"It’s all about making friends!", antwortete die nordirische Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire einst auf die Frage, wie politische Versöhnungsprozesse gelingen können. Was einfach klingt, ist bekanntlich in vielen politischen Konflikten über Jahrzehnte gescheitert. Doch auch, wo akute Kriegshandlungen, Gewalt oder systematische Unterdrückung letztlich ein Ende gefunden haben, bleibt eine zutiefst traumatisierte Gesellschaft zurück.

Südafrikas erster schwarzer Präsident Nelson Mandela gratuliert 1995 dem Rugby-Kapitän Francois Pienaar. Südafrikas Weltmeisterschaftstitel in der "weißen" Sportart und die Euphorie, die das gesamte Land ergriff, sind ein vielzitiertes Versöhnungssymbol.
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Psychosoziale Narben beeinflussen Gegenwart und Zukunft von Generationen. Umso wichtiger ist Versöhnungsarbeit auf mehreren Ebenen. Dem Staat kommt hier eine besondere Verantwortung zu. Versöhnungspolitik kann sich über Jahrzehnte hinziehen. Beispiele dafür gibt es in der Geschichte unzählige, die eindrücklichsten finden sich in Europa im Umgang mit dem NS-Regime oder in der Aufarbeitung der postjugoslawische Kriege. Eine kleine Auswahl an Versöhnungsversuchen der jüngsten Vergangenheit:

Das Ende der Apartheid in Südafrika

Südafrika begann nach dem Ende der Apartheid die offizielle Aufarbeitung im Jahr 1996 mit der Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission unter der Leitung des Bischofs Desmond Tutu. Dass das Apartheidregime ein Unrechtsregime war, wurde als historische Tatsache anerkannt, Regierungsverantwortung kam in schwarze Hände. Viele Statuen und Denkmäler weißer Unterdrückung wurden abgebaut und Orte umbenannt. Ein Ereignis, das zum Symbol für die überwundene Apartheid wurde, war der überraschende Sieg Südafrikas bei der Rugby-WM 1995 in Anwesenheit des ersten schwarzen Präsidenten Nelson Mandela. Erstmals trat das Team mit weißen und zumindest einem schwarzen Spieler an, die Euphorie über den Sieg erfasste ganz Südafrika. Einst Feindbild, brachte der Sport so ein Gefühl kollektiver Einigkeit in das gespaltene Land, auch unter dem Stichwort "Nation-Building" bekannt.

Freilich sind die Auswirkungen der Apartheid in Südafrika nach wie vor zu spüren. Auf Gerechtigkeit warten viele Familien ermordeter Widerstandskämpfer bis heute. Die massiven sozialen Probleme existieren immer noch entlang der Bruchlinien zwischen weißem Reichtum und schwarzer Armut.

Verordnete Versöhnung in Ruanda

Eine andere Art der Vergangenheitsbewältigung betreibt das ostafrikanische Ruanda, das im Jahr 1994 von einem ethnischen Gewaltexzess überrollt wurde. Innerhalb von nur drei Monaten wurden damals in dem 800.000 bis 1.000.000 Tutsi und moderate Hutu ermordet – unter den Augen der internationalen Friedenstruppen.

Der autoritäre Präsident Paul Kagame führt das Land heute mit harter Hand und treibt so auch den Versöhnungsprozess voran. Offiziell existieren die ethnischen Gruppen Tutsi, Twa oder Hutu nicht mehr. Entsprechende Eintragungen in Personalpapieren wurden abgeschafft. Wer sich heute in ethnischen Kategorien öffentlich äußert, kann wegen "Divisionismus" angeklagt werden. Mit dem Gesetz rechtfertigt Kagame unter anderem seine rigide Medienpolitik. Anders als Südafrika entschied sich Ruanda gegen großzügige Amnestien und stellte die Täter vor Gericht. Traditionelle regionale Dorfgerichte, die Gacaca, spielten hier eine zentrale Rolle. Sie sind stärker als nationale Gerichte auf die individuelle Täter-Opfer-Beziehung ausgerichtet und stellen Versöhnung und Wiedergutmachung ins Zentrum, statt ausschließlich auf Strafen zu setzen.

Im Land existieren zahlreiche Erinnerungsstätten. In der nationalen Gedenkwoche, die jedes Jahr im April stattfindet, werden neue eingeweiht.

Fragiler Frieden in Nordirland

Von Ende der 1960er-Jahre bis 1998 herrschte in Nordirland ein blutiger Untergrundkrieg zwischen proirischen und prokatholischen Milizen. 1998 wurde der Konflikt offiziell mit dem Karfreitagsabkommen beendet. Der Beitritt Großbritanniens und Irlands zum Projekt der europäischen Einigung schuf damals überhaupt erst den Rahmen für die Überwindung des Konflikts. Seither gab es zahlreiche Versöhnungsbemühungen aller beteiligten Seiten und Staaten. Der Aufbau einer demokratischen und neutralen Selbstverwaltung zog sich aber über neun Jahre hin. Nordirland wird oft als gelungenes Beispiel für Versöhnungspolitik angeführt, auch wenn der Brexit zuletzt wieder Sorge bereitete. Der EU-Austritt Großbritanniens hat die teilweise überwundenen Gräben zwischen den rivalisierenden Gemeinschaften wieder aufgerissen. (Manuela Honsig-Erlenburg, 25.12.2021)