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Auch im Hobbysport kann sich Schummelei lohnen.

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

James Cottriall war stolz. "Wahnsinn, das war ein Lebenstraum", sagte der Profimusiker der "Heute". Mit einer Zeit von 2:56:46 Stunden hatte der gebürtige Brite beim Vienna City Marathon den 74. Platz belegt, das war fast eine Stunde schneller als seine bisherige Bestzeit. "Nun bin ich wirklich k.o. – und meine Österreich-Tour geht weiter!", zitierte ihn die Gratiszeitung. Die Traumzeit war auch Thema bei diversen anderen Medienauftritten, bei denen Cottriall sein neues Album promotete.

Sucht man nun in den VCM-Ergebnislisten nach James Cottriall, findet man nur mehr die Zeit 00:00:00 – und darunter ein fettgedrucktes "DISQ" für "disqualifiziert". Schuld ist ein Blogger aus Ohio. Derek Murphy geht auf seiner Website marathoninvestigation.com Läufern nach, die im Ausdauersport schummeln.

Abgekürzt?

Mitte Dezember widmete Murphy Cottrialls Wien-Marathon einen Eintrag und zeigte auf, dass der Wahl-Österreicher die Kilometer 30 bis 35 laut der Zeitnehmung seines Chips in 9:31 Minuten absolviert hätte – also flotte drei Minuten schneller als der 5K-Weltrekordler Joshua Cheptegei. Beim VCM gibt es alle fünf Kilometer Zeitmesspunkte, bei denen der Chip auslöst und die Zeit verzeichnet. Zusätzlich zu dem Fünf-Kilometer-Takt liegt ein Messpunkt bei Kilometer 33, wo das Feld im Prater das Lusthaus umrunden muss. Just dieser Punkt ist der einzige, bei dem Cottrialls Chip nicht auslöste. Murphys These: Er hat auf der Prater Hauptallee abgekürzt. Hier geht die Strecke geradeaus Richtung Lusthaus und führt davon parallel zurück – wer verfrüht die Seiten wechselt, kann also Kilometer sparen, deshalb auch der zusätzliche Messpunkt.

Für die Verantwortlichen des Vienna City Marathon ist die Sache klar. "Wir haben gemeinsam mit mika:timing den Lauf von James Cottriall detailliert überprüft. Es liegen uns keine Informationen vor, die eine andere Entscheidung außer die Disqualifikation zulassen", verlautbarte der VCM in einem Statement gegenüber "Helden des Laufsports". Der Transponder des Musikers habe "bei allen Zeitmesspunkten ausgelöst, mit Ausnahme des Punktes bei Kilometer 33".

Dementi

Cottriall bestreitet in einem Instagram-Posting und einem Interview mit "Helden des Laufsports", betrogen zu haben. "Chips können, obwohl das sehr selten ist, falsche Zeiten liefern", argumentiert er. Den VCM-Organisatoren sei er wegen der Disqualifikation nicht böse: "Es sieht ja wirklich sehr, sehr blöd aus." Auf die Laufplattform Strava sei der Marathon nicht hochgeladen worden, weil seiner Laufuhr der Akku ausgegangen war.

Er habe den Organisatoren des VCM und auch Derek Murphy Fotos zukommen lassen, die andere Läufer vor und nach der fragwürdigen Stelle mit ihm zeigen. Veröffentlichen wolle er diese aber nicht, um die Privatsphäre der anderen zu schützen. Auf den bei den VCM-Ergebnissen eingebetteten Fotos von "finisherpix" ist hinter Cottriall mehrfach, darunter etwa bei Kilometer zwölf, ein anderer Läufer mit der Startnummer 426 zu sehen. Dessen Halbmarathon-Zeit war laut offizieller Zeitnehmung exakt eine Sekunde langsamer als die des flotten Sängers – die Ankunftszeit am Ende seines konstant gelaufenen Rennens war 3:12:52.

Gezerre um die Startplätze

Bleibt die Frage: Wenn Cottriall geschummelt hat – warum? Und ist das überhaupt relevant? Murphy schreibt, dass eine Zeit unter drei Stunden für den 35-Jährigen angesichts seiner Halbmarathon-Bestzeit von 1:21 Stunden und seines gewaltigen, auf Strava einsehbaren Trainingspensums prinzipiell realistisch wäre. Blickt man auf die offizielle Zeitnehmung, war der für die Zeit nötige Schnitt von 4:11 Minuten pro Kilometer an dem heißen Septembertag aber schnell außer Reichweite.

Eine mögliche Erklärung: Die Qualifikationszeit für den London-Marathon liegt für Männer zwischen 18 und 39 Jahren bei 3:00 Stunden. Die Zeit ist zwar kein fixes Ticket, aber sie erhöht die Chancen auf einen der so begrenzten wie begehrten Plätze. Eine erschummelte Teilnahme würde also jemanden, der sich die Zeit ehrlich erarbeitet hat, aus dem Starterfeld verdrängen. (red, 25.12.2021)