Äthiopiens Armee hat die Rebellen zurückgedrängt.

Foto: AFP / Amanuel Sileshi

Auch nach dem Rückzug der Volksbefreiungsfront Tigrays (TPLF) hinter die Grenzen ihrer Provinz im Norden Äthiopiens hielten die Kampfhandlungen am Dienstag an. Augenzeugenberichten zufolge griffen Kampfjets und Drohnen der äthiopischen Streitkräfte Ziele in der Provinzhauptstadt Mekelle sowie in mehreren anderen Städten Tigrays an. Dabei sollen mindestens 28 Menschen ums Leben gekommen sein.

Über Twitter teilte Regierungssprecherin Billene Seyoum mit, man sei dabei, von "Terroristen" unsicher gemachte Gebiete innerhalb der angrenzenden Provinzen Amhara und Afar zu "säubern". Eine offizielle Stellungnahme der Regierung in Addis Abeba zum "Angebot" der TPLF für Waffenstillstandsgespräche gab es vorerst nicht.

In einem Brief an UN-Generalsekretär António Guterres hatte TPLF-Chef Debretsion Gebremichael am Sonntag den Rückzug angekündigt und von einer "entscheidenden Chance für den Frieden" gesprochen: "Wir schlagen die sofortige Einstellung von Feindseligkeiten und die Aufnahme von Verhandlungen vor." Voraussetzung für Friedensgespräche: ein Flugverbot militärischer Maschinen über Tigray, die Verhängung eines Waffenembargos über Äthiopien und Eritrea sowie die Öffnung der Blockade humanitärer Hilfslieferungen für die Provinzbevölkerung.

Drohender Hungertod

Nach UN-Angaben sind allein in Tigray rund fünf Millionen Menschen auf ausländische Hilfe angewiesen, Hunderttausende sollen vom Hungertod bedroht sein. Auch in der Amhara-Provinz wurden Hunderttausende vertrieben und benötigen Nahrungsmittelhilfe.

Regierungsfreundliche Medien und Nutzer sozialer Netzwerke bezeichneten das TPLF-Angebot unterdessen als "Farce". Damit wollten Tigrays "Terroristen" ihre "vernichtende militärische Niederlage" kaschieren, schreibt etwa die Zeitung "Borkena". Nachdem die Rebellen bis rund 150 Kilometer vor Addis Abeba vorgedrungen waren, hat der Bürgerkrieg Mitte November eine Wende erfahren.

Nun erlitten TPLF-Kämpfer eine Niederlage nach der anderen. Die Kehrtwende wird auf den Einsatz von Drohnen aus China, der Türkei und dem Iran zurückgeführt, diesen hatten die Rebellen nichts entgegenzusetzen. "Zuweilen waren bis zu zehn Drohnen gleichzeitig in der Luft", zitiert die "New York Times" den TPLF-Strategen Tsadkan Gebretensae: "Wir waren eine leichte Beute für sie."

Bei ihrem Rückzug sollen die Kämpfer aus Tigray verbrannte Erde hinterlassen haben. Augenzeugenberichten zufolge wurden zahllose Zivilisten erschossen, Banken geplündert und die Universität zerstört. Auch Nahrungsmittellager des Welternährungsprogramms WFP wurden nach UN-Angaben leergeräumt. Die UN-Menschenrechtskommission in Genf kündigte in der vergangenen Woche an, auf beiden Seiten gemeldeten Kriegsverbrechen nachgehen zu wollen – eine Ankündigung, die aufseiten der Regierung abgelehnt wurde.

"Welle an Übergriffen"

Im Westen der Tigray-Provinz, der nach wie vor von Soldaten aus dem eritreischen Nachbarland und Milizionären aus der Nachbarprovinz Amhara kontrolliert wird, soll es nach Berichten der Menschenrechtsgruppen Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) zu einer neuen "Welle an Übergriffen" gekommen sein. Dafür verantwortlich seien vor allem amharische Milizionäre, heißt es in einem gemeinsamen Bericht: Tigrinisch sprechende Zivilisten würden aus ihrer Heimat vertrieben, getötet oder in Lager gesteckt, wo sie Folterungen und dem Hungertod ausgesetzt würden. (Johannes Dieterich, 21.12.2021)