Der Alltag in Ungarn erscheint von der Corona-Pandemie weitaus weniger überschattet als der in Österreich. Lockdowns gibt es seit dem Frühjahr keine mehr. Lediglich die Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen gemahnt daran, dass das Land seit Oktober von einer wuchtigen vierten Welle heimgesucht wird.

Eine Intensivstation in einem Budapester Krankenhaus. Das Personal arbeitet häufig an der Belastungsgrenze, viele Patientinnen und Patienten können nicht gerettet werden.
Foto: EPA / Zoltan Balogh

Diese ist zwar im Abklingen, die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner lag am Montag bei 303 und damit um fast 30 Prozent unter dem Wert der Vorwoche. Aber immer noch sterben viele Menschen am oder mit dem Virus. Stand Montag: 145 pro Tag im Wochendurchschnitt. Auf dem Höhepunkt der Welle waren es manchmal mehr als 200.

Mit mehr als 37.500 Toten seit Pandemiebeginn steht Ungarn bevölkerungsanteilig schlechter da als jedes andere EU-Land außer Bulgarien. Österreich, das knapp zwei Millionen weniger Einwohner hat als Ungarn, liegt bei etwas über 13.500 Toten. Auch die Übersterblichkeit ist in Ungarn beachtlich: Von April 2020 bis März 2021 starben insgesamt 17 Prozent mehr Menschen als im gleichen Zeitraum ein Jahr davor.

Verschobene Behandlungen

Dieser Indikator beinhaltet freilich nicht nur die Corona-Toten, sondern auch jene Menschen, die infolge des Ausbleibens nötiger medizinischer Behandlungen vorzeitig versterben. Auf den Höhepunkten der einzelnen Corona-Wellen stand das ungarische Gesundheitswesen regelmäßig am Rande des Zusammenbruchs. Die Konzentration auf die Corona-Versorgung bindet Ressourcen, die anderswo fehlen. Operationen, die nicht unmittelbar lebenserhaltend sind, werden auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Steigt die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen, werden einfach zusätzliche Betten hineingeschoben. Gleich viele Intensivpfleger müssen dann doppelt oder dreimal so viele Intensivpatienten betreuen. Das T-Wort – Triage – nimmt freilich niemand in den Mund. Wer es nötig hat, wird intubiert. Unter der Hand verrieten Intensivärzte, dass dies rund 80 Prozent der Patienten nicht überleben würden.

Die Regierung des Rechtspopulisten Viktor Orbán tut alles, um die Zustände auf den Corona-Stationen zu kaschieren. Selbst für Oberärzte und Krankenhausdirektoren gilt ein Maulkorberlass. Die Regierungsstellen liefern keine aussagekräftigen Daten für die Öffentlichkeit. Unabhängige Medien erhalten keine Erlaubnis, in den Krankenhäusern zu drehen.

Nur selten Bilder aus Intensivstationen

Auch von den regierungsgelenkten Medien gibt es selten Bilder aus Intensivstationen. Orbán nutzte zudem das zur Pandemiebekämpfung eingeführte Notstandsrecht, um den von der Opposition regierten Städten viel Geld wegzunehmen und von ihm abhängige Geschäftsleute bei Corona-bedingten Beschaffungen zu begünstigen.

Gleichzeitig beschäftigt den machtbewussten Regierungschef bereits die Parlamentswahl im kommenden April. Erstmals seit 2010 steht ihm ein einheitliches Oppositionsbündnis gegenüber, erstmals seit zwölf Jahren ist seine Abwahl nicht ausgeschlossen. Auch wenn die Omikron-Variante ihren Schatten vorauswirft: Einen Lockdown kann Orbán jetzt nicht brauchen. Wie ein Mantra spult er es immer wieder ab: "Der einzige Schutz, den wir haben, ist die Impfung." Dabei sind nur 61 Prozent der Ungarn vollständig geimpft.

EU-Schlusslicht Bulgarien

Noch weit dahinter liegt Bulgarien – beim Impfen das Schlusslicht in der EU: Nur 27 Prozent sind dort voll immunisiert. Beim Nicht-EU-Mitglied Bosnien-Herzegowina gibt es zwar keine aktuellen Zahlen, aber Anfang November waren es gar nur 22 Prozent. Hauptgründe für die niedrigen Impfraten auf dem Balkan sind das geringe Vertrauen in staatliche Institutionen und die allgegenwärtige Desinformation auf sozialen Medien. Viele Menschen sind anfällig für Verschwörungstheorien – und auch für Aberglauben.

Ein gefälschtes Impfdokument soll in Bulgarien zwischen 200 und 300 Euro kosten, auch Testergebnisse können am Schwarzmarkt gekauft werden. Auffällig wurde das Phänomen, nachdem angeblich Geimpfte ins Krankenhaus eingeliefert wurden und sich im Nachhinein herausstellte, dass sie niemals eine Spritze gegen Covid-19 bekommen haben. Im Sommer wurde dann ein Labor geschlossen, in dem gefälschte Zertifikate ausgestellt wurden.

Schwieriger Start für Regierung

Das Ausmaß des pandemischen Geschehens reflektiert gerade in Südosteuropa die geringen Impfraten.Bulgarien liegt mit über 4300 Verstorbenen pro einer Million Einwohner an der Spitze der Covid-19-Todesrate in Europa, dicht gefolgt von Bosnien-Herzegowina. Insgesamt starben in Bulgarien 30.000 Menschen an oder mit dem Virus. Nur im benachbarten Rumänien, das aber viel größer ist, waren es noch mehr, nämlich über 58.000.

Die neue bulgarische Regierung will nun Unternehmen dazu drängen, die Zahl der Covid-19-Impfungen durch die Einführung eines grünen Passes zu erhöhen. Allerdings wird die Regierung das Zertifikat nicht verpflichtend vorschreiben, weil einige Parteien der Viererkoalition dagegen sind. Dennoch: "Das Hauptziel Bulgariens wird es sein, das Impfniveau zu erhöhen, wenn wir wollen, dass Geschäfte geöffnet bleiben, Kinder zur Schule gehen und Spitäler nicht überfüllt sind", sagte der neue Premier Kiril Petkow kürzlich.

Auch in Nordmazedonien und in Montenegro sind die Todesraten im regionalen Vergleich sehr hoch. In Serbien werden immer wieder von Experten die offiziellen Todeszahlen angezweifelt. Ähnlich wie in Österreich nehmen viele Bürger in Serbien zudem das Entwurmungsmittel Ivermectin ein. Für Empörung sorgte, dass sogar Ärzte in Serbien Ivermectin verschrieben. (Gregor Mayer, Adelheid Wölfl, 23.12.2021)