Beim Kabarettistenpaar Monica Weinzettl und Gerold Rudle gab es vergangenes Jahr am Heiligen Abend Würsteln mit Erdäpfel-Vogerlsalat. Würsteln, Gans, Braten, Karpfen oder Raclette stehen auch in vielen anderen Familien am 24. auf dem Tisch. Bei Weinzettl und Rudle wurde gekocht, was sich die Gäste gewünscht hatten. Anders als in vielen Familien, in denen das Weihnachtsessen fast eine Glaubensfrage ist und Traditionen nur ungern verändert werden.

Regional und saisonal sollte man einkaufen – und die Avocado aus Südamerika im Zweifel liegen lassen.
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Bloß kam in vielen Familien in den vergangenen Jahren eine andere Glaubensfrage hinzu. Nein, nicht jene, ob das Christkind oder der Weihnachtsmann die Geschenke bringt. Es ist eine ideologisch noch viel aufgeladenere Frage, nämlich die: "Gibt’s auch was ohne Fleisch?" Immer mehr Menschen essen vegetarisch oder vegan – und verschmähen zu Weihnachten Omas Bratwürsteln, ihren traditionellen Braten und das deftige Raclette. In manchen Familien erschüttert die Kulinarik gar den Weihnachtsfrieden. Zieht sich der Riss, der die Gesellschaft spaltet, quer über die festlich gedeckte Weihnachtstafel?

Schöne Kompromisse

Die Entwicklung macht jedenfalls auch vor heimischen Kabarettistenfamilien nicht halt. Monica Weinzettl und Gerold Rudle leben seit bald zwei Jahren vegan. Begonnen hat alles mit einem einwöchigen Experiment, daraus wurde eine dauerhafte Ernährungsumstellung. Würsteln gab es letztes Jahr trotzdem. Nur waren sie rein pflanzlich hergestellt. Ein handfester Skandal? Keineswegs. "Schmeckt gar nicht so schlecht", sei die Reaktion der Gäste gewesen. "Gerolds Mama ist mehr über die Erdäpfel im Vogerlsalat gestolpert als über die veganen Würsteln", sagt Monica Weinzettl. Die Erdäpfel waren nämlich violett. "Es hat also ausgeschaut wie ein Derby auf dem Tisch", sagt Rapid-Fan Rudle über die knallige Salatbeilage.

Einen derartigen Sportsgeist gibt es nicht an jeder Weihnachtstafel. "Zu uns kommen zu der Thematik in der Vorweihnachtszeit immer Anfragen", sagt die Diätologin Cora Sommer von der Praxis Mitbauchgefuehl. Was wichtig sei: "Es bringt nichts, wenn man mit dem Anspruch herangeht, dass alle vegan sein müssen, nur weil ich selbst es bin", betont Sommer. Muss ja auch nicht sein. In vielen Familien fänden sich gemeinsam schöne Kompromisse: etwa dass Vorspeise und Nachspeise vegan sind, die Hauptspeise dafür traditionell bleibt. Oder dass zusätzlich zu den regulären Bratwürsteln auch eine vegane Extrawurst herausgebraten wird. "Im besten Fall macht man davon gleich mehr, weil am Ende sicher jemand kosten will", sagt Sommer und spricht dabei aus Erfahrung.

Auch wenn es sein Name nicht vermuten ließe: Der für seine lustigen Videos bekannte Wiener Instagrammer und Tiktoker "Wurstaufschnitt" ist kein Fleischtiger. Er ernährt sich, wenn es einfach geht, vegan. "Wurstaufschnitt" bezeichnet sich als Flexitarier und hat einen nicht ganz ernst gemeinten Lösungsvorschlag für das Dilemma auf der Weihnachtstafel: Vor ein paar Jahren hat er zu Weihnachten kleine Häppchen wie Mini-Burger und Hühnerspieße zubereitet. "Heimlich haben wir das Fleisch durch vegane Ersatzprodukte ersetzt", sagt er dem STANDARD. Niemand habe die Täuschung bemerkt, gemundet habe es allen. Solange etwas wie Fleisch aussehe, werde es auch als Fleisch wahrgenommen, ist "Wurstaufschnitt" überzeugt.

Junkfood bleibt Junkfood

Von diesen teils täuschend echt wirkenden Fleischalternativen gibt es immer mehr: Veganes Steak, pflanzliche Fischstäbchen und Chicken-Nuggets ganz ohne Tierisches haben in den vergangenen Jahren Einzug in die Kühlregale der Supermärkte gehalten. Der Anteil an vegetarisch lebenden Menschen in Österreich liegt bei etwa neun Prozent. Viel weniger, unter ein Prozent der Menschen, verzichten laut Schätzungen ganz auf Tierisches, leben also vegan. Doch die Anzahl der Flexitarierinnen und Flexitarier, die ihren Fleischkonsum reduzieren wollen, steigt. An diese Zielgruppe richtet man sich mit dem Fake-Fleisch im Kühlregal.

