Wer hätte das vor einem Jahr gedacht. Dass kurz vor Weihnachten 2021 einmal mehr die bisher womöglich schlimmste Welle auf uns zurollt. Dass darüber gesprochen wird, ob die Supermärkte demnächst noch genügend Personal haben, das nicht infiziert ist oder in vorsorglicher Quarantäne sitzt. Dass die Einreise nach Österreich beschränkt wird, weil eine neue Covid-Variante die Welt erobert. Fachleute sind sich einig, dass die Infektionszahlen steigen werden. Was genau auf uns zukommt, kann derzeit niemand sagen.

Es ist so frustrierend. Für jede und jeden Einzelnen. Das Packerl, das man zu tragen hat, wird immer größer – und mit Weihnachten hat das leider nichts zu tun. Die einen zittern um ihren Job oder das Geschäft, andere um ihre Gesundheit oder die ihrer Liebsten. Vom Gesundheitspersonal ganz zu schweigen. Viel zu viele sind unterbezahlt, alle ausgelaugt. Nach bald zwei Jahren Pandemie ist die Mischung an Befindlichkeiten und Stimmungen, Notwendigkeiten und deren Auswirkungen schier unerträglich. Dabei haben viele Argumente in dieser Krise etwas für sich – oft auch jene, die zueinander im Widerspruch stehen.

Am Mittwoch wurden die Einreiseregeln verschärft.
Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Am Mittwoch wurde etwa verkündet, dass für Touristen aus Großbritannien, Norwegen, Dänemark und den Niederlanden die Einreiseregeln verschärft werden. In manchem Skigebiet macht sich deshalb Verzweiflung breit – verständlich, angesichts drohender Stornos. Aus epidemiologischer Sicht ist es dennoch sinnvoll, den Import von Omikron einzudämmen – da sind sich die meisten Experten einig. Gleichzeitig wird ein neuerlicher Lockdown für alle nicht ausgeschlossen. Womöglich droht er schon bald. Hat dafür noch irgendjemand einen Nerv? Man kann getrost für alle sprechen: Nein. Bleibt Österreich womöglich nichts anderes übrig? Wenn die schlimmeren der möglichen Szenarien eintreffen, ist das wohl so.

Schulen

Ein weiteres Beispiel sind die Schulen. Neigen sich die Weihnachtsferien dem Ende zu, wird es wieder um die Frage gehen, ob die Kinder dort hingehen sollen oder nicht. Auch hier gleicht die Wahlmöglichkeit einer zwischen Pest und Cholera: Entweder werden sich viele Schülerinnen und Schüler mit Covid infizieren und womöglich Spätfolgen erleiden – oder sie bleiben zu Hause, sind dadurch belastet und lernen mutmaßlich weniger, was manche nie aufholen werden. Hinzu kommt hier der Druck auf Eltern – vor allem Mütter.

Inzwischen muss man zu dem Schluss kommen, dass es kein Richtig mehr gibt in dieser Pandemie. Viele Argumentationslinien haben ihre Berechtigung – doch der gute, gesamtgesellschaftliche Kompromiss scheint in der Krise immer faul zu sein. Egal, was ist, wirklich gut ist es nie. Diese Erkenntnis ist wenig tröstlich. Optimistisch betrachtet, weiß man inzwischen immerhin, wie es läuft: Vieles ist und bleibt ungewiss in dieser Pandemie.

In der Politik braucht es in den kommenden Wochen und Monaten deshalb mehr Mut zur Ehrlichkeit. Dass recht lockere Silvester-Regeln noch vor wenigen Tagen in Aussicht gestellt wurden, war ein Fehler. Falsche Hoffnung und leere Versprechen in größerem Stil sind nicht mehr erträglich.

Vielleicht braucht es von der Regierung auch mehr Mut zur Verletzlichkeit. Eine Verletzlichkeit, die wir alle längst haben. Die Gesellschaft ist dünnhäutig geworden – aus guten Gründen. (Katharina Mittelstaedt, 22.12.2021)