Er will sich als europäische Autorität inszenieren, um in Frankreich die Wahlen zu gewinnen. Laut aktuellen Umfragen könnte Emmanuel Macrons Rechnung aufgehen.

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Kinder stellen direkte Fragen. "Haben Sie Lust, 2022 Präsident zu sein?", fragte ein zehnjähriges Mädchen Emmanuel Macron vor Kurzem in einer Radiosendung. Die Nation kennt die Antwort längst, doch der Gefragte schmunzelte nur: "Ich werde über die Festtage ein wenig darüber nachdenken."

Natürlich hat der Präsident Lust, im April für ein zweites Fünfjahresmandat gewählt zu werden. Große Lust. Seit Wochen scheinen sämtliche seiner Beschlüsse einem Kriterium zu unterliegen: Sie haben wahlkompatibel zu sein. Auch wenn Macron seine Kandidatur erst im Februar anmelden dürfte, listete der konservative Senator Bruno Retailleau bereits 42 Finanzgeschenke für diverse Bürgerkategorien auf. Er schätzt den Geldsegen aus dem Élysée auf "eine Milliarde pro Woche".

Natürlich: Macrons Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande hatten sich im Wahlvorfeld fast ebenso generös gezeigt. Die Wiederwahl verpassten sie dennoch. Macron zählt indes auf einen weiteren Trumpf: den französischen EU-Ratsvorsitz des ersten Halbjahres 2022, der zufällig mit der Wahlkampagne in Frankreich zusammenfällt. Und es braucht keinen bösen Willen, um auch bei Inhalt und der Form eine auffällige Überschneidung festzustellen.

Chefauftritte am laufenden Band

So bemüht sich Macron, als starker und beschützender EU-Lenker aufzutreten. Der Europa-Präsident für ein halbes Jahr wird sich deshalb nicht auf die Vermittlerrolle beschränken, die ihm das Amt des Ratsvorsitzenden zuweist. Im Gegenteil, er schanzt sich mehrere erste Rollen und Chefauftritte zu: Im Februar lädt er zu einem EU-Afrika-Gipfel, im März zu einem Wachstumssondergipfel. Das wird auf dem Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfes sein.

Macron hätte die Spitzentreffen auch auf ruhigere Momente nach der Wahl, zum Beispiel im Mai oder Juni, verlegen können. Aber dann ist er nicht mehr auf das Rampenlicht angewiesen.

Auch inhaltlich schneidet Macron das Ratsprogramm auf den französischen Wahlkampf zu. Die dominierende Migrationsfrage findet Einfluss in die französischen EU-Ratsvorschläge, die eine Anpassung des Schengenraums anregen.

Europaweiter Mindestlohn

Des Weiteren will Macron das europäische Sozialmodell vertiefen. Er übernimmt die Idee eines europaweiten Mindestlohns, den auch die deutsche Regierung in ihrem Koalitionsvertrag erwähnt. Die Maastricht-Regeln mit dem Drei-Prozent-Defizit und dem Schuldenlimit von 60 Prozent sollen wegfallen. Das passt Berlin weniger ins Konzept, doch Macron hält daran fest: Er will damit gegenüber Rechtspopulisten Marine Le Pen oder Éric Zemmour beweisen, dass die EU nicht etwa liberaler, sondern sozialer wird.

In den Umfragen steht der amtierende Präsident gut da: Seit Wochen führt er das Ranking mit 24 Prozent Stimmen im ersten Wahlgang an. Le Pen und Zemmour kommen auf je rund 17 Prozent. Selbst wenn es eine oder einer der beiden in die Stichwahl schaffen würde, hätten sie dort aufgrund ihrer politischen Radikalität nur beschränkte Chancen gegen Macron.

Anders Valérie Pécresse: Die Kandidatin der konservativen Republikaner kommt ebenfalls auf etwa 17 Prozent, könnte aber im zweiten Wahlgang viel breitflächiger Stimmen ernten als die Rechtsnationalen. Zumal Pécresse zum eher gemäßigten Flügel ihrer Partei zählt und Macron damit auf die Füße tritt.

Zunehmende Nervosität

Im Präsidentenlager sorgt das für zunehmende Nervosität. Auch deshalb versucht sich der Präsident als europäische Autorität zu inszenieren: In Paris und Brüssel an den Schalthebeln der Macht zu sitzen und der nationalen Grandeur zu schmeicheln kommt in Frankreich immer gut an. So verschafft sich Macron ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber seinen international unerfahrenen Widersachern.

Macron darf es mit der Ausnützung seiner präsidialen Funktion aber nicht zu weit treiben. So souverän er auf dem internationalen Parkett auftritt, so rasch nährt er bei den Franzosen einen Eindruck von Selbstgefälligkeit, ja -herrlichkeit. Daher hat er sich unlängst in einer TV-Sendung als demütiger Staatsdiener gegeben. "Ich habe Fehler gemacht", erklärte er mit gesenktem Blick. Und nach einer Kunstpause: "Aber ich habe gelernt."

Noch mitten im Lernprozess steht die französische Linke. Ihre Spitzenkandidaten Yannick Jadot (Grüne), Jean-Luc Mélenchon (Unbeugsame) und Anne Hidalgo (Sozialisten) kommen in den Umfragen auf jeweils weniger als zehn Prozent. Statt sich auf eine Einheitskandidatur zu einigen, erhalten sie auch noch Konkurrenz durch Ex-Justizministerin Christiane Taubira.

Die auf der Linken sehr populäre Anti-Rassismus-Kämpferin erklärte diese Woche sibyllinisch, sie "beabsichtige" zu kandidieren. Jadot konterte wütend, Taubira zögere zu lange und komme zu spät. Gegen Macrons sehr professionelle Kampagne wirken die internen Querelen der Linken wie wahlpolitische Sandkastenspiele. (Stefan Brändle aus Paris, 1.1.2021)