DER STANDARD

Weihnachten hin oder her: Auf richtiges Fleisch oder Fleischprodukte müsse man nicht zu hundert Prozent verzichten, betont die Ernährungswissenschafterin Petra Rust von der Universität Wien. Vernünftig sei aber, den Fleischkonsum zu reduzieren und mehr pflanzliche Produkte in den Speiseplan aufzunehmen. Das wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus und beugt Zivilisationskrankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmten Krebsarten vor.

Die Welt retten

Der Hintergrund: Wer sich pflanzlich ernährt, isst in der Regel mehr Gemüse und Getreideprodukte und nimmt dadurch viele Ballaststoffe zu sich. Diese füllen den Magen und halten länger satt. Sie wirken sich positiv auf den Cholesterinspiegel und die Blutzuckerwerte aus. "Der absolute Knackpunkt an der Sache" ist für Rust aber, dass sich mit pflanzlicher Ernährung in der Regel eben nicht nur der Anteil an tierischen Produkten reduziert, sondern auch an stark verarbeiteten Produkten, die häufig einen hohen Anteil an Gesamtfett, gesättigten Fettsäuren, Salz und Zucker aufweisen. Stattdessen nehmen die Menschen mehr an gesünderen ungesättigten Fettsäuren zu sich.

Allerdings will auch die vegane Ernährung gelernt sein, betont die Wiener Ernährungsberaterin Monika Masik. Auch veganes Junkfood bleibt Junkfood. "Vegan ist gesund, wenn man es richtig macht." Masik empfiehlt daher einen kritischen Blick auf die Zutatenliste. Viele Menschen brauchten bei der Umstellung zur veganen Ernährung auch gute Rezeptideen, zum Beispiel, was die Zubereitung von Hülsenfrüchten angeht.

Zu Masik kommen vorrangig jüngere Menschen, die ihre Ernährung umstellen wollen. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern immer öfter auch, weil sie Massentierhaltung nicht unterstützen und die Umwelt schonen wollen – etwa weil artenwidrig gehaltene Wiederkäuer überproportional klimaschädliches Methan ausscheiden. Es geht aber auch um die Auswirkungen auf Biodiversität, Artenvielfalt und Bodenverbrauch bei der Produktion tierischer Produkte.

Schlechtes Gewissen

Bei vielen hat in den vergangenen Jahren ob dieses Wissens das schlechte Gewissen am Esstisch Platz genommen. Egal, wie sehr man es probiert – irgendetwas macht man immer falsch. Monika Masik kennt das Dilemma und rät dazu, auf Biolebensmittel zu setzen, die regional und saisonal sind. Besser man lässt die Avocado aus Südamerika und die Erdbeeren im Winter liegen.

Wie man sein schlechtes Gewissen zusätzlich beruhigen kann: durch bewussteres Einkaufen, um Lebensmittelabfall zu vermeiden. Die Großpackung liegen lassen, wenn man sie nicht braucht, auch wenn sie günstiger ist. "Und wenn man die Lebensmittel richtig lagert, erhöht das die Haltbarkeit", sagt Ernährungswissenschafterin Rust. Oftmals fehle es an Kompetenz, wie man Lebensmittel schnell noch verwerten kann, bevor sie ihren Zenit überschritten haben. Für den Heiligen Abend rät Rust aber auch zu Gelassenheit: "Man rettet die Welt nicht, indem man zwischen Weihnachten und Neujahr auf Fleisch verzichtet." Viel wichtiger sei, was man während des gesamten Jahres mache: "Früher hat man auch nur zu besonderen Anlässen Fleisch konsumiert. Machen wir es doch wieder so."

Auf die weihnachtliche Tafel von Monica Weinzettl und Gerold Rudle wird aber auch heuer Veganes kommen. Als Nachtisch bereitet die Kabarettistin Weinzettl Kirsch-Clafoutis zu. "Über die richtige Aussprache rätseln wir noch", witzelt das Duo. "Wir werden es wohl einfach als Kirsch-Nachspeise betiteln."

Und die Hauptspeise? "Die Mama hat angefragt, ob es uns was ausmacht, wenn sie sich heuer ein Schnitzel mitnimmt", sagt Rudle. Ihm sei das ja egal.

Rudles Schwester wird heuer ein veganes Moussaka auftischen. "Und wenn es der Mama nicht schmeckt, dann fahren wir halt mit ihr zum Schnitzelwirt." (Franziska Zoidl, 24.12.2021)