Als Speisefisch hat der Karpfen schon viele Höhen und Tiefen erlebt, zuletzt stagnierte der Konsum in Österreich.
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Grundeln, murln und letteln sind nur drei der wenig schmeichelhaften Verben, die das österreichische Deutsch für den Karpfen bereithält. Sie alle stehen für den erdigen bis schlammigen Geschmack, der dem Fisch angeblich anhaftet wie seine auffällig großen Schuppen. Oder seine vielen Gräten, die ebenfalls nicht gerade als kulinarischer Vorteil gelten. Wer dann noch Erzählungen der Großeltern von fetten Karpfen im Kopf hat, die vor Weihnachten tagelang lebend in der Badewanne gehalten wurden, um am Heiligen Abend einigermaßen genießbar zu sein, wird sich bei der Feiertagsmenüplanung vermutlich lieber einem anderen Gericht zuwenden.

Dabei wird das schlechte kulinarische Image dem Karpfen keineswegs gerecht: Bei genauerer Verkostung und wissenschaftlicher Betrachtung zeigt sich, dass Cyprinus carpio, wie der Teichbewohner unter Biologen heißt, das Potenzial zum Superstar der heimischen Speisefische hat. Mit qualitativer Züchtung, guten Haltungsbedingungen und der richtigen Zubereitung lassen sich die kulinarischen Unzulänglichkeiten des Karpfens leicht verhindern. Wird das berücksichtigt, punktet der Fisch nicht nur mit feinem Geschmack und leicht nussigem Aroma, sondern auch mit einer äußerst nachhaltigen Produktion: Karpfenteiche sind ökologische Oasen, die erstaunliche Beiträge zur Artenvielfalt leisten.

Fisch der Zukunft

Genau damit beschäftigt sich der Wasserforscher Martin Kainz schon seit Jahren. Die beinahe CO₂-freie Züchtung macht den Karpfen für Kainz, der am Forschungszentrum Wassercluster Lunz der Donau-Uni Krems, der Universität Wien und der Wiener Universität für Bodenkultur forscht, zum "Fisch der Zukunft". Das relativ anspruchslose Tier ernährt sich vorwiegend von Zooplankton, das natürlicherweise in den Teichen vorhanden ist. Daher ist es nicht notwendig, Pestizide oder Medikamente einzusetzen wie bei der Nahrungsmittelproduktion in der herkömmlichen Landwirtschaft und in vielen Aquakulturen. "Der Karpfen ist ein Naturfisch, er frisst einfach, was da ist", sagt Kainz. Das Getreide, das zugefüttert wird, kann lokal hergestellt werden. Außerdem lässt sich die Karpfenzucht in vielen Regionen durchführen – nahe am Verbraucher, mit kurzen Transportwegen. Seine entfernten Verwandten aus den überfischten Meeren sticht er damit mühelos aus.

Das bekräftigt auch Leo Kirchmaier, Geschäftsführer des Niederösterreichischen Teichwirteverbands: "Mit dem Karpfen trifft man alle großen Strategien und Herausforderungen der Zeit – Ernährungssicherheit, Biodiversität, Nachhaltigkeit und Regionalität." Im nördlichen Niederösterreich, vor allem im Waldviertel, hat die Karpfenzucht eine lange Tradition. Um die 700 Karpfenteiche sind allein dort zu finden, die ältesten wurden schon vor 800 Jahren angelegt. Eine frühe Blüte erfuhr die Teichwirtschaft in dieser Region im 15. Jahrhundert.

Üppige Fastenspeise

Angetrieben wurde der Karpfenboom damals nicht zuletzt durch die Lehren der katholischen Kirche. Deren Gebote sahen vor, dass Fisch als Fastenspeise einzustufen sei. Wissenschaftlich gesehen mag das fragwürdig erscheinen, wenn man bedenkt, dass der Fettgehalt mancher Fischarten mehr als 20 Prozent beträgt. Dem Karpfen verhalf die Klassifizierung als Fastenspeise aber vielerorts zum Durchbruch – nicht nur, aber gerade auch zu Weihnachten durfte er nicht fehlen.

