Im September beginnt sie an der Volksoper. Die Regisseurin Lotte de Beer erlebt man zuvor aber im Theater an der Wien, sie inszeniert "Jenůfa"" ab 16. 2. 2022.

Foto: David Payr

Sie wirkt wie jemand, der gerne schon vorgestern losgelegt hätte, es kaum erwarten kann, mit der Pendelarbeit zwischen Probebühne und Direktionssessel zu beginnen. Andererseits ist Lotte de Beer ob der Pandemielage und der Lockdowns womöglich nicht unfroh, als Chefin der Volksoper erst im September 2022 die Nachfolge von Robert Meyer antreten zu können. "Da alles lange stillstand, konnte ich im Kopf schon in den Jahren 2022 und 2023 sein. In meiner Fantasie ist das eine Zeit ohne Corona. Und sollte die Pandemie nicht vorbei sein, werden wir einen Weg finden müssen, mit ihr umzugehen", sagt die 39-jährige Niederländerin.

Natürlich startet so eine Tätigkeit lange vor ihrem offiziell sichtbaren Beginn. Man muss alle kennenlernen, vor allem auch das Ensemble hören, was jedoch nicht "normal" möglich war während der Lockdowns. Also gab es das bekannte Vorsingen zwecks Kennenlernen und Beurteilung, wo doch Lotte de Beer "eigentlich vierzig Vorstellungen besuchen" wollte ...

Keine angenehme Sache, und es kam auch zu Trennungen. Allerdings sei es "meine Verantwortung, mit Staatsgeld sorgsam umzugehen und künstlerisch alles so gut wie möglich umzusetzen. In einigen Fällen haben wir unsere Entscheidung aufgrund zusätzlicher Arbeitsproben oder Aufführungen geändert", erzählt sie und erklärt, was ihr vorschwebt: "Es braucht Allrounder, Performer, die singen, spielen und sich bewegen können, aber auch Theaterkünstler mit eigener Vision, die zusammenarbeiten wollen." Vieles ist natürlich Geschmackssache. Zwischen den Beteiligten müsse allerdings einfach "der Funke überspringen. Sonst wird das Publikum nicht verzaubert!"

Musiktheater für sehr viele

Zur Verzauberung muss auch das Konzept beitragen. Jenes von Lotte de Beer will zwischen den Generationen Brücken bauen, es gehe ihr um Vertiefung der Vielfalt. Operette bleibt weiter zentral, das Hinterfragen von Konvention kommt hinzu, Stücke mögen die Form annehmen, die der jeweilige Inhalt erfordert. "Das verstehe ich unter Musiktheater. Wir wollen das breite Spektrum der Kunst feiern, das dieses Opernhaus bieten kann: Musiktheater ohne Grenzen für ein Publikum ohne Grenzen", träumt die Regisseurin, ohne konkreter werden zu wollen. Offenbart wird nur, dass die Eröffnungsproduktion nicht Lulu sein wird, "wie fälschlich behauptet wurde".

Wenn man aus ihren Worten eine ästhetische Position herausdestillieren will, ergibt sich folgendes Bild: Lotte de Beer will auf der Bühne echte Charaktere sehen. "Beißende Satire" und "prickelnden Humor" will sie an die Gegenwart binden. Ein probates Mittel ist dabei Entertainment, das sie nicht als dumm, sondern als "denkanregend" betrachtet. Dekonstruktion wiederum findet sie nicht notwendig.

Klare Botschaft

Diese Form des Regietheaters sei "ans Ende gekommen". Im Bewusstsein allerdings, dass nicht alles "den Erwartungen entsprechen wird", würde immer für Klarheit gesorgt werden: "Die Leute sollen wissen: Donnerstag kommt eine echte Überraschung – komm also nicht, wenn du nicht überrascht werden willst! Wenn du das Bekannte willst, komm lieber am Mittwoch."

Immer von der Szene weg

Lotte de Beer, die sich in Wien einen Namen durch Inszenierungen im Theater an der Wien gemacht hat, kommt aus der Praxis. Sie wollte Sängerin werden, erfuhr aber in "einem schmerzhaften Prozess, dass das kein Weg für mich ist". In der Schauspielschule dann eine Art Schlüsselerlebnis: "Man sagte zu mir: ,Lotte, du gehst immer von der Szene weg, wenn du spielst, um anderen zu helfen! Das nennt man Regie!‘ So habe ich herausgefunden, was meine Berufung ist."

Warum dann aber ein Haus führen? "Man kann als gastierender Regisseur und gastierende Regisseurin auch zynisch werden, wenn man mit Rahmenbedingungen arbeitet, die andere entwickelt haben. Es ist ja nie ideal, oft fehlen Geld, Zeit, Unterstützung. Wirklich große Kunst kann unter verschiedenen Umständen entstehen, aber es braucht ein gemeinsames Ideal, eine brennende Überzeugung, wie man zusammenarbeiten möchte."

Der Versuch zählt, aber auch mehr

Das will sie anstreben. "Mir ist klar, dass ich nicht das perfekte Haus schaffen kann, aber das Wichtigste ist der Versuch." Sie sei "Idealistin", die gleich zu Beginn so ihre Erfahrungen gemacht hat, auch damals, als sie an einer niederländischen Schauspielschule Regie studierte.

Nachdem es keine Opernregie gab, wollte sie sich spezialisieren und trat ein Praktikum an der Nationaloper an: "Nach meinem ersten Tag rief ich an und sagte: ,Holt mich hier raus! Oper hat nichts mit Kunst zu tun! Es geht nur um Hierarchie, Ego, die Sänger wollen nicht schauspielen.‘" Der Deal mit der Schule war jedoch, dass sie bleibt. "Und dann habe ich Peter Konwitschny kennengelernt und gesehen, wie toll das Genre sein kann."

Der gefragte Musikchef

Von der Schönheit des Genres wird sie auch den neuen Musikchef Omer Meir Wellber überzeugt haben, der bereits einen Kalender voll der Zukunftspläne hatte. "Ich bin froh, dass es mir gelungen ist, ihn trotz seiner Verpflichtungen an das Haus zu holen. Er hatte bereits zahlreiche Engagements und alles darangesetzt, umzudisponieren, um doch kommen zu können." Sie schätzt Omer Meir Wellber auch, weil "er undogmatisch an die Dinge herangeht – darin haben wir total zusammengefunden".

Ob sie mit der nicht zu knappen Büroarbeit nicht doch zu viel von ihrer Berufung abgibt? Das habe sie sich auch gefragt, aber "ich muss sagen: In einem Büro sitzen und Kunst ermöglichen, das ist genauso toll." (Ljubiša Tošic, 27.12.2021)