Die neue deutsche Außenministerin rückt Menschenrechte in den Fokus, nicht Wirtschaft. Dafür muss sie bei den europäischen Kolleginnen und Kollegen werben, sagt Alexander Görlach, Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York, im Gastkommentar.

Außenministerin Baerbock beim EU-Außenrat in Brüssel mit Amtskollegen. Die deutsche Grünen-Politikerin tritt für eine gemeinsame europäische China-Politik ein.
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Noch vor ihrem Amtsantritt gab die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock eine neue Marschrichtung in der China-Politik der Bundesrepublik vor: In einem Interview mit der Tageszeitung erklärte die Grünen-Politikerin die Volksrepublik zu einem systematischen Wettbewerber, dem die freie Welt entschieden entgegentreten müsse. Baerbock forderte eine engere Zusammenarbeit der Demokratien und liegt mit dieser Forderung auf einer Linie mit US-Präsident Joe Biden, der in der vorvergangenen Woche Gastgeber eines großen digitalen Demokratie-Gipfels gewesen ist.

Fokus auf Wirtschaft

Peking hat ebenso gereizt auf diese Veranstaltung wie auf die Äußerungen Baerbocks reagiert. Was sie sage, schade den Beziehungen beider Länder. Dieses Verhältnis war in den sechzehn Jahren unter Angela Merkel stark auf Wirtschaft und den chinesischen Absatzmarkt fokussiert, ohne den etliche deutsche Unternehmen nicht so erfolgreich dastünden, wie sie es heute tun.

Zwar hat Frau Merkel stets die furchtbare Menschenrechtslage in China kritisiert – die Vorsitzende einer Partei, die sich christlich nennt, kann kaum die verheerende Verfolgung religiöser Menschen in der Volksrepublik ignorieren –, letztlich hat sie aber doch davor zurückgeschreckt anzuerkennen, dass die forcierte Politik von Wandel durch wirtschaftliche Annäherung längst gescheitert war.

Um Sicherheit fürchten

Staats- und Parteichef Xi Jinping hat die Volksrepublik seit seinem Amtsantritt 2012 in eine Diktatur verwandelt, die mehr und mehr faschistische Kennzeichen trägt: Nicht nur, dass sich der Machthaber bei Paraden in einer Weise inszeniert, wie man es in Europa nur aus den Schwarz-Weiß-Streifen des vergangenen Jahrhunderts kennt. Die Gleichschaltung Chinas ist mittlerweile so vorangeschritten, dass Jugendliche, Frauen, Homo- und Transsexuelle, Sportler und Tech-Unternehmer gleichermaßen um ihre Sicherheit fürchten müssen, wenn sie sich nicht dem absoluten Diktat Xi Jinpings und der Kommunistischen Partei Chinas unterwerfen.

Zudem bereitet Peking einen Krieg im Westpazifik vor: Zuerst soll Taiwan, eine Inseldemokratie hundert Meilen vor dem chinesischen Festland, eingenommen werden. Peking behauptet, die Insel sei chinesisches Territorium. In Wahrheit aber hatte das kommunistische China niemals Kontrolle über das Eiland. Seit März dieses Jahres halten chinesische Milizionäre die zu den Philippinen gehörenden Spratly-Inseln unter ihrer Kontrolle, eine Reaktion auf ein Urteil des Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der entschieden hatte, dass China keinen Anspruch auf diese Inseln habe. Das Ziel Pekings ist es, neben den beiden Konflikten weitere mit Japan und Südkorea militärisch für sich zu entscheiden, um so den gesamten Westpazifik nebst Welthandel, der durch ihn läuft, kontrollieren zu können.

Gräueltaten in Xinjiang

Die deutsche Politik kann ferner nicht länger die Augen vor den Gräueltaten verschließen, die Peking in der Provinz Xinjiang anrichtet. Dort werden über eine Million Muslime gefangen gehalten. Neben der Lagerhaft für Männer kommt es zur Dauerüberwachung der Gesamtbevölkerung, der genetische Proben entnommen werden. Menschen, die dem Grauen entfliehen konnten, berichten von Vergewaltigungen und erzwungener Geburtenkontrolle. Herr Xi hat eine rassische Überlegenheitsdoktrin eingeführt, die den Han-Chinesen Dominanz über die 55 ethnischen Minderheiten im Land zuschreibt.

Die Bundesrepublik, zu deren Staatsräson das Bekenntnis der Schuld Deutschlands am Holocaust und einer daraus resultierenden Verantwortung ("Nie wieder!") gehört, kann mit der Volksrepublik allein schon wegen Xinjiang künftig kein normales Verhältnis mehr unterhalten. Der Kongress der USA nannte das schändliche Treiben bereits einen Genozid. Deutschland sollte hier unter der Ägide von Baerbock folgen, und der Bundestag sollte eine entsprechende Resolution beschließen.

Gemeinsame China-Politik

Die deutsche Außenministerin fordert in ihrem Zeitungsgespräch auch, Waren, die von Zwangsarbeitern in Xinjiang hergestellt wurden, nicht in die EU einzuführen. Dafür muss sie nun, im Amt angekommen, bei den europäischen Kolleginnen und Kollegen werben. "Wir brauchen eine gemeinsame europäische China-Politik", sagt Baerbock nicht ohne Grund. Einem Boykott der Olympischen Spiele steht sie ebenfalls nicht ablehnend gegenüber. Man muss kein Experte für Sicherheitspolitik sein, um zu erahnen, dass die neue Ampelregierung in Berlin im Dauerkonflikt mit Peking stehen wird, sollte aus diesen Ankündigungen reale deutsche Außenpolitik werden.

Xi Jinping konnte bislang davon ausgehen, dass die Staaten auf der Welt vor ihm kuschen würden, um nicht in Ungnade zu fallen und den Zugang zum chinesischen Markt oder zu chinesischen Investitionen zu verlieren. Wenn Deutschland nun dem Beispiel der USA folgt, mag das weitere Akteure dazu bewegen, sich der "Liga der Demokratien", die Präsident Biden formen will, anzuschließen und Freiheit, Menschenrechte und Demokratie gegen den Diktator in Peking zu verteidigen. (Alexander Görlach, 23.12.2021)