österreichs größtem Stromkonzern Verbund, aber auch bei anderen Stromerzeugern eine gewisse Routine entwickelt. Wegen der anrollenden Omikron-Welle wird das Sicherheitskorsett jetzt wieder enger geschnürt. Verbund-Chef Michael Strugl, der auch Präsident von Österreichs Energie ist, beschäftigt aber auch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz intensiv.

STANDARD: Ein turbulentes Jahr geht zu Ende. Was davon wird in Erinnerung bleiben, das wir nicht schon Ende 2020 gewusst haben?

Strugl: Nicht alles konnte man antizipieren. Was die Transformation des Energiesystems betrifft, sind wir nur langsam vorwärtsgekommen. In einem Fotofinish ist es doch noch gelungen, per Initiativantrag von ÖVP, Grünen und SPÖ Änderungen beim Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) auf den Weg zu bringen, für das es nun auch grünes Licht aus Brüssel gibt. Jetzt kann das Gesetz im Jänner final beschlossen und in Kraft gesetzt werden. Wir schreiben dann aber schon das Jahr 2022.

STANDARD: Bis 2030 sollen laut Plan 100 Prozent des in Österreich benötigten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Ist das noch zu schaffen?

Branchensprecher Michael Strugl spricht im Zusammenhang mit der Energiewende von einer "Herkulesaufgabe".
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Strugl: Das wird eine Herkulesaufgabe. Es ist per se schon kein Sonntagsspaziergang, wenn man ein System umbaut. Das ist eine Operation am offenen Herzen. Die Energieversorgung muss weiter funktionieren, während wir sie transformieren – weg von fossil, hin zu erneuerbar. Der Zeitdruck ist enorm.

STANDARD: Worauf kommt es nun an?

Strugl: Wir brauchen jetzt einen Umsetzungsplan, eine Roadmap. Alle müssen an einem Strang ziehen.

STANDARD: Für mehr Windstrom, Photovoltaik und andere saubere Energiequellen braucht es Flächen und Widmungen.

Strugl: Das beste Gesetz bringt uns nichts, wenn wir es nicht umsetzen. Das hängt stark von den Ländern ab. Sie sind für die Raumordnung zuständig und müssen Flächen ausweisen, die wir für die Erzeugungsanlagen brauchen, im Übrigen auch für die Infrastruktur. Es müssen Leitungen gebaut werden, um den Strom vom Erzeugungsort zum Verbraucher zu bringen. Und wir brauchen auch Speicher.

STANDARD: Bei uns nicht, heißt es oft.

Strugl: Es ist länderweise unterschiedlich. Manche schieben massiv an, andere weniger. Zum Teil sind es Spiegelfechtereien, indem man sagt, "Wir sind schon zu 100 Prozent erneuerbar" oder "Wir machen alles auf bestehender Infrastruktur oder vorhandenen Dächern". Das ist nicht faktenbasiert.

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Für Windkraft- und Solaranlagen sind Flächen und entsprechende Widmungen notwendig.
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STANDARD: Warum?

Strugl: Wir haben das genau untersucht. Beispiel Photovoltaik: Mit allen geeigneten Dachflächen in Österreich schafft man ungefähr die Hälfte der elf Terawattstunden (TWh) Strom, die bis 2030 zusätzlich von PV-Anlagen kommen sollen (weitere zehn TWh aus Wind-, fünf TWh aus Wasserkraft und eine TWh Biomasse – insgesamt 27 TWh, Anm.). Wir benötigen auch Freiflächen, das sollen ja nicht die Böden sein. Es braucht aber die Bereitschaft der Länder.

STANDARD: Mit Appellen allein ist es offensichtlich nicht getan?

Strugl: Man muss im politischen Prozess die Länder ins Boot holen. Es braucht eine Art Konvent oder ein anderes Format, wo man sich auf einige Grundparameter einigt, wie man das angeht. Sonst haben wir wieder einen Fleckerlteppich.

STANDARD: Und die Akzeptanz der Bürger?

Strugl: Die herzustellen ist sehr wichtig. Es gibt eine Wechselwirkung: Die Landespolitik spürt, wenn sich die Bevölkerung dagegen wehrt, und verhält sich entsprechend. Man sollte Bürger über Beteiligungsmodelle miteinbeziehen.

