Einsam auf hoher See: Corona erwischt Frächter und Lieferketten erneut. Strengere Vorschriften für die Einreise verhindern oft den Tausch der Frachtcrews. Seeleute müssen an Bord in Quarantäne bleiben – aus Sicherheitsgründen. Das bringt Zeitpläne durcheinander.

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Kaum ist die Angst ausgestanden, dass unter dem Weihnachtsbaum das eine oder andere Geschenk fehlen könnte, weil es nicht rechtzeitig geliefert wurde, schon kommt neuer Schwung in das Lieferketten-Dilemma. Der Diskonter Hofer weist auf seiner Homepage darauf hin, dass einige Aktionsartikel aufgrund der aktuellen Situation bei der internationalen Seefracht zeitweise nicht verfügbar sind oder erst später geliefert werden können.

Die internationale Seefracht ist derzeit nämlich wieder enorm unter Druck. Grund dafür ist erneut das Coronavirus, speziell die Omikron-Variante. Sie hat dazu geführt, dass viele Länder ihre Einreisebestimmungen wieder verschärft haben. Das trifft auch die Frächter, weil von rund 1,5 Millionen Seeleuten weltweit laut einer Schätzung des Wall Street Journal nur rund ein Viertel vollständig geimpft ist. Viele Häfen in Asien verlangen von den Seeleuten, dass sie sieben bis zehn Tage warten müssen, bevor sie von Bord gehen, um sicherzustellen, dass sie nicht infiziert sind. Das verzögert die Rotation der Crews erheblich und führt zu Unterbrechungen.

Rotation wird verzögert

Im Normalfall werden die Crews in den großen Häfen in China, Singapur, den USA, den Niederlanden oder Belgien ausgetauscht. Damit das reibungslos funktioniert, sind pro Monat rund 150.000 Seeleute per Flugzeug rund um den Erdball unterwegs, um ihre Kollegen nach deren – gewöhnlich mehrmonatigem – Turnus abzulösen. Aufgrund der Turbulenzen, die Corona im Airline-Bereich auslöst und mit sich bringt, kommt es wohl auch hier zu Verzögerungen.

Die Rotation der Crews gilt derzeit als das größte Problem. Gefolgt davon, dass Frachtcontainer oft nicht dort verfügbar sind, wo sie gerade gebraucht werden. Das wiederum verteuert die verfügbaren Kapazitäten enorm.

In Summe hinkt die internationale Logistik einerseits immer noch der wiederauferstandenen Nachfrage nach dem Corona-Schock hinterher, andererseits kämpft sie selbst auch mit den Folgen der Pandemie.

All das drückt sich in einer knapperen Verfügbarkeit von Waren aus, aber auch in einer Verteuerung von Rohstoffen. "Wir stellen fest, dass sich ein guter Teil des Preisauftriebs noch in der Lieferkette befindet und noch gar nicht beim Kunden angekommen ist", sagt Wolfgang Schnellbächer, der bei der Boston Consulting Group (BCG) Kunden in Europa und im Mittleren Osten beim Einkauf und der Beschaffung berät. Auf die Verbraucher komme damit also noch eine ordentliche Welle von Preissteigerungen zu, so der Experte.

Nicht jede Branche hat schon abgewälzt

Wie groß das Potenzial der Erhöhungen ist, zeigt eine Erhebung von BCG, der zufolge nur Baustoffhersteller ihre aktuellen Preissteigerungen von zwölf Prozent eins zu eins an die Kunden weitergegeben haben. Die Baubranche sei eben an Preiszyklen gewöhnt. Einen Einbruch durch Corona gab es kaum, ebenso wenig einen Lockdown für diese Branche. Teils wurde der Bausektor durch Infrastrukturprogramme der Regierungen noch befeuert.

Anders sieht es etwa in der Chemiebranche aus. Dort wurden die Preise für Kunden bisher um vier Prozent angehoben, die Beschaffungspreise der Hersteller haben jedoch um acht Prozent zugelegt. Im Maschinenbau sind die Kosten um fünf Prozent gestiegen, drei Prozent davon wurden an die Kunden weitergegeben. In der Medizinbranche stiegen die Beschaffungspreise in der Lieferkette um sieben Prozent, drei Prozent davon tragen bereits die Kunden. Hygieneartikel haben sich in der Herstellung um fünf Prozent verteuert, bisher wurden diese Produkte für Konsumenten nur um ein Prozent teurer. Lebensmittelhersteller haben von ihrer Steigerung von sechs Prozent bereits vier Prozent an die Kunden übertragen.

Jeder hebt die Preise an

Schnellbächer sehe derzeit keine Branche, in der nicht versucht würde, über die gesamte Lieferkette hinweg das Preisniveau zu erhöhen. Weil kaum ein Vertrag über eine Preisgleitklausel verfüge, bekäme man angehobene Preise auch nicht mehr weg, wenn sich aktuelle Preistreiber – etwa die gestiegenen Kosten für Energie – wieder beruhigten. Dafür müssten Preise wieder neu verhandelt werden.

Hinzu kommt, dass "viele Unternehmen ihre interne Kostentransparenz erhöhen müssen", erklärt Schnellbächer. Hersteller könnten derzeit oft nicht genau sagen, wie sich erhöhte Kosten auf Fertigung oder Endprodukte durchschlagen. Das sei aber auch für die Produzenten wichtig, "damit sie nicht in den Bereich von negativen Margen abrutschen", sagt Schnellbächer. Insofern sei in vielen Branchen offen, was auf Kunden abgewälzt würde.

All das erfordert auch ein Umdenken im Einkauf. Händler würden künftig nicht mehr daran gemessen, möglichst billige Ware zu haben, sondern daran, ob sie in der Lage sind, die Verfügbarkeit von Gütern langfristig zu garantieren. (Bettina Pfluger, 28.12.2021)