Für allerlei Aberglauben musste der Fisch ebenfalls herhalten. Gemäß einem alten Brauch macht es sich sprichwörtlich bezahlt, eine Schuppe des Weihnachtskarpfens aufzuheben und bei sich zu tragen – dann werde sich im neuen Jahr ein Geldsegen einstellen. Insbesondere im Mittelalter wurde der Karpfen abseits der Küche mit Bedeutung aufgeladen. So gab es die Vorstellung, dass sich die Marterwerkzeuge Christi im Kopf des Fisches befänden. Setze man die Kopfknochen wiederum zu einer Vogelgestalt zusammen, schütze diese vor Hexen. Handfesteren Nutzen wurde dem Fisch in Schlesien zugeschrieben: Die übrig gebliebenen Gräten des Weihnachtskarpfens wurden unter Obstbäume gelegt, um in der kommenden Saison eine üppige Ernte zu erzielen.

Qualität statt Masse

Im Laufe der Jahrhunderte machte die Karpfenzucht einige Höhen und Tiefen durch. Überdimensionierte und fehlgeplante Teiche sowie die Aufhebung des Fastengebots führten im 16. und 17. Jahrhundert zu einem Einbruch der Produktion. Nach langem Auf und Ab erlebte die Teichwirtschaft in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder einen Aufschwung, der dem kulinarischen Ruf des Fisches aber kaum nutzte: Durch Massenproduktion und schlechte Wasserqualität nahm das berüchtigte Letteln, das durch Blaualgen verursacht wird, zu. Heute sei das bei heimischen Produzenten kaum mehr ein Problem, sagt Kirchmaier. "Bei guter Bewirtschaftung sollte das nicht auftreten."

Während die Karpfenartigen weltweit die häufigsten Speisefische sind, stagniert der Karpfenkonsum hierzulande seit Jahren auf eher bescheidenem Niveau, wie auch die mit Spannung erwarteten aktuellsten Daten zum Fischverbrauch für das Corona-Jahr 2020 zeigten, die vergangenen Freitag von der Statistik Austria veröffentlicht wurden (siehe Fischstatistik unten).

Forensischer Nachweis

Als gebe es nicht schon ausreichend Argumente für weniger Meeresfischverzehr und mehr Karpfenkonsum, hat die Forschung zuletzt einen weiteren äußerst positiven Nebeneffekt der Karpfenzucht nachgewiesen: Die künstlich angelegten Karpfenteiche leisten einen wichtigen Beitrag zur Artenvielfalt. Wie Kainz mit seinem Team zeigen konnte, entwickeln sich die Teiche als Brutstätten für Insekten zu regelrechten Biodiversitäts-Hotspots. Mithilfe sogenannter Isotopenuntersuchungen wiesen die Wissenschafter in forensischer Kleinarbeit nach, dass auch in der Region ansässige Vogelarten davon in erheblichem Ausmaß profitieren.

Am Jägerteich in Waidhofen an der Thaya sind beispielsweise rund 50 verschiedene Vogelarten bekannt, darunter der seltene Pirol, das Blesshuhn oder der Rohrsänger – die meisten von ihnen fressen keine Fische, sondern interessieren sich nur für die hier ansässigen Insekten. "Diese Vögel würde es hier nicht geben, wenn es den Teich nicht gäbe", sagt Kainz.

Die Karpfenzucht in künstlich angelegten Gewässern ist für den Limnologen ein seltenes Beispiel dafür, dass menschliche Eingriffe in das Ökosystem auch einen positiven Nutzen für die Umwelt haben können. Gibt es ein besseres Argument dafür, sich ab und zu ein Karpfenfilet zu gönnen? (Tanja Traxler, David Rennert, 24.12.2021)