Milorad Dodik erfreut sich bester Beziehungen zu Ungarn.

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Einige bosnische Parteien forderten am Dienstag, dass Untersuchungen gegen den ungarischen EU-Kommissar Olivér Várhelyi eingeleitet werden. Zuvor war ein internes EU-Dokument durchgestochen worden, das aufschlussreiche Informationen liefert: Várhelyi hat offenbar mit dem rechtsextremen bosnisch-serbischen Politiker Milorad Dodik, der den Staat Bosnien-Herzegowina zerstören will, in einem Treffen Ende November intransparente Deals vereinbart. Etwa dass dieser den Ausstieg des Landesteils Republika Srpska aus den gemeinsamen staatlichen Institutionen (Steuer, Militär, Justiz) um ein halbes Jahr verschieben wird. Dafür sollte die Republika Srpska (RS) offenbar in einem "Paket-Deal" im Rahmen des europäischen Investitionsprogramms Geld von der EU bekommen.

Die SNSD unter ihrem Parteichef Milorad Dodik droht seit Oktober ganz konkret, aus den gemeinsamen staatlichen Institutionen auszusteigen. Dodik drängt aber bereits seit vielen Jahren auf eine Sezession der Republik Srpska von Bosnien-Herzegowina, also auf das alte Kriegsziel in den 1990ern. Ein Gesetz, das den Austritt aus der gemeinsamen Arzneimittelbehörde vorsieht, wurde bereits im Parlament der Republika Srpska verabschiedet.

"Feindliche Aktivitäten"

In bosnischen Medien wird die Vermutung gehegt, dass das EU-Dokument zeige, dass ein Teil der internationalen Gemeinschaft verdeckte Unterstützung für die sezessionistischen Absichten von Dodik und die Führung der Republika Srpska hätte. Die Rolle Ungarns in der Region wird mit besonderem Misstrauen gesehen.

Zlatan Begić von der Partei Demokratska Fronta (DF) meinte, Várhelyi sei in "feindliche Aktivitäten" verwickelt. "Ich fordere die EU-Institutionen auf, im Rahmen ihrer Zuständigkeit gegen solche Missbräuche vorzugehen, die gegen die Rechtsstaatlichkeit, die Verfassung von Bosnien-Herzegowina und das Friedensabkommen von Dayton verstoßen", so Begić. Der Abgeordnete der bosniakischen SDA, Semsudin Mehmedović, sagte, die Staatsanwaltschaft solle Ermittlungen gegen Várhelyi einleiten.

Geld für Dodik

Tatsächlich gab es in jüngster Zeit eine als einseitig betrachtete Diplomatie Ungarns gegenüber Bosnien-Herzegowina. So traf sich der ungarische Premier Viktor Orbán mit Dodik Anfang November in dessen Heimatort Laktaši unweit von Banja Luka. Dann sickerte durch, dass Varhelyi sich dafür einsetzte, dass die Republika Srpska, die Geldnöte hat, 90 Prozent jenes ungeklärten Staatseigentums bekommen soll, das auf dem Territorium der RS liegt. Für die Klärung der Zuweisung des Staatseigentums ist aber nicht die EU, sondern das Amt des Hohen Repräsentanten (OHR) zuständig, also der Deutsche Christian Schmidt.

Kürzlich wurde auch noch ruchbar, dass die EU-Kommission der Republika Srpska Zuschüsse und Kredite in der Höhe von insgesamt 642,8 Millionen Euro gewähren könnte. "Angeblich bereitet die Europäische Kommission Subventionen und Kredite an die RS in Höhe von mehr als 600 Millionen Euro vor. Eine Woche nach der Verabschiedung von Dodiks sezessionistischen Beschlüssen in der Nationalversammlung der RS (NARS) wäre das absolut unerträglich", kritisierte die niederländische EU-Abgeordnete Tineke Strik.

Entwicklungen vor Ort

Die Sprecherin der EU-Kommission, Ana Pisonero-Hernandez, meint dazu zum STANDARD: "Gespräche mit EU-Mitgliedsstaaten, Partnerländern und internationalen Finanzinstitutionen im Rahmen des Westbalkan-Investitionsrahmens sollten die Relevanz und Reife der Vorschläge ohne abschließende Stellungnahme überprüfen. Entwicklungen vor Ort werden berücksichtigt, bevor entsprechende Investitionsentscheidungen getroffen werden."

Tatsächlich benötigt die Republika Srpska Geld von außen. Sie hat zwei Staatsanleihen ausgegeben, eine davon an der Wiener Börse, die einen hohen Zinssatz von 4,75 Prozent haben. Auf Nachfrage des STANDARD bei der Wiener Börse heißt es dort, dass die RS jeweils am 28. Dezember und 28. Juni die Zinsen bezahlen müsse. Die Anleihe selbst, 200 Millionen Euro aus dem Jahr 2018, sei am 28. Juni 2023 fällig. Die Frage, ob Bosnien-Herzegowina im Fall, dass die RS nicht bezahlen kann, haften würde, kann die Wiener Börse dem STANDARD nicht beantworten. "Diese Anleihe ist so wie fast alle Anleihen eine Inhaber-Schuldverschreibung, das heißt, die Namen der Investoren sind nicht bekannt. Unseres Wissens nach wurde nicht an österreichische Investoren verkauft. Die Stückelung beträgt übrigens 100.000 Euro. Es ist also kein Retail-Papier", informiert Laura Marchler von der Wiener Börse.

