Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hofft auf eine Entspannung im Konflikt Russlands mit der Ukraine.

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Kiew/Moskau – Die Nato hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgerufen, die Feiertage für den Rückzug seiner Streitkräfte von der ukrainischen Grenze zu nutzen. Russland habe die Möglichkeit, ein friedliches und erholsames Weihnachtsfest für alle zu gewährleisten, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg der Deutschen Presse-Agentur. Dazu müsse Russland Spannungen abbauen und seine Truppen zurückziehen.

Russische Absichten seien unklar

Nach Angaben des Nato-Generalsekretärs geht es mittlerweile um zehntausende Soldaten, die Russland in der Nähe der Ukraine zusammengezogen hat. "Es ist ein bedeutender militärischer Aufbau, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieser Aufmarsch stoppt oder sich verlangsamt", sagte er.

Offen ließ der Norweger, ob er hinter den Truppenbewegungen vornehmlich den Versuch Russlands vermutet, Zugeständnisse der Nato in Sicherheitsfragen zu erpressen. "Es gibt Unsicherheit über die russischen Absichten", sagte er. Stoltenberg verwies darauf, dass Russland bereits im Zuge der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim Gewalt gegen die Ukraine eingesetzt habe.

Mit Blick auf die russischen Forderungen nach zusätzlichen Sicherheitsgarantien der Nato zeigte er sich gesprächsbereit – lehnte allerdings Vorstellungen ab, dass die Nato den Verzicht auf eine Aufnahme der Ukraine erklären könnte.

Russischer Botschafter: Kein Angriff geplant

Russland wies unterdessen die Vorwürfe zurück. "Russland plant gegen kein Land einen Angriff. Ich kann versichern, dass keine russischen Truppen mit den Vorbereitungen für eine Invasion in die Ukraine beschäftigt sind", sagte Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow am Mittwoch der Zeitung "Welt".

Mit Blick auf den Truppenaufmarsch an der 2.000 Kilometer langen Grenze zwischen Russland und der Ukraine sagte Tschischow: "Warum ist Europa so besorgt über Pläne, die nicht existieren, und über russische Truppenbewegungen, die sich auf Russlands eigenem Territorium abspielen? Nicht ein einziger russischer Soldat hat sich jenseits der russischen Grenze bewegt." Russland verfolge eine Politik, die russischsprachige Bevölkerungsgruppen und Landsleute, die in anderen Ländern leben, unterstütze. "Aber Russland hat niemals gesagt, dass wir beabsichtigen, dazu militärische Mittel einzusetzen."

Kiew: Alternative zu Nord Stream 2

Die Ukraine sieht unterdessen ihr eigenes Gastransitnetz als wichtige Alternative zur bisher noch nicht genehmigten Ostseepipeline Nord Stream 2 an. "In der gesamten Geschichte des ukrainischen Transits kam es nicht einmal vor, dass dieser wegen irgendwelcher technischer Probleme auf ukrainischer Seite ausgefallen ist", sagte der Chef des Betreiberunternehmens des ukrainischen Gastransportsystems, Serhij Makohon, der Deutschen Presse-Agentur. Die zwei Unterbrechungen in den Jahren 2006 und 2009 seien ausschließlich aus politischen Motiven Russlands erfolgt.

Nord Stream 2 soll unter Umgehung der Ukraine Gas von Russland nach Deutschland bringen. Die Ostseepipeline ist fertiggestellt, aber noch nicht in Betrieb. Die finanzschwache Ukraine ist dringend auf die Milliardeneinnahmen aus den Durchleitungsgebühren angewiesen und befürchtet nun hohe Verluste.

Der russische Energieriese Gazprom erfülle zwar den bis Ende 2024 geltenden Vertrag mit aktuell 40 Milliarden Kubikmeter Transit pro Jahr, sagte Makohon. Doch das seien 30 Prozent weniger als im vorigen Jahr und 45 Prozent weniger als 2019. Innerhalb dieser zwei Jahre habe sich der Zustand des Systems kaum verschlechtert. "Wir sind bereit, 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas zusätzlich im Jahr (in die EU) zu transportieren."

Sollte allerdings Russland seinen Transit durchs Nachbarland einstellen, müsse die Ukraine entweder die Tarife verfünffachen oder das Gastransportsystem komplett auf den Binnenmarkt ausrichten, sagte der Leiter des Staatsunternehmens. "Wir haben Ausgaben, und die können wir nicht auf Kosten der ukrainischen Verbraucher decken." Daher ziehe das Unternehmen in Betracht, im schlechtesten Fall einen Teil des Systems einschließlich Kompressorstationen stillzulegen. (APA, dpa, Reuters, red, 23.12.2021)