Die Pfarre St. Franziskus in Wels ist ein durchaus eindrucksvoller Beleg dafür, dass im kirchlichen Bereich zumindest manchenorts die Zeiten vorbei sind, in denen Gottes Schäfchen sonntäglich auf wenig gesäßfreundlichen Holzbänken ausharren mussten und im Winter des Pfarrers wärmende Worte nur wenig gegen die Minusgrade in den Gotteshäusern ausrichten konnten.

Für Irmgard Lehner ist Versöhnung immer auch ein Lernprozess.
Foto: Werner Dedl

Der Altarraum ist zur Gänze in sattem Rot gehalten, das moderne Taufbecken wird von einem Brunnen gespeist, und ein verglaster Einschnitt über eine Wand und das Dach öffnet den Raum nach außen. Es ist der Arbeitsplatz von Irmgard Lehner. Die Welserin ist studierte Theologin und seit 2006 als Pfarrassistentin in der Pfarre Wels-St. Franziskus tätig. Insbesondere die Vorweihnachtszeit gehört zur Hauptsaison am Seelsorger-Sektor. Der Bereich "Versöhnung" ist da im Kirchenkalender ganz fett eingetragen. Viele Katholiken machen sich gerade in der Vorweihnachtszeit zu einer gemeinsamen Bußfeier auf, deren zentrales Thema die Umkehr, also die Bitte um Versöhnung mit Gott, den Menschen und der Kirche, ist.

Irmgard Lehner hat inzwischen inmitten des roten Altarraums Platz genommen. Was heißt Versöhnung für die Pfarrassistentin? "Vor allem ist es ein Lebensthema. Ein Bereich, der immer wieder eine große Relevanz hat. Versöhnung hat vor allem auch verschiedene Dimensionen. Einerseits hat es immer etwas mit sich selbst zu tun. Viele glauben ja, dass Versöhnung nur funktioniert, wenn beide Seiten wollen. Ich bin aber überzeugt, dass es vor allem darum geht, wie ich selbst auf etwas schaue." Einerseits gebe es zwischenmenschliche Situationen, in denen man "etwas in Ordnung" bringen könne. Lehner: "Es gibt Dinge, die man verändern kann. Was man im besten Fall auch tun sollte: sich mit Mitmenschen ausreden, etwas besprechen."

Würdevolle Distanz

Aber es gebe auch Momente, in denen der Stern der Versöhnung im Dunkel zwischenmenschlicher Konflikte nicht so rasch zum Erleuchten gebracht werden könne: "Es gibt eben auch Dinge, die man in bestimmten Momenten nicht verändern kann. Da muss man dann eben auch etwas gut sein lassen. Auch wenn es vielleicht nicht gut ist. Aber es so anzunehmen, obwohl ich es gerne anders hätte, ist die eigentliche Kunst."

Die Theologin sieht darin auch den Bezug zu den aktuellen Debatten rund um die Corona-Maßnahmen und die Impfpflicht. "Da gibt es eben sehr konträre Meinungen zwischen den einzelnen Lagern. Und in der jetzt so aufgeheizten Situation muss man das wohl auch einmal so stehen lassen."

Wobei sich gerade in Bezug auf die Corona-Maßnahmen-Debatte die Frage aufdrängt, ob eine Versöhnung wirklich immer das Ziel sein muss – insbesondere, wenn das Gegenüber wenig Interesse an einem Austausch, einer Diskussion auf Augenhöhe habe? Lehner: "Versöhnung heißt ja bitte nicht, dass ich das gutheißen muss. Sondern zu sagen: ‚Okay, du siehst das anders als ich, wir haben das argumentativ durchbuchstabiert, und es bleibt plural‘." Dies sei auch eine Realität im Leben, dass man Dinge verschieden sehe: "Versöhnte Haltung heißt für mich, zu sagen: ‚Du bist ein Mensch wie ich, du hast genauso eine Würde, auch wenn du anders denkst – und deshalb bekriegen wir uns nicht‘." Was nicht bedeute, dass Einstellungen etwas Beliebiges seien. "Es ist entscheidend, wie wir handeln. Man muss den Punkt erkennen, wenn eine Diskussion nichts mehr bringt. In einer Familie oder unter Freunden funktioniert das oft besser, da man ja verschiedene gemeinsame Ebenen hat. Man ist in manchen Bereichen verbunden, hält zusammen. Das ist das Ziel, und das sollte man immer im Auge behalten. Dann sind auch Ebenen, auf denen man unterschiedlicher Meinung ist, kein Problem." Aber funktioniert das auch auf gesellschaftlicher Ebene, mit Menschen, denen man sich nicht so eng verbunden fühlt? Lehner: "Ich denke, schon. Aber natürlich ist es komplexer. Aber die gleiche Haltung, die man in der Familie braucht, braucht man in der Gesellschaft auch." Oft müsse man auch hinter die Fassade des Gegenübers schauen: "Wenn Menschen laut bellen, verbirgt sich meist Ängstliches dahinter."

Es braucht Raum

Wichtig sei, mit den Menschen im Gespräch, "in der Verbundenheit", zu bleiben. "Darum ist es auch gut, dass im Lockdown die Kirchen offen waren. Wir brauchen Orte, an denen wir miteinander in Kontakt bleiben."

Wenn Lehner in den Kirchenraum von St. Franziskus in Wels blickt, weiß sie zum Beispiel ganz genau, auf welchem Platz am Sonntag immer ein konsequenter Impfgegner sitzt. "Und die Reihe dahinter sitzt ein Intensivpfleger. Zwei ganz verschiedene Ansichten also zu einem Thema. Und trotzdem bietet die Kirche einen Raum für beide Seiten." Diese "Räume" zu schaffen sei auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene enorm wichtig.

Fast beruhigend ist da, dass die Theologin davon überzeugt ist, dass wir Menschen das Handwerkszeug zur erfolgreichen Versöhnung in uns tragen: "Es ist ein Lernprozess, aber wir wissen grundsätzlich, wie es geht. Wir tragen diese Sehnsucht in uns, versöhnt zu leben. Und wenn wir wieder verstärkt dieser Sehnsucht folgen, dann lässt sich auch jeder Riss in der Gesellschaft wieder kitten." (Markus Rohrhofer, 24.12.2021)