Abstimmung zwischen Várhelyi und Dodik

Das Engagement Várhelyis für Dodik ist aber nicht nur wegen der Geldspritzen ein großes Thema in Bosnien-Herzegowina. Es geht grundsätzlich darum, dass sich der ungarische Kommissar für Erweiterungsverhandlungen offenbar mit Dodik über dessen Vorgehen abstimmt.

In dem EU-Dokument heißt es konkret, dass Dodik Bereitschaft signalisiert habe, die "Abstimmung über den einseitigen Rückzug der RS aus staatlichen Institutionen um einen Zeitraum von sechs Monaten" zu verschieben. Dies bedeutet in der Praxis, dass Dodik im Frühjahr 2022 seine Sezessionsdrohungen gerade rechtzeitig für den Wahlkampf wieder aufnehmen kann. Várhelyi hat laut dem EU-Dokument demnach mit Dodik Einverständnis darüber erzielt, dass am 10. Dezember eine Sitzung des Parlaments der Republika Srpska stattfinden werde, wo der Austritt aus den gemeinsamen staatlichen Institutionen zwar beschlossen werde, aber die konkreten Gesetze dazu verschoben würden. "Dies sei vereinbart worden, und Vertreter der RS würden für jegliche gegenteiligen Handlungen zur Rechenschaft gezogen", heißt es in dem EU-Dokument.

Paket-Deal

Weiters ging es Várhelyi Ende November offenbar um einen Deal. "Im Hinblick auf die Überwindung der schwierigen politischen Situation sah der Kommissar, dass ein fragiles politisches Paket erzielt werden könnte, das sich auf drei Themen konzentriert", heißt es in dem EU-Dokument. Dazu gehören die Verteilung des Staatseigentums, das Gesetz, das die Leugnung von Kriegsverbrechen und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern unter Strafe stellt, und die Verfassungsreform.

Das Leugnungsgesetz wurde im Sommer vom ehemaligen Hohen Repräsentanten Valentin Inzko durch seine Bonner Vollmachten erlassen. Dodik und seine SNSD lehnen dieses Gesetz ab und nahmen es zum Anlass, die Institutionen zu blockieren. Nun will Várhelyi offenbar das Gesetz im Sinne von Dodik ändern. Die Schuld für die politische Krise in Bosnien-Herzegowina schiebt er Inzko zu. Konkret heißt es dazu in dem Text: "Der Kommissar betonte die Bedeutung des Mandats des Amtes des Hohen Repräsentanten und dass der Hohe Repräsentant Schmidt nicht an der aktuellen Situation schuld sei. Der Kommissar teilte seine offene Einschätzung mit, dass sein Vorgänger, der Hohe Repräsentant Inzko, für die aktuelle politische Krise in Bosnien und Herzegowina verantwortlich sei sowie für die Delegitimierung des OHR." Várhelyi kritisierte zudem, dass Inzko das Leugnungsgesetz am Ende seiner Amtszeit ohne "gründliche Debatte" erlassen habe.

Jahrelange Debatte

Tatsache ist, dass es in Bosnien-Herzegowina vor dem Leugnungsgesetz viele Jahre lang eine Debatte über so ein Gesetz gab und zahlreiche parlamentarische Anträge dafür eingereicht wurden, diese aber immer am Widerstand der Nationalisten scheiterten. Diese nationalistischen Kräfte negieren oder verharmlosen die Kriegsverbrechen oder die Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnienkriegs (1992–1995). Seit der Einführung des Gesetzes sind allerdings diese Leugnungen und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern zurückgegangen.

In Bosnien-Herzegowina wird im Zusammenhang mit dem Vorgehen von Dodik immer wieder auf das Zweite Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften in Belgrad aus dem Jahr 2011 verwiesen, bei dem es neuerlich um eine großserbische Strategie geht, etwa darum, die Republika Srpska und Serbien infrastrukturell und wirtschaftlich zu verbinden, oder auch darum, den Staat Bosnien-Herzegowina und seine Institutionen ständig abzulehnen, indem man etwa behauptet, er sei etwas "Unnatürliches". Genau das tut Dodik seit vielen Jahren.

Veto gegen Sanktionen

Die Rolle Ungarns, dessen rechtspopulistische Regierung ganz offensichtlich die Nationalisten auf dem Westbalkan unterstützt, sorgt jedenfalls für Irritation. Kürzlich hat der ungarische Außenminister Péter Szijjártó mit einem Veto gedroht, sollte es Sanktionen gegen Dodik geben. Ungarn wird keine Sanktionen gegen den Führer der Serben in Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, unterstützen. Wenn es einen solchen Vorschlag gibt, werden wir unser Veto einlegen", sagte Szijjártó. Nun ist Dodik kein "Führer der Serben", sondern Chef einer Partei – es gibt auch eine Opposition. Die EU-Staaten können mit einem Mehrheitsbeschluss Sanktionen einführen. (Adelheid Wölfl, 22.12.2021)