"Kena: Bridge of Spirits" ist vermutlich das hübscheste Indiespiel des Jahres.

Foto: Ember Lab

2021 war kein besonders gutes Spielejahr, liest man hie und da, und der Blick auf den Releasekalender der Großen der Branche scheint das zu bestätigen. Chip- und Hardware-Lieferschwierigkeiten, pandemiebedingte Verzögerungen und nicht zuletzt eine Reihe von handfesten Skandalen haben das Vertrauen in die Branchenriesen nicht gerade gestärkt.

Das zeigt sich auch in den "Spiele des Jahres"-Listen und den Awards: Wo sich sonst die Großen drängeln, finden sich 2021 erstaunlich viele Spiele kleinerer Entwickler. Für alle, die nicht ausschließlich auf Hochglanz-Blockbuster schauen, war 2021 ein mehr als solides Jahr – und wegen diverser Lockdowns und des Mangels an großen Titeln haben sich auch vermehrt AAA-Verfechter mit den "Kleinen" beschäftigt. Ein Blick zurück auf das Indie-Jahr 2021 – mit etwa zwei Dutzend Highlights aus zwölf Monaten.

Frühling ohne AAA

Der Schreck des wackligen "Cyberpunk"-Launchs steckte vielen noch in den Knochen, große Releases gibt's zu Jahresbeginn aber traditionell ohnehin kaum – dieses Jahr war's noch dünner als sonst. Mit "The Medium" des polnischen Indiestudios Bloober Team konnten Horrorfans allerdings schon im Jänner Gänsehaut genießen – DER STANDARD hat getestet. Wer's aufbaustrategischer liebt, griff zum hervorragenden Early-Access-Titel "Dyson Sphere Program", der das Spielprinzip des Indie-Bestsellers "Factorio" in schickes 3D übersetzt. Elf Monate nach dem Frühstart überschlagen sich fast 50.000 "überwältigend positive" Rezensionen mit Lob – wir haben das Spiel schon bei Launch vor den Vorhang geholt.

Der größte Early-Access-Hype des Jahres folgte aber unmittelbar darauf: Das Sandbox-Phänomen "Valheim" ließ im Februar die Blockbuster-Dürre verschmerzen. Seit unserem Test hat sich das Wikingerspiel über acht Millionen Mal verkauft – und ist damit wohl unangefochten das kommerziell erfolgreichste Indiespiel des Jahres. Mit "Little Nightmares 2", "Loop Hero" und "Mundaun" folgten im ersten Jahresviertel noch drei sehr unterschiedliche, einzigartige Indie-Hochkaräter – ein starker Start in ein gutes Jahr für Indiespiele.

Aber ist das noch Indie?

Das zweite Quartal brachte mit "Resident Evil Village", dem Remake von "Mass Effect" und "Outriders" endlich ein wenig AAA-Futter, doch auch in der Preisklasse darunter gab es Grund zur Freude. Mit dem entspannten Kartenlegespiel "Dorfromantik" gelang dem Berliner Indiestudio Toukana ein heimlicher Games-Höhepunkt des Jahres – zahlreiche Awards und knapp 12.000 hymnische Rezensionen auf Steam sprechen ebenso für das Early-Access-Spiel wie der Gewinn in der Kategorie "Bestes Debüt" beim Deutschen Computerspielpreis.

Apropos Awards: Es lässt sich trefflich darüber diskutieren, ob zwei der just in diesem Zeitraum erschienenen Spiele, die in kaum einer Jahresbestenliste fehlen – nämlich "Returnal" und "It Takes Two" –, nicht auch ihren Platz in diesem Indie-Rückblick verdient hätten. Beide sind zwar formal unter dem Dach großer Publisher erschienen, doch sowohl die Macher des PS5-Krachers, die finnischen Arcade-Urgesteine Housemarque, als auch das schwedische Studio Hazelight entstammen zumindest in ihrer Firmengeschichte eindeutig dem Indie-Universum.

Bei "Subnautica Below Zero", "Overboard!" und "Roguebook" stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit zumindest noch nicht – als nennenswerte Indie-Highlights des Frühsommers haben sie aber für jede Menge gelungenen Zeitvertreib gesorgt.

Saure-Gurken-Zeit? Abgesagt!

Der Sommer gilt Blockbusterfreunden seit jeher als eher maue Zeit, doch Spielenachschub gab es natürlich trotzdem jede Menge: Mit "Wildermyth" kam Ende Juni ein Rollenspielgeheimtipp aus dem Early Access, der ebenso auf zahlreichen Jahresbestenlisten zu finden ist wie "Death's Door" – beide zeigen eindrucksvoll, dass sich auch mit vergleichsweise kleinen Budgets hervorragende Spiele realisieren lassen.

Das originelle "Forgotten City" ist hingegen ein schönes Beispiel für die kreative Befruchtung, die von der Modding-Community ausgeht: Die ehemalige "Skyrim"-Mod hat sich als rundum neu entwickeltes Standalone-Spiel in einem Jahr voller Time-Loop-Spiele hervorragend geschlagen und galt vielen Kritikern als narratives Meisterwerk. "Omno" und "Greak: Memories of Azur" gehen dagegen schon fast als Indie-Traditionalisten durch.

Herbst-Crescendo

Mit "Tales of Iron", "Sable" und "Eastward" lief sich der Indie-Herbst hochqualitativ warm, mit "The Eternal Cylinder" machte das chilenische Entwicklerstudio ACE Team das Versprechen wahr, das schrägste Spiel des Jahres abzuliefern. Und "Kena: Bridge of Spirits" ist mit seiner umwerfenden Optik das vielleicht hübscheste Indiespiel des Jahres.

Während man im AAA-Herbst bei "Far Cry 6", "Call of Duty: Vanguard" und "Back4Blood" krampfhaft nach neuen Ideen suchen musste, riss dieses Indiespiel einfach einmal die vierte Wand ein: Dass "Inscryption" auf der Top-50-Liste von Polygon ganz oben stehen darf, ist kein Zufall, denn das Spiel des kanadischen Ausnahmeentwicklers Daniel Mullins ist etwas ganz Besonderes. Aber auch "Exo One" und "Gloomhaven" haben das späte Indie-Jahr 2021 verschönert, genauso wie die aktuellen Neuzugänge im Dezember: Neben dem dann doch gelungenen AAA-Rettungs-Blockbuster "Halo Infinite" freuen sich Indie-Fans dieser Tage über "Heavenly Bodies", "Solar Ash" und "Wytchwood".

2021, ein schlechtes Jahr für Spiele? No na: Kommt drauf an, was man gespielt hat. Welche Indiegames haben Sie dieses Jahr begeistert? (Rainer Sigl, 28.12.2021)