STANDARD: Dazu sind ja die im EAG vorgesehenen Energiegemeinschaften gedacht – Bürger teilhaben lassen an der Stromproduktion, um sie positiv zu stimmen für die Sache, oder?

Strugl: Ich glaube, man muss darüber hinausgehen und auch bei größeren Anlagen wie Windparks oder Freiflächen-PV Beteiligungsmodelle vorsehen, um Kommunen und Bürger zu gewinnen.

"Einen Vorgeschmack, was die fortschreitende Erderwärmung anrichtet, bekommen wir in immer kürzeren Abständen serviert", sagt Verbund-Chef Michael Strugl.
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STANDARD: Konsequenzen hat es ja keine, wenn Österreich das Ziel verfehlt, bilanziell 100 Prozent des benötigten Stroms 2030 mittels erneuerbarer Energien zu produzieren, oder?

Strugl: Rechtlich gesehen nicht. Aber es hat gravierende Folgen, wenn wir es nicht schaffen, die CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren. Einen Vorgeschmack, was die fortschreitende Erderwärmung anrichtet, bekommen wir in immer kürzeren Abständen serviert. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wie der Klimaschutz auch.

STANDARD: Die Strompreise sind im Gleichklang mit anderen Energiepreisen dramatisch in die Höhe geschossen. Kann das als Peitsche für einen sparsameren Umgang damit wirken?

Strugl: Die hohen Energiepreise sind gefährlich für den Standort, sie machen auch der Wirtschaft sehr zu schaffen. Hätten wir früher in ganz Europa mehr an erneuerbarer Erzeugung dazugebaut, wären wir jetzt nicht in so hohem Ausmaß von Schwankungen bei fossilen Energieträgern betroffen.

STANDARD: Signifikant niedriger werden die Strompreise in absehbarer Zeit wohl nicht mehr.

Strugl: Im kommenden Jahr wird der Strompreis hoch bleiben, das zeigen die Futures-Notierungen. Die Folgejahre zeigen schon niedrigere Preise. Der Schlüssel für eine langfristige Dämpfung des Preisauftriebs ist ein Mehr an Erzeugung. Aber das wirkt erst längerfristig.

STANDARD: Omikron rauscht derzeit in vielen Ländern durch, in Österreich werden die Infektionszahlen wohl auch bald wieder steigen. Wie bereitet sich die E-Wirtschaft darauf vor?

Strugl: Wir sind Teil der kritischen Infrastruktur und haben deshalb einen höheren Sorgfaltsmaßstab anzulegen als andere Branchen. Bei Verbund haben wir seit Beginn der Pandemie einen permanenten Krisenstab. Wir versuchen so gut wie möglich Entwicklungen zu antizipieren und wissen bereits, was wir im Jänner machen. Das ist auch in anderen Unternehmen der Branche so.

Im Jänner gibt es aus Sicherheitsgründen wieder geteilte Teams in Kraftwerkswarten und anderen Einsatzorten, sagt Verbund-Chef Michael Strugl.
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STANDARD: Geteilte Teams?

Strugl: Teamsplitting dort, wo Mitarbeiter vor Ort sein müssen, beispielsweise bei Warten, im Hauptlastverteiler oder im Handelsraum. Getrennte Teams, die sich nicht begegnen, um Cluster zu verhindern, werden im Jänner wieder im Einsatz sein. Es gibt einen Bereitschaftsdienst für die Kraftwerkssicherheit. Wir haben auch die Lebensmittelvorräte an den Standorten aufgefüllt für den Fall, dass wir Kasernierungen vornehmen müssen. Darüber hinaus gibt es sehr strenge Sicherheitsauflagen.

STANDARD: Wird 2022 zum Jahr des Erneuerbaren-Ausbaus nach dem Stillstand heuer?

Strugl: Ich hoffe, dass wir die kurze Zeit, die wir noch haben bis 2030, mit deinem Massensprint beginnen, um die Projekte, die in der Pipeline sind, auf den Weg zu bringen.

STANDARD: Projekte und Geld gibt es genug?

Strugl: Beides ist da und auch die Bereitschaft der Branche, zu investieren. Was wir brauchen sind die Genehmigungen, die schnellen Verfahren und die Rechtsgrundlage dafür. (Günther Strobl, 22.12.2021)