Mehr als 75 Millionen Menschen sind weltweit in der Textilindustrie tätig. Durch die Automatisierung könnten einige künftig ersetzt werden.

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Kurz vor Weihnachten schnellten die Verkäufe von Gewand wieder nach oben, und neue Weihnachtspullover, Pyjamas, T-Shirts und Jeans landeten wenig später eingepackt unter dem Christbaum. So schön die Geschenke sein können, sie haben oft auch eine Schattenseite: Denn die Herstellung der Textilien ist oft äußerst bedenklich, die Industrie verschmutzt Böden, Flüsse und die Luft, kritisieren Umweltschützer immer wieder. Die Textilindustrie ist laut Uno weltweit für ein Fünftel der industriellen Wasserverschmutzung verantwortlich und stößt zwei bis acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. Hinzu kommen oftmals ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, eine wachsende Nachfrage nach Textilien und eine immer kürzere Lebensdauer der fertigen Produkte.

Die Lösung – zumindest wenn es nach einem Robotik-Unternehmen in den USA geht: Näherinnen und Näher durch Maschinen zu ersetzen und die Textilproduktion gänzlich zu automatisieren. Mithilfe der sogenannten Sewbots will das US-amerikanische Unternehmen Softwear Automation künftig bis zu einer Milliarde T-Shirts in den USA produzieren – mit weniger Wassereinsatz und weniger Schäden für die Umwelt, versprechen die Entwickler. Dafür setzen die Maschinen unter anderem auf Technologien aus dem 3D-Druck.

Kameras als Augen

Ganz neu ist die Automatisierung in der Textilbranche nicht. Maschinen übernehmen vielerorts bereits einzelne Aufgaben, bedrucken T-Shirts, schneiden Stoff oder verpacken fertige Kleidungsstücke. Bisher war es laut Experten allerdings äußerst schwierig, ein Kleidungsstück komplett automatisiert herzustellen. Denn für die Arbeit des Nähens waren die meisten Maschinen nicht geeignet. Kleidungsstücke dehnen sich während der Verarbeitung je nach Stoff und Herkunft der Baumwolle unterschiedlich aus, Maschinen müssten sich bei der Herstellung ständig an den veränderten Stoff anpassen.

Damit das funktioniert, sind die Sewbots laut Softwear mit dutzenden Kameras und Sensoren ausgestattet, mit deren Hilfe die Roboter die Textilien je nach Beschaffenheit richtig zusammennähen sollen. Über die vergangenen Jahre sei die künstliche Intelligenz hinter den Maschinen so trainiert worden, dass sie kleine Veränderungen im Stoff erkennen und sich ohne großen Unterbrechungen daran anpassen könne. Nach 50 Sekunden sollen die Roboter aus dem einfachen Stoff ein fertiges T-Shirt produzieren können, so Softwear.

So stellen die Sewbots die T-Shirts her.
Tech in Asia

Recycling von Textilien

Laut dem Unternehmen soll die Textilproduktion dadurch nicht nur sozial verträglicher, sondern auch ökologischer werden. Demnach sei der ökologische Fußabdruck um fünfzig Prozent geringer als im herkömmlichen Textilsektor. Grund dafür sei, dass man das Wasser, das bei der Herstellung der Textilien von den Maschinen verwendet wird, wiederverwende und neu aufbereite. Zudem sollen Menschen alte T-Shirts, die von dem Unternehmen stammen, wieder zurückschicken können, wo der Stoff wieder zu neuen T-Shirts verarbeitet werde.

Nicht zuletzt bestehe ein Vorteil der Sewbots darin, dass diese bald auch persönlich zugeschnittene Kleidungsteile schneller zusammennähen und so auch von Designerinnen und Designern genutzt werden könnten, heißt es von Softwear. Eines Tages sei es dadurch auch möglich, dass sich jeder persönlich seine eigenen Kleidungsstücke zusammenstellen und innerhalb kurzer Zeit lokal von den Sewbots produzieren lassen könne, so die Vision.

Billige Preise aus dem Ausland

Jedoch scheiterten bisherige Vorhaben, die Textilproduktion großflächig zu automatisieren, häufig auch an der Konkurrenz: Denn mit dem Preis von Gewand aus Ländern, in denen das Gehalt von Textilarbeitern weit unter jenem in den USA und vielen Ländern Europas liegt, können lokale Hersteller kaum mithalten, so das Argument einiger Branchenvertreter. Mehr als hundert Millionen Tonnen Textilien werden jedes Jahr weltweit produziert, die meisten davon in Ländern wie China oder Indien. Laut Softwear sei man jedoch optimistisch, mithilfe der Sewbots schon bald auch in größerem Stil mit den niedrigen Preisen aus dem Ausland mithalten zu können.

Hinzu kommt jedoch eine weitere Schwierigkeit: Während erfahrene Näherinnen und Näher bei der Herstellung schnell zwischen unterschiedlichen Kleidungsstücken hin und her wechseln können – beispielsweise von T-Shirts auf Jeans –, ist diese Aufgabe für die Roboter weit schwieriger. Immerhin müssen das Fließband und die Maschinen in den meisten Fällen genau auf die Herstellung bestimmter Produkte eingestellt werden. Das sei mit ein Grund, weshalb sich Softwear vorerst auf die Herstellung von T-Shirts konzentriere, heißt es von dem Unternehmen.

Vernichtung von Jobs

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, welche sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen eine solche Automatisierung in Entwicklungsländern hätte. Immerhin sind laut Uno mehr als 75 Millionen Menschen weltweit in der Textilproduktion beschäftigt. Wenn mehr Textilien künftig automatisiert in den USA oder Europa hergestellt werden, könnte das für viele Menschen Job- und Einnahmeverluste bedeuten, fürchten einige Entwicklungsexperten. Laut Softwear trage man mit den Sewbots jedoch auch dazu bei, neue, besser bezahlte Jobs für Menschen zu schaffen, die dann beispielsweise die Maschinen überwachen.

Noch ist es wohl ohnehin zu früh, in dem Vorhaben eine wirkliche Alternative zu herkömmlich hergestellten Textilien zu sehen. Denn von der Milliarde T-Shirts, die das Unternehmen eines Tages pro Jahr in den USA herstellen will, ist es im Moment noch weit entfernt. Dafür bräuchte es in den nächsten Jahren wohl tausende mehr Sewbots.

Für jene Menschen, die den ökologischen Fußabdruck beim Kleidungseinkauf reduzieren wollen, gebe es aber auch ohne moderner Roboterproduktion bereits einige Möglichkeiten, sagen Umweltschützerinnen und Umweltschützer: Secondhand-Kleidung kaufen, Kleidung länger benutzen oder einfach weniger einkaufen. (Jakob Pallinger, 29.12.2021)