Wo immer Geimpfte und Ungeimpfte miteinander Weihnachten feiern, besteht wenig Hoffnung auf ein versöhnliches Fest. Wer bis heute nicht geimpft ist, wird sich von keinerlei Fakten überzeugen lassen. Und die anderen wollen die krausen Argumente der Impfgegner einfach nicht mehr hören. Für einen harmonischen Abend gibt es nur eine Chance: so wenig wie möglich über Corona zu sprechen und andere, weniger aufgeladene Themen zu suchen.

Auch in den Wochen danach, wenn das Omikron-Virus immer mehr Menschen infiziert und die Impfpflicht schlagend wird, ist mit Versöhnung nicht zu rechnen. Die Proteste der Impfgegner dürften noch lauter werden und könnten sogar in Gewalt umschlagen; die Empörung derer, die unter deren Uneinsichtigkeit leiden, wird entsprechend wachsen.

Aber irgendwann im neuen Jahr wird die Pandemie in eine neue Phase treten. Bis zum Ende des Winters wird jeder im Land geimpft oder – mit etwas Glück – genesen sein. Das Virus wird zwar nicht verschwinden, aber hoffentlich seinen Schrecken verlieren. Und dann ist der Augenblick gekommen, um die Spaltung in der Gesellschaft wieder zu kitten.

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Für einen entspannten Heiligabend gilt die Devise: So wenig wie möglich über Corona sprechen.
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Die Meinungsgegensätze werden sich auch dann nicht überbrücken lassen, aber man kann dem Streit die Giftzähne ziehen. Als Vorbild sollte das Thema Migration dienen. Zu Weihnachten 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, ging ebenfalls eine tiefe Kluft durch das Land und durch viele Familien. Es gab Demonstrationen auf den Straßen, wütende Kommentare in den sozialen Medien, unzählige Verschwörungstheorien. Beide Seiten waren überzeugt, dass die anderen die fundamentalen Werte unserer Gesellschaft verraten.

Beruhigter Konflikt

In der Sache selbst sind die Differenzen geblieben, aber der Konflikt ist nicht mehr virulent. Die Sympathisanten einer Willkommenskultur haben es hingenommen, dass Österreichs Asylpolitik restriktiv bleibt; und die meisten Befürworter einer Abschottungspolitik haben eingesehen, dass das Land und seine Kultur durch eine limitierte Zuwanderung nicht bedroht werden. Die Gegner von damals sitzen heute zusammen in der Regierung. Die FPÖ kehrt zwar das Thema Ausländer immer wieder hervor, aber punktet damit weniger als etwa die rechten Demagogen in Frankreich.

Es sollte im kommenden Jahr möglich sein, die meisten Corona-Kritiker wieder an Bord zu holen und sie mit dem Staat und der Mehrheitsgesellschaft, auf die sie so zornig sind, auszusöhnen. Dafür bietet die Konsenskultur, die seit 75 Jahren in Österreich herrscht, eine gute Basis: Die Sozialpartnerschaft, die Harmonie in den meisten Ländern, ein überparteilicher Bundespräsident und der staatstragende ORF tragen alle dazu bei.

Deshalb ist es ein Glück, dass das große türkise Projekt der Neugestaltung krachend gescheitert ist. Nicht dass es in Österreich keinen Reformbedarf gäbe. Aber die Republik ist mit schrittweisen, ja zögerlichen Veränderungen, die auf unbefriedigenden Kompromissen beruhen, meist gut gefahren. Sie braucht weder linken Klassenkampf noch einen rechten Systemwechsel.

Mit Ende der Ära Kurz ist dieser Geist offenbar in die ÖVP zurückgekehrt und wird von anderen Parteien mitgetragen – mit Ausnahme der Kickl-FPÖ, die sich damit selbst ins Abseits stellt. All das gibt Hoffnung für eine Versöhnung zu Weihnachten, wenn auch erst im Jahr 2022. (Eric Frey, 24.12.2021)