Stefan Herheim schätzt den runden Tisch, er sei "ein Artus-Typ", der am liebsten im Kollektiv arbeitet.

Foto: Moritz Schell

Als Stefan Herheim zugesagt hat, inszenierender Manager am Theater an der Wien zu werden, war klar, dass das Opernhaus saniert werden muss. Sechs Monate waren anberaumt. Wie in einem Drama wuchsen jedoch die Probleme und führten zur Erkenntnis, dass Gröberes verändert werden muss, um das Haus "statisch zu sichern und vor weiteren Wasserschäden zu retten", so Herheim. Es bestand die Gefahr, dass die Behörden kommen "und sagen: Das war’s, raus hier!"

So wurden aus sechs Monaten zwei Jahre (und Kosten von etwa 60 Millionen Euro) und die Halle E im Museumsquartier zum Ausweichquartier. Herheim bestand darauf weiterzuspielen. Er wollte nicht, dass sich die Leute "ihr städtisches Opernhaus abgewöhnen". Die "Ausweichoper" soll weiterhin "große Formate ohne Einschränkungen im Monatsrhythmus" bieten.

Bildung ist alles

Es geht Herheim auch um Experimente und "vernachlässigte Gattungen". Die Operette, "die am Theater an der Wien entstand und geprägt wurde", wird aber auch eine Rolle spielen. Großes Musiktheater soll es zudem für Kleine geben, pro Saison also eine stattliche Produktion mit 14 Aufführungen.

"Bildung ist alles, wenn man diese Kunstform am Leben erhalten will", so der Norweger. "Wir schicken unsere Apostel zwar in die Lande, um für Musiktheater zu begeistern. Aber wir müssen auch das alte Haus für Jugend öffnen und ihr dort das Wunder Oper unmittelbar offenbaren."

Teams gefragt

Das Theatererlebnis möge im Kollektiv und "im Hier und Jetzt zelebriert werden", sagt Herheim. Das ist für ihn so zentral wie der Ansatz, nicht von Komponisten und Werken auszugehen, sondern "zunächst Teams zu fragen, welche Werke und Projekte ihnen unter den Nägeln brennen". Er, als Regisseur, habe es immer geschätzt, gefragt zu werden.

"Es scheint mir sinnvoller, auf Identifikation und Motivation zu setzen, als irgendein Motto à la ,Der König amüsiert sich‘ über eine Saison zu stülpen und dazu passende Stücke und Teams zu suchen." Überhaupt ist der "Neomanager" Herheim für kollektives Arbeiten am "runden Tisch. Ich bin ein Artus-Typ, der am liebsten auf Augenhöhe arbeitet, Begegnungen schafft. Sich in Beziehung setzen macht Kunst aus", sagt der