Werner Kogler: "Es gibt Strukturen, die sehr österreichisch sind, die in anderen Ländern gar nie so entstanden wären."

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Es hätte ein Gespräch werden sollen, das Corona weitgehend ausklammert – was sich dann doch nicht ganz ausgegangen ist. Sportminister und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) gibt jenen recht, die gerne eine Impfkampagne mit Sportstars gesehen hätten, sowie jenen, die die Sportinfrastruktur und das Sportfördersystem für verbesserungswürdig halten. Er hofft, dass der neue Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) ein offenes Ohr für ihn hat. "Mal sehen, was uns gelingt."

STANDARD: In Österreich wurden Sportstars – wie ja auch Prominente aus Kunst und Kultur – kaum in Impfkampagnen eingebunden. Hätte hier nicht mehr passieren können, passieren sollen?

Kogler: Die Frage ist berechtigt. Im Sport wäre sicher noch etwas möglich, und zwar aus drei Gründen: erstens wegen der Vorbildwirkung für viele Jüngere. Zweitens sind Spitzensportler in ständiger medizinischer Betreuung. Und wenn Ärzte den Athletinnen und Athleten zur Impfung raten, spricht das natürlich für die Impfung. Und drittens ist der Körper das Kapital der Athleten, die sich ganz genau überlegen, was sie mit ihrem Körper anstellen. Und ganz offensichtlich verringert eine Corona-Impfung nicht die Leistungsfähigkeit, wohingegen die Krankheit dieses Risiko sicher mit sich bringt.

STANDARD: In vielen anderen Ländern, etwa in den USA, aber auch in England und Deutschland, waren Stadien und Sportarenen zuletzt mit Publikum gefüllt wie zu Vor-Corona-Zeiten. Machen diese Länder etwas falsch, oder ist Österreich übervorsichtig?

Kogler: Ich sehe das natürlich kritisch. Die Modellrechner legen schon das Kurvenlineal an, weil die Zahlen wieder exponentiell steigen werden. Bei der Urvariante des Virus konnten wir ziemlich viele Freiheiten erlauben, deshalb konnte Sport im Freien und ohne Körperkontakt auch rasch wieder stattfinden. Wir schauen schon sehr genau in die anderen Länder, und in manchen, etwa in Dänemark, schaut es grimmig aus. Aber uns ist klar, dass der Mensch auf Dauer auch ein anderes Leben braucht, ein Leben abseits von Homeoffice, Inzidenzzahlen und Hospitalisierungen.

In der Premier League sind volle Ränge nach wie vor erlaubt.
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STANDARD: Kommt dem Sport in Krisenzeiten sogar mehr Bedeutung zu als sonst?

Kogler: Bewegung gehört einfach dazu. Wenn du nur Einschränkungen hast, ist das irgendwann nicht gesund. Dieses Abwägen, was wie lange erlaubt sein kann, ist wichtig und essenziell, aber oft ungemein schwierig.

STANDARD: Viele Menschen in Großstädten haben derzeit das Gefühl, dass sie punkto Freiluftsport speziell im Winter benachteiligt sind, weil die Skipisten eben nicht vor der Haustüre liegen. In Wien gibt es einige Eislaufplätze, das war es. Wie kann ein Sportministerium da gegensteuern?

Kogler: Die Möglichkeiten auf dem Land sind sicher andere. Wir können natürlich nicht auf die Schnelle die Winterinfrastruktur einfach in die Stadt bringen. Wir wollen jedenfalls Indoor-Sport ermöglichen, solange es irgendwie geht, mit 2G sind wir da ganz gut unterwegs. Die Rate der Immunisierung ist in diesem Zusammenhang auch ein wesentlicher Faktor. Offen bleibt natürlich die Entwicklung durch die neuen Virusvarianten. Zu vieles ist hier noch unsicher.

STANDARD: Stichwort Infrastruktur. Wien ist das einzige Bundesland, in dem keine Leichtathletik-Meisterschaften stattfinden können, weil es keine dafür geeignete Anlage gibt. Im Schwimmen kommen permanent Hinweise aus dem Spitzen- und aus dem Breitensport, dass es viel zu wenige Möglichkeiten gibt. Auch wenn die meisten Sportstätten in die Verantwortung der Länder fallen – ist das nicht ein Armutszeugnis für eine Zwei-Millionen-Stadt?

