Ulrich Elling bereitet Proben auf die Sequenzierung vor. Zuletzt langten bei ihm nur wenige Proben ein.

Foto: Heribert Corn

Es kommt einem vor wie ein schlechtes Déjà-vu: Anfang dieses Jahres wurde Österreich in der Pandemie am falschen Fuß erwischt, als sich die ersten Virusvarianten auszubreiten begannen. Vor allem dank der Sequenzierexperten Andreas Bergthaler und Ulrich Elling (beide von der ÖAW) ist es gelungen, einen recht guten Überblick über das Auftreten neuer Varianten in Österreich zu erhalten.

Nun droht Österreich aufgrund der Variante Omikron die fünfte und wohl höchste Welle an Neuinfektionszahlen – und ein Blindflug: Denn wir haben abermals nur wenig Ahnung, wo wir im Moment bei der Omikron-Rate stehen. Sind von den 1.907 am Dienstag (ohne Salzburg) gemeldeten Neuinfektionen nur zehn Prozent auf die neue, ansteckendere Variante zurückzuführen? Oder doch schon 50 Prozent?

Elling: "Wir wissen es einfach nicht"

"Wir wissen es einfach nicht", sagt Ulrich Elling im Gespräch mit dem STANDARD einigermaßen verzweifelt. Obwohl der aktuelle Omikron-Anteil gerade hinsichtlich der Kontaktempfehlungen für die Feiertage einen nicht unwichtigen Unterschied machen würde. Der weitgehende Blindflug liegt aber nicht an Elling und seinen Kollegen von der Wissenschaft. Der Flaschenhals ist die Logistik, konkret: die Belieferung der Sequenzierlabors: "Wir erhalten aktuell leider aus den meisten Bundesländern nur relativ sporadisch Proben, die typischerweise mehrere Wochen alt sind", sagt Elling, der seinem Frust am Dienstag auch im Ö1-"Morgenjournal" Ausdruck verliehen hat.

Sein Unmut ist gut nachvollziehbar: Der Forscher vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) hat mit seinem Team eine hocheffiziente und noch dazu extrem günstige Sequenziermethode entwickelt: Bis zu 5.000 Proben pro Woche könnte er zu einem Stückpreis von rund 25 Euro analysieren. Allein: Diese einzigartigen Möglichkeiten werden viel zu wenig in Anspruch genommen.

Klaffende Datenlücken

Welche Zahlen sind nun offiziell bekannt? Laut dem am Dienstag aktualisierten Varianten-Dashboard der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages), die für die Überwachung der Virusvarianten zuständig ist, gab es in der gesamten Vorwoche erst 278 Omikron-Fälle in ganz Österreich. Eine Aufschlüsselung der Wochenstatistik nach Bundesländern fehlt allerdings. Bei dieser würde sich nämlich zeigen, dass in den meisten Bundesländern weder das variantenspezifische PCR-Testen noch das Sequenzieren funktionieren dürften.

Warum die Ages am 21. Dezember 2021 immer noch die Alpha, Beta und Gamma-Zahlen angibt, aber nicht die aktuellen Omikron-Zahlen für diesen Tag, ist nicht wirklich nachvollziehbar.
Quelle: Ages

Seit Freitag allein in Wien 175 neue Omikron-Fälle

Denn dafür sind die Fallzahlen einfach zu niedrig. Die mit Abstand meisten Omikron-Fälle wurden aus Wien gemeldet, wo man dank einer funktionierenden Testinfrastruktur den besten Überblick hat: Bis zum 17. Dezember wurden hier insgesamt nur 91 Infektionen mit Omikron registriert. Am Dienstag waren es bereits insgesamt 266 – also die dreifache Zahl, wie ein Sprecher von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) auf Anfrage des STANDARD sagte. Das entspricht auch den Steigerungsraten, die aus Ländern wie Dänemark oder Großbritannien bekannt sind.

Dort hat man vor allem am Beginn der Omikron-Ausbreitung einen Verdoppelungszeitraum von zwei bis drei Tagen gesehen. Angesichts dieses extrem schnellen Anstiegs der Omikron-Fallzahlen bemühte der Komplexitätsforscher Peter Klimek im dienstägigen Ö1-"Mittagsjournal" eine dramatische Metapher für das, was uns in den nächsten Tagen erwarten dürfte: Weil die Welle so steil ist, müsse man eher von einer Wand sprechen, die auf uns zukommen wird.

Klimek hat aber auch zwei positive Botschaften: Durch Impfungen und Genesungen habe sich in der Bevölkerung eine Immunität aufgebaut, weshalb nicht unbedingt mit einer höheren Zahl an Spitalspatienten zu rechnen sei. Und: Je steiler die Welle werde, desto früher könne sie auch wieder vorbei sein. (Klaus Taschwer, David Krutzler, 21.12.2021)