So unsicher wie die Definition von Dummheit sei auch die Herkunft des Wortes, das seit dem neunten Jahrhundert verwendet werde, um Törichte und Taube zu beschreiben, schreibt Heidi Kastner in ihrem Buch.

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Dumme Entscheidungen hätten in der Geschichte der Menschheit "schon mehr Schaden angerichtet als alle Waffen, Bakterien und Viren gemeinsam", schreibt Heidi Kastner in ihrem neuen Buch über Dummheit. Geboren wurde die Idee zu der Abhandlung über dummes Verhalten "durch die jahrzehntelange Begegnung mit dem Phänomen, das einen immer wieder fassungslos macht", wie die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie erzählt.

STANDARD: Es gibt keine wissenschaftlich anerkannte Definition von Intelligenz. Noch schwieriger ist es, eine genaue Definition für Dummheit festzumachen. Ergibt sich die Definition von Dummheit nicht automatisch aus jener von Intelligenz?

Kastner: Ganz und gar nicht. Dummheit ist nicht das Gegenteil von Intelligenz. Intelligenz beziffert einige messbare Parameter in der psychischen Funktionsfähigkeit: logische Schlussfolgerungen abzuleiten, vernetzend wahrzunehmen und Fähigkeiten, die man im Intelligenztest abfragt: Bildung, Sprachkenntnisse, Wortschatz. Aber das hat mit Dummheit nichts zu tun. Es gibt furchtbar dumme Menschen, die im Intelligenztest grandios abschneiden, und Leute, die sind durchschnittlich begabt, haben aber eine gewisse Form von Klugheit, die sie vor Dummheit bewahrt.

STANDARD: Sie beschreiben einige Voraussetzungen dafür, wann und warum ein Mensch als dumm bezeichnet werden kann. Woran erkennt man Dummheit, wenn sie sich, wie Sie schreiben, der Vermessung entzieht?

Kastner: Dummheit ist vor allem mal zum einen diese unhinterfragbare Überzeugung, im Besitz der Wahrheit zu sein, und zwar ohne Zweifel. Damit geht auch die anmaßende Position einher, zu allem eine bedenkenswerte Meinung beziehen zu können, ohne sich über das Thema gründlich zu informieren. Der Glaube, eh genug zu wissen, nur wenn man einmal irgendwo etwas gehört hat, und daraus eine Position beziehen zu können, das ist Faulheit oder Indolenz. Man bemüht sich nicht um ordentliche Entscheidungsgrundlagen und folgt seinem Bedürfnis, mit einem Schild herumzurennen, ohne seine Position zu überdenken oder sich für seine eigene Position verantwortlich zu fühlen, weil diese Verantwortung in der Gruppe diffundiert. Wenn alle dasselbe schreien, kann ich das getrost mitschreien und brauche mir nicht zu überlegen, was ich da eigentlich schreie. Dummheit ist aber auch eine völlig fehlverstandene Toleranz, die meint, man müsse alles gelten lassen. Das muss man nicht. Man muss auch nicht jede Meinung wertschätzen. Alles verstehen bedeutet bekanntlich, alles zu verzeihen – was W. S. Maugham als Mentalität des Teufels bezeichnet hat. Man muss sich positionieren und überlegen, warum man sich positioniert. Es reicht nicht zu sagen, dass das viele andere auch machen.

STANDARD: Tendieren manche Menschen eher dazu, Dummes zu tun?

Kastner: Es gibt intelligente Menschen, die fürchterlich dumme Entscheidungen treffen und sich sehr dumm verhalten. Dumm meint, ignorant zu sein, unglaublich selbstsicher oder nur "bei sich" zu sein, wie es so schön heißt heutzutage, es bedeutet das Ausblenden von Verantwortungen, dass man keine Informationen vor Entscheidungsfindungen einholt, selbstzentriert und selbstherrlich zu sein, kein Gefühl dafür zu haben, dass man als Teil eines Ganzen auf der Welt ist und das Ganze mitbedenken muss, wenn man Entscheidungen trifft. Dummheit hat auch viel zu tun mit einer gewissen Form von Arroganz.

STANDARD: Was fördert Dummheit, Emotionen wie Angst und Sorge?