Kogler: Mittelfristig wird österreichweit helfen, dass wir das über viele Jahre vernachlässigte Projekt einer Sportstättendatenbank umsetzen. Jedes Bundesland schaut da natürlich in erster Linie auf sich selbst. Ich als Sportminister muss aber das Ganze im Blick haben. Konkret: Bei den Hallen ist in Wien einiges im Entstehen. Die Initialzündung muss immer vom Land kommen. Aber eines ist auch klar: Der Bund kann nur dann unterstützen, wenn Bundesrelevanz gegeben ist. Dramatischer ist für mich die Lage beim Schwimmen. Schwimmen zu können kann lebenswichtig sein. Allerdings verursachen der Bau und Betrieb einer Schwimmhalle enorme Kosten. Da sprengen wir rasch alle finanziellen Dimensionen des Sportbudgets, weshalb wir über andere Wege zu einer Lösung für ein möglichst flächendeckendes Angebot kommen müssen. Dafür muss es sicher von Bund und Ländern eine politische Grundsatzentscheidung geben, die über viele Jahre und einige Legislaturperioden mitgetragen wird.

STANDARD: Welche Bedeutung haben Erfolge heimischer Spitzensportlerinnen und Spitzensportler? Wie wirken sie sich aus?

Kogler: Es gibt natürlich einen Zusammenhang zwischen Breite und Spitze. Bewegungskultur im weitesten Sinn ist für eine Volkswirtschaft enorm wichtig. Aber die Effekte von Maßnahmen treten oft erst sehr spät ein, deshalb braucht es einen langen Atem. Wir müssen die Menschen motivieren, sich mehr zu bewegen. Da helfen Erfolge im Spitzensport, aber insgesamt kann das nur über Vereine und die Schule funktionieren. Eine Taskforce aus Sport- und Bildungsministerium sowie Sport Austria hat erstmals in der langen Geschichte der täglichen Bewegungseinheit ganz konkrete Modelle entwickelt, wie sie zeitnah Wirklichkeit werden kann.

STANDARD: Ist Ihnen persönlich wichtig, wie Österreich bei einem Großevent im Medaillenspiegel abschneidet?

Kogler: Man ist schon gerne vorne dabei, keine Frage. Aber bei aller Liebe zum Welterfolg – es ist wichtig, dass es für die Spitzensportler eine Absicherung gibt. Die schulische oder fachliche Ausbildung neben dem Sport muss den Namen verdienen. Denn es können nur sehr, sehr wenige Olympia-Medaillengewinner sein. Das Leben besteht nicht nur aus Rang eins. Das Streben nach Medaillen darf nicht dazu führen, dass manche Athletinnen und Athleten Gefahr laufen, langfristig auf der Strecke zu bleiben.

STANDARD: Wie treffsicher ist Österreichs Sportförderung? Zuletzt gab es Kritik an den Kriterien der allgemeinen Verbandsförderung. Auch der Rechnungshof hatte am Sportfördersystem schon einiges auszusetzen.

Kogler: Wir haben eine Sportförder- und Entscheidungsstruktur übernommen, die sehr österreichisch ist. Es gibt Strukturen, die in anderen Ländern gar nie so entstanden wären mit Dach- und Fachverbänden sowie einem weitverzweigten, föderalen System. Insofern ist Sportförderung in der Spitze schon davon abhängig, wie gut Erfolgsfaktoren messbar sind. Mein Zugang war, seit Ausbruch der Pandemie umso mehr, dass mit dem bestehenden System weitergefahren wird. Alles andere hätte in dieser Zeit keinen Sinn ergeben.

STANDARD: Gibt es Überlegungen, das zu ändern?

Kogler: Man muss sicher adaptieren. Mir ist wichtig, dass Ziele definiert werden, entlang deren man Budgets festschnüren kann. Ich war am Anfang dem System gegenüber doch sehr kritisch eingestellt, muss aber betonen, dass vieles in Kooperation besser funktioniert, als ich gedacht habe.

STANDARD: Seit vielen Jahren sind es ziemlich genau 80 Millionen Euro aus den Lotterieeinnahmen, die den Großteil des Sportbudgets ausmachen. Eine Wertanpassung gab es nie, was von Sportorganisationen regelmäßig kritisiert wird. Zu Recht?

Kogler: Das kann ich schon verstehen. Der Sockelbetrag sind immer diese 80 Millionen Euro, das stimmt. Aber wenn es Mehreinnahmen gab, wurden die entsprechend der Auslegung des Glücksspielgesetzes weitergegeben. Das Ziel ist sicher, mit dem neuen Finanzminister hier in ordentlichen Dimensionen nachzuziehen. Mal sehen, was uns gelingt. Ich habe den Eindruck, dass Magnus Brunner sehr sportaffin ist.

STANDARD: Wie hat sich Ihr Sportinteresse als zuständiger Minister verändert?

Kogler: Ich war immer ein TV-Sportjunkie und bin gerne zu Veranstaltungen gegangen, etwa ins Fußballstadion. Sie können mir glauben, ich kenne auch die Ski-Nationenwertung. Mein Interesse ist nun jedenfalls noch viel breiter geworden. (Fritz Neumann, 23.12.2021)