Für das Foto mit der Schutzherrin des Hauses, Frida Kahlo, nahmen Leiterin Nertila Furriku und Frau M. kurz die Masken ab.

Foto: Regine Hendrich

Sie war ganz am Ende. Eine "Zero-Person", wie es Frau M. nennt. Die dreifache Mutter war über Nacht obdachlos geworden, weil sie von ihrem Onkel, bei dem sie in Wien gewohnt hatte, hinausgeworfen wurde. Danach fand sie vorübergehend bei anderen Familien Unterschlupf, aber nichts, wo sie länger bleiben konnte. Ihr jüngstes Kind war damals ein kleines Baby. "Ich war eine gestrandete Frau", erzählt die heute optimistische und gesprächige Frau beim Treffen mit dem STANDARD. Sie hat eine strahlend gelbe Bluse mit Blütenmuster an, ihr Haar hat sie mit einem bunten Tuch zurückgebunden – und fast erinnert ihre Frisur ein bisschen an Frida Kahlo, die große mexikanische Malerin und starke Frau, nach der das Haus benannt ist, in das Frau M. heute für das Treffen zurückgekehrt ist. Das Haus Frida ist eine Einrichtung der Caritas in Floridsdorf für alleinerziehende Migrantinnen.

Frau M. in einer Wohnung im Haus Frida, die jener, in der sie mit ihren drei Buben wieder selbstständig wurde, gleicht.
Foto: Regine Hendrich

Frau M. stammt ursprünglich aus Ghana. Nachdem ihr Vater bereits in Italien gelebt hatte, holte er sie, ihren Bruder und ihre Mutter nach. Doch die Familie musste sich später trennen. Ihr Bruder zog nach Großbritannien, ihr Vater ging aus gesundheitlichen Gründen mit ihrer Mutter zurück nach Ghana, Frau M. kam 2010 mit damals Mitte 20 und dem erstgeborenen Sohn allein nach Österreich. Sie ist bis heute Alleinerzieherin.

Im Oktober 2018, nachdem ihr Onkel sie auf die Straße gesetzt hatte, war sie ohne Geld, ohne Visa und mit drei Söhnen allein, als ihr geraten wurde, sich an das Haus Frida zu wenden. "Ab da ging es bergauf für mich", erzählt Frau M. drei Jahre später mit einem glücklichen Glucksen in der Stimme: "Ich habe heute meinen Aufenthaltstitel, eine Wohnung und einen Job, ich putze ein paar Stunden in der Woche in einer Ordination."

Besonderer Besuch

Während die heute 36-Jährige ihre Geschichte erzählt, sitzt auch eine der beiden Leiterinnen des Hauses, Nertila Furriku, mit am Tisch. Auch für Nertila Furriku ist der Besuch von Frau M. etwas Besonderes. Denn als die Klientin damals in ihrer äußerst schwierigen Situation ankam, war das auch erste Arbeitstag von Furriku.

Die Säulen, auf denen die Hilfe im Haus Frida aufgebaut ist, sind drei Projekte: 15 Mutter-Kind-Wohnungen, in denen man bis zu zwei Jahre bleiben kann, acht Unterbringungen für akute Fälle, wo man maximal drei Monate bleiben kann – hier teilen sich mehrere Frauen Bad und Küche – und schließlich das aus vielen verschiedenen Workshops, Kursen und Unternehmungen bestehende Projekt "Migeinander". Einer Wortschöpfung, die die Begriffe Migration, Integration und Miteinander vereint. "Die Frauen besuchen Deutschkurse, lernen viel über die österreichische Verwaltung und Bürokratie, über gesunde Ernährung und Bewegung, wir machen Museumsbesuche und Ausflüge, mit dem Ziel, Österreich und Wien kennenzulernen", erzählt Furriku. Und es gibt Betreuerinnen, die jeweils im Duo bestimmten Familien zugeteilt sind.

Eine der aktuellen Bewohnerinnen hat die Gänge des Wohnhauses verschönert.
Foto: Regine Hendrich

Frau M. schwärmt von ihrer Betreuerin, die offenbar ein Gamechanger für sie war. Nach den für sie damals wichtigsten Workshops gefragt, muss sie nicht lange nachdenken: "Die Deutschkurse waren so gut, weil ich viel gelernt habe und sie die Lehrerin auch lustig gemacht hat, und der Kurs für Self-Empowerment!" Durch die Sprache und die Selbstermächtigung konnte Frau M. ihr Leben selbst in die Hand nehmen.

Gute Erinnerungen

Wenn sie durch die mit bunten Wandmalereien einer Klientin verzierten Gänge der Wohneinheiten geht, wirkt Frau M. entspannt und voller guter Erinnerungen.

Im Parterre des Neubaus sind neben Büros auch die Räume für Workshops und Therapien. Auch Psychologinnen kommen regelmäßig ins Haus, denn auch wenn es keine Schutzeinrichtung ist, haben doch einige der Frauen und Kinder traumatische Erfahrungen mit häuslicher Gewalt oder ihrer Flucht gemacht.

Die Arbeitsräume sind alle nach starken Frauen aus der Geschichte benannt: Johanna Dohnal, Rosa Luxemburg, Sissi (nach Österreichs Kaiserin Elisabeth) liest man etwa an den Schildern der Türen. Vor einem Raum steht "Alice im Wunderland". Hinter dieser Tür befindet sich eine "Schatzkammer" prall gefüllt mit Spenden wie Kleidung, Schultaschen, Spielzeug, Windeln und Babynahrung. "Wir haben die Sachen ein bisschen wie in einem Geschäft angeordnet, damit die Frauen und Kinder auch eine Art Shoppingerlebnis haben", sagt Furriku.

Im Haus Frida ist alles auf Weihnachten eingestellt.
Foto: Regine Hendrich

Die Geschichte von Frau M. ist sehr typisch für viele von Armut betroffene Frauen. Zwei Drittel der Menschen, die bei den Caritas-Sozialberatungsstellen Hilfe suchen, weil sie nicht mehr weiterwissen, sind weiblich. Frauen sind nicht nur weiterhin strukturell benachteiligt, sie sind es seit Beginn der Pandemie sogar noch mehr. Allein im Zeitraum Februar 2020 bis März 2021 stieg die Zahl der Frauen ohne Arbeit um 40 Prozent. Dabei übernehmen sie den Hauptteil der unbezahlten Arbeit wie Haushalt, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen. Gleichzeitig stiegen Miet- und Energiekosten deutlich. Und Frauen verstecken ihre Obdachlosigkeit öfter und länger, weil sie auf der Straße viel schutzloser sind als Männer. So lange es geht, retten sie sich noch quasi von Couch zu Couch bei Bekannten – wie es auch M. eine Zeitlang versucht hatte. Bis es nicht mehr ging. Das Haus Frida fängt Frauen wie sie seit 2017 auf. Aber der Bedarf steigt, lang bleibt ein Zimmer oder eine Wohnung nie frei, wenn es eine Frau geschafft hat und wieder ein selbstständiges Leben führen kann. (Colette M. Schmidt, 28.12.2021)