Kastner: Heftige Emotionen sind oft kein guter Ratgeber. Wenn man nicht gelernt hat, Emotionen zu definieren, zu hinterfragen und auch zu kontrollieren – was man lernen sollte in der Persönlichkeitsentwicklung –, dann können diese natürlich zu im Nachhinein bedauernswerten, weil dummen Handlungen führen. Meistens sind dumme Entscheidungen aber eine Folge von einem Bündel an Dingen.

STANDARD: Sie sehen auch kulturtraditionelle Gründe dafür, eher dazu bereit zu sein, kritiklos Positionen zu übernehmen, da Kirche und Staat lange den Blick auf Dinge und Fragen vorgegeben haben. Das trifft auf Österreich zu, aber auch auf viele andere Länder. Warum emanzipieren sich manche eher davon als andere?

Kastner: Eine schlüssige Erklärung hat dafür noch keiner geliefert. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die Faktenverweigerung gerade im deutschsprachigen Raum, der Österreich, Deutschland und die Schweiz umfasst, Hochkonjunktur hat. Das ist in Skandinavien, aber auch im südeuropäischen Raum anders. In Skandinavien waren sie schon immer freidenkender. Aber wenn man sich die Impfquote Portugals ansieht, dann hat das offensichtlich wenig mit tradierter Autoritätshörigkeit zu tun. Der südeuropäische Raum war aber genauso autoritär oder kirchlich dominiert. Das allein erklärt es also nicht.

STANDARD: Was braut sich da seit Ausbruch der Corona-Pandemie zusammen, dass man mit Fakten kaum noch durchdringt?

Kastner: Es ist nachvollziehbar, dass es Länder, die eine lange Tradition von Denk-, Positions- und Moraldiktatur haben, gewohnt sind, das Denken und Bestimmen anderen zu überlassen. Kirchen haben nicht mehr den enormen Zulauf von früher, dieses jahrhundertelang tradierte autoritäre Denkmodell löst sich zunehmend auf. Die Leute orientieren sich jetzt an allen möglichen anderen Denkvorgaben. Deshalb haben Esoterik und Schwurbelei Hochkonjunktur. Es braucht offenbar jemanden, der einem vermittelt, zu den Auserwählten, die den Durchblick haben, zu gehören. Das ist im Wesentlichen in der Religion, die sich als die einzig wahre bezeichnet, auch so. Da fühlt man sich auch erhaben, so sehr, dass man andere missioniert. Das hat immer auch was mit Selbstwert zu tun. Sie wollen ja nicht Fakten abgleichen, sondern recht haben. Derselbe Mechanismus funktioniert bei Verschwörungsmythen. Da braucht man nicht diskutieren, das ist sinnlos.

STANDARD: Wie holt man diese Menschen dann noch ab?

Kastner: Ich glaube, den Großteil von ihnen holt man nicht ab. Das muss man wohl akzeptieren. Wir haben auch einen bestimmten Anteil an Leuten, der eine Diktatur will. Die sind auch nicht abholbar. Da muss man mit klugen staatlichen Direktiven festlegen, was der erlaubte Rahmen ihres Verhaltens ist. Wenn man sich nicht an diese hält, muss man die Sanktionen in Kauf nehmen, die ein demokratisches System für Menschen vorsieht, die sich nicht an die Regeln der Gemeinschaft halten. Mit ihrer Position haben sie eben Pech. Man kann ja auch nicht einfach jemanden umbringen und verlangen, dass das respektiert werden muss. Es gibt eben Grenzen. Der Prozentsatz, der den völlig absurden Verschwörungsnarrativen anhängt, ist ja auch nicht hoch, sondern im einstelligen Bereich.

STANDARD: Er ist aber sehr laut und schließt sich mit anderen zusammen.

Kastner: Unkritisch, wie sie sind, tun sie sich mit anderen zusammen oder lassen sich von anderen instrumentalisieren, die eine größere Masse bilden wollen. Da formieren sich eher rechtsradikale Gruppierungen und bedienen sich der Corona-Schwurbler, um so mehr Impact zu haben. Diese Demonstrationen sind gänzlich inhomogen: Da marschieren alternative Esoterikfans und Linke Schulter an Schulter mit Rechtsradikalen. Sie brüllen "Freiheit" und sind so verrannt, dass sie nicht einmal eine Sekunde darüber nachdenken, was Freiheit in einem demokratischen System bedeutet. (Anna Giulia Fink, 28.12.2021)