Laurin Rosenberg: "Das Museum soll ein Ort der Debatte und des Austauschs sein und nicht nur eine Möglichkeit, ein Foto mit einem Pokal zu machen."

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Vor der Pandemie kamen jährlich 12.000 Besucher ins Rapideum. Im Dezember jährte sich die Eröffnung zum zehnten Mal.

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Lange waren Museen von Fußballvereinen Orte der Protzens über die eigene Geschichte. Beim SK Rapid will man mit dem Rapideum auch einem kritischen Blick auf die Vereinshistorie Platz einräumen. Im Dezember feierte man das zehnjährige Bestehen. Leiter Laurin Rosenberg erklärt, worauf es bei Fußballmuseen ankommt und woran man ein schlechtes erkennt.

STANDARD: Museen von Fußballvereinen sind zumeist Orte der Selbstbeweihräucherung. Das klingt einmal eher eindimensional.

Rosenberg: Fußballmuseen sind oft aus sogenannten Trophy-Rooms entstanden. Man wollte einfach zeigen, was man gewonnen hat. Da geht’s nur um den Erfolg. In den vergangenen Jahren hat man aber versucht, einen neuen Ansatz zu finden. Auch weil sich die Museumspädagogik insgesamt weiterentwickelt hat. Beim Rapideum geht es uns vor allem darum, Rapid zu erklären und nicht nur zu zeigen, wie viele Pokale wir haben.

STANDARD: Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, zum Beispiel mit der Rolle während des Nationalsozialismus, ist die Ausnahme. Warum?

Rosenberg: Die Hakoah war der erste Verein in Österreich, der sich mit seiner Auslöschung während des Nationalsozialismus im Nachhinein auseinandergesetzt hat. Da sind die Vorzeichen aber natürlich anders als bei allen anderen Vereinen. Viele Klubs und auch Verbände sehen den Nutzen eines Museums oder einer historischen Auseinandersetzung nicht. Ja, man muss einmal Geld in die Hand nehmen, aber anschließend sind alle froh, dass man es gemacht hat.

STANDARD: Und bei Rapid?

Rosenberg: Der Anlassfall für die Auseinandersetzung mit Rapids Rolle im Nationalsozialismus war das Freundschaftsspiel 2009 zum 110. Geburtstag gegen Schalke. Damit wurde auch das Spiel um die Deutsche Meisterschaft 1941 stark in Erinnerung gerufen. Die Auseinandersetzung damit und mit den historischen Gegebenheiten war aber nicht besonders kritisch. Nach einem kritischen Brief zweier Wissenschafter hat der damalige Präsident Rudi Edlinger stark reagiert und festgehalten, dass man dieses Spiel und die Zeit des Nationalsozialismus stärker kontextualisieren muss. Gemeinsam mit dem DÖW, dessen Präsident er auch war, gab er dann die wissenschaftliche Aufarbeitung der Rolle Rapids im Nationalsozialismus in Auftrag. Das war ihm unglaublich wichtig.

STANDARD: Hatte man Angst vor den Ergebnissen der Studie?

Rosenberg: Es ging nicht darum, zu zeigen, ob da Nazis oder Verfolgte waren, sondern dass man sich der Vergangenheit stellt. Das ist Teil unserer Geschichte. Man hat einerseits gesehen, dass Rapid jüdischer war, als man gewusst hatte. Es gab zwei jüdische Präsidenten in den 1920er-Jahren, Namensgeber Wilhelm Goldschmidt war Jude und ist im KZ umgebracht worden. Auf der anderen Seite gab es nach dem sogenannten Anschluss eine enorm schnelle Anpassung an die neuen Verhältnisse, und im Verein tummelten sich einige überzeugte Nationalsozialisten. Rapid war ein Spiegelbild der Wiener und auch der österreichischen Geschichte.

STANDARD: Was macht ein junges, modernes Museum aus, im Vergleich zu Museen, durch die man als Kind geschleift wurde?

