FPÖ-Chef Kickl trat demonstrativ mit dem gekündigten Med-Uni-Wien-Professor Sönnichsen auf.

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Was die Kerze hier vor ihm auf dem Tisch eigentlich darstellen solle, das sei er schon im Vorfeld der Pressekonferenz gefragt worden, sagte Herbert Kickl und gab sogleich Auskunft. Für den FPÖ-Chef passte sie nicht nur gut zur Advent- und Weihnachtszeit. Er wollte sich damit auch solidarisch zeigen mit dem Lichtermeer in Wien, bei dem am Sonntag tausende Menschen der Corona-Toten gedachten – allerdings mit Einschränkungen.

Für Kickl wäre es noch viel schöner und angebrachter gewesen, wie er sagte, auch der "anderen Opfer" dieser Pandemie zu gedenken, nämlich: der Grund- und Freiheitsrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Menschlichkeit und Menschenwürde sowie der Freiheit der Meinung und der Wissenschaft. All das sieht die FPÖ bekanntlich durch das Corona-Krisenmanagement der Regierung unterminiert.

Erzürnt über Szekeres

Kickl war über Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres erzürnt. Die Standesvertretung sei dabei, ihre Mitglieder zu erpressen. Kickl spielte damit auf ein Rundschreiben an, das Szekeres an Mediziner verschickt hatte. Darin werde angeführt, dass es "grundsätzlich keinen Grund gibt", von der Impfung abzuraten. Wer da nicht mitspiele, dem drohe der Jobverlust, polterte Kickl.

Dazu passend trat Kickl mit Andreas Sönnichsen auf. Der Arzt verlor erst vor kurzem seinen Job als Professor an der Medizinischen Universität Wien. Sönnichsen trat in den vergangenen Monaten immer wieder gegen Corona-Maßnahmen und gegen die Impfung auf – in einer Art, dass sich die Universität schließlich von seinen Positionen distanzierte. Auf die Homepage seiner Abteilung wurde dazu ein eigener Hinweis gestellt.

Sönnichsen stellte sich, wenig überraschend, mit etlichen weiteren impfskeptischen Ärzten gegen Szekeres und fiel mit dem widerlegten Sager auf, dass in den Spitälern überwiegend Geimpfte auf den Intensivstationen liegen würden. Schlussendlich musste er seinen Arbeitsplatz aber deshalb räumen, da er sich nicht an die Corona-Regeln des Unibetriebs gehalten habe.

"Besorgter" Bürger und Wissenschafter

Der Mitstreiter der Impfgegnerpartei MFG äußerte sich neben Kickl als "besorgter" Bürger und Wissenschafter. Aus seiner Sicht sei die Freiheit der Meinung und Wissenschaft in den vergangenen Pandemiemonaten zunehmend eingeschränkt worden. Er distanzierte sich von jeglichen Verschwörungstheorien, behauptete aber zeitgleich, dass das Ausmaß dieser Krise "maßlos überschätzt" werde.

Was dann folgte, war eine Aufzählung an Fakten und Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung – und deren Widerlegung bzw. das Betonen ihrer Nutzlosigkeit durch Sönnichsen. Bevorzugtes Ziel seiner Kritik: der Lockdown. Dieser, betonte er, habe keine Auswirkung auf das Infektionsgeschehen, die Kurve habe sich bereits vor Inkrafttreten gedreht. Seine Aussagen beinhalteten aber nicht die komplette Information. Er merkte an, der Höchststand an Neuinfektionen mit über 16.000 sei etwa eine Woche vor dem Lockdown gewesen. Tatsächlich war das am 16. November der Fall, fünf Tage vor dem allgemeinen Lockdown.

Der Lockdown für Ungeimpfte hatte allerdings schon am 14. November begonnen. Der Höchststand der Inzidenz unter Ungeimpften und nicht Genesenen war mit 3.031 am 22. November erreicht, also acht Tage nach dem Lockdown für Ungeimpfte. Detail am Rande: Eine der Lockdownstudien, die für die Maßnahmenskeptiker die fehlende Wirksamkeit belegen sollen, ist von den Herausgebern des Fachblatts vor einigen Tagen wegen methodologischer Probleme zurückgezogen worden.