Rosenberg: Für uns ist Interaktivität ein wichtiger Punkt, und das heißt nicht, dass da eine 3-D-Animation von einem Spieler ist. Das Museum soll ein Ort der Debatte und des Austauschs sein und nicht nur eine Möglichkeit, ein Foto mit einem Pokal zu machen. Es geht darum, bei Themen, die uns in der Gegenwart beschäftigen, auch den Blick zurück zu wagen. Im Fokus steht dabei nicht die Anbetung der eigenen Geschichte, sondern die Besucher, ihre Geschichte und ihr Bezug. Wir versuchen, auch Besucher aktiv einzubinden. Das ist für uns Interaktion. Es kommt dabei sehr viel auf die Vermittlung an. Das ist das Um und Auf.

STANDARD: Wie kommt man zu den Objekten?

Rosenberg: Da es zuvor keine zentrale Sammlung gab, musste man mit ehemaligen Funktionären, Spielern, Sammlern sprechen und sie bitten, Objekte zur Verfügung zu stellen. Es war viel Recherche notwendig, manchmal muss man dann den Leuten auch länger nachrennen und dranbleiben. Und manchmal ist es auch purer Zufall: Einmal hat uns eine Firma gemailt, sie hätten etwas gefunden, das vielleicht von Interesse wäre. Dieses Recyclingunternehmen kauft die Schlacke von der Müllverbrennung der MA 48, und ein Mitarbeiter hat beim Sortieren zufällig etwas rausgefischt: eine Meistermedaille von 1956.

STANDARD: Welche anderen Fußballmuseen sollte man unbedingt gesehen haben?

Rosenberg: Alle, in denen ich bis jetzt war, haben ihre Stärken und Schwächen. Das Wichtigste ist grundsätzlich immer, dass das Museum zum Verein passt. Frankfurt leistet gute Arbeit, aber auch die Bayern haben ein super Museum. Man muss sich zwar durch die Trophäen und Pokale kämpfen, aber auch sie setzen sich kritisch mit der Vergangenheit auseinander und reduzieren sich nicht auf die Selbstanbetung.

STANDARD: Was macht ein schlechtes Museum aus?

Rosenberg: Wenn die Kontextualisierung fehlt, wenn nicht eingeordnet wird. Rund um das Heeresgeschichtliche Museum gibt es momentan viele Diskussionen, dort ist das ein Problem. Sie stellen eine Puppe mit einer Uniform hin, und es steht nichts dabei. Das bringt dann niemandem etwas. Solche Tendenzen gibt es leider auch bei Ausstellungen im Fußballumfeld.

STANDARD: Ist der Traditionsbegriff nicht überholt? Verkauft Tradition noch genügend Abos und Trikots?

Rosenberg: Die Frage ist: Bin ich ein Verein, oder bin ich ein Marketinginstrument? Ein Verein ist immer mehr als verkaufte Tickets oder Abozahlen. Natürlich ist Rapid eine Marke. Jede Marke braucht einen Markenkern, und wir als Rapideum definieren über die Geschichte diesen Markenkern mit. Diese Positionierung ist auch erst über den sogenannten modernen Fußball so wichtig geworden, so ehrlich muss man sein. Davor war das eine Gefühlsfrage, jetzt ist es eine Strategie, die auch notwendig ist. Ich stelle immer die Frage: Wovon leben Fußballvereine?

STANDARD: Wovon leben Fußballvereine?

Rosenberg: Nicht vom Fußball per se, sondern von der Emotion. Emotion kannst du durch Erfolg bekommen, aber auch durch Geschichte und Gemeinschaft. Dafür brauchst du jemanden, der das unterfüttert. Im Fußball sind Geschichte und Geschichten immer ein Stück weit subjektiv. Es kommt auf den Betrachtungswinkel an. Bei Rapid gibt es zum Beispiel das Narrativ des Unangepassten, des Widerspenstigen. Genauso gut kann man aber sagen, dass sich Rapid immer besonders gut an die Gegebenheiten angepasst hat. Am Ende stimmt beides. (Andreas Hagenauer, 26.12.2021)