Halbe Wahrheiten

Für die Wirkungslosigkeit des Lockdowns musste Schweden als Vergleichsland herhalten, das laut Sönnichsen wesentlich besser durch die Krise gekommen sei. Schweden hat aber die fast exakt gleiche Anzahl an CoV-Todesfällen wie Österreich, nämlich 1.492 pro Million Einwohner. In Österreich sind es 1.491. Auf vielen Ebenen kann man Österreich auch nur mäßig gut mit Schweden vergleichen, etwa was Lage und Besiedelungsdichte anbelangt. Auf diesen Umstand geht Sönnichsen nicht ein, auch fehlt der Vergleich mit weiteren Ländern. Dabei würde sich etwa Ungarn gut anbieten. Das hat, ebenfalls ohne Lockdowns, 3.951 Tote pro Million Einwohner zu beklagen oder in absoluten Zahlen 38.000, also in etwa die dreifache Anzahl im Vergleich zu Österreich.

Eine besonders absurde statistische Faktenverdrehung machte Sönnichsen dann bei der Kleinrechnung der bisher Genesenen in Österreich. Weil so viel getestet werde, halbierte Sönnichsen einfach völlig evidenzbefreit die Zahl der offiziell Infizierten in Österreich und reduzierte sie von gut 1,2 Millionen auf gut 600.000. (In Schweden, das ihm als Vorbild für eine maßvolle Durchseuchung gilt, waren übrigens auch nicht mehr Personen offiziell infiziert als die 1,2 Millionen in Österreich.)

Schlechte Taschenspielertricks

Der dreiste Taschenspielertrick von Sönnichsen ist insofern erstaunlich, als ihm die Zahl der Infizierten in Österreich zu Beginn der Pandemie immer viel zu gering erschien: Nur höhere Infektionszahlen würden nämlich die extrem niedrig angesetzte Infection Fatality Rate (Tote pro Infektionsfall) des von ihm hochgelobten, aber international mittlerweile umstrittenen Epidemiologen John Ioannidis bestätigen, der einen IFR-Median von 0,27 Prozent errechnete. Sollten in Österreich laut Sönnichsen bis jetzt tatsächlich nur 630.000 Menschen infiziert gewesen sein, würde das bei gut 13.000 CoV-Toten zu einer absurd hohen IFR von 2,1 Prozent führen.

Sönnichsens sinnbefreite Kleinrechnung der Infizierten diente ihm dazu, die Nebenwirkungen der Impfungen künstlich aufzublasen, was er mit weiteren Rechentricks bewerkstelligte. Er zitierte dafür eine Studie in "Nature Medicine", die ermittelte, wie viele Extrafälle von Myokarditis nach CoV-Infektionen und wie viele nach Impfungen auftreten. Nach Infektionen sind es 40 zusätzliche Fälle pro eine Million Infektionen, nach Impfungen mit Moderna sind es immerhin 16 pro eine Million. Bei den angeblich nur 630.000 Infektionen in Österreich ergibt sich laut Sönnichsens Milchmädchenrechnung ein ungünstigeres Verhältnis für die Impfung.

Irreführende Studieninterpretationen

Was dreifacher Humbug ist: Erstens sind die Infektionszahlen natürlich höher und nicht niedriger als die 1,2 Millionen. (Die Dunkelziffer wird auf rund 30 bis 40 Prozent geschätzt.) Was Sönnichsen zweitens unterschlug: In Österreich wird überwiegend mit Biontech/Pfizer geimpft und nicht mit Moderna. Und bei Comirnaty tritt laut Studie ein einziger zusätzlicher Myokarditis-Fall pro eine Million Impfungen auf. Drittens ist Covid-19 natürlich eine Lungenkrankheit: Myokarditis ist mithin nur eine der vielen Nebenwirkungen von Covid-19.

Weiters mussten anonyme Quellen, die man leider nicht verraten dürfe, für Falschinformation über Krankenhausbelegungen herhalten. Sönnichsen meinte, er habe Informationen, dass bei weitem nicht alle Corona-Patienten im Krankenhaus, die als ungeimpft geführt werden, das auch tatsächlich sind. Was der Hintergrund dafür sein soll, bleibt unerwähnt.

Verfälschung britischer Zahlen

Zudem wies er darauf hin, dass in Großbritannien das Verhältnis der Geimpften zu den Ungeimpften in den Krankenhäusern etwa halbe-halbe sei. Das gilt freilich nur, wenn man den Anteil der Geimpften und Ungeimpften in der Bevölkerung unterschlägt. Tatsache ist, dass im aktuellen britischen Covid-19-Bericht für Kalenderwoche 50 (auf Seite 33) klar darauf verwiesen wird, dass der Anteil der Ungeimpften, die wegen Covid-19 in den Spitälern behandelt werden müssen, "substanziell höher ist" als jener der Geimpften. Und "substanziell höher" ist leider auch die CoV-Todesrate der Ungeimpften verglichen mit jener der Geimpften. (Pia Kruckenhauser, Jan Michael Marchart, Klaus Taschwer, 21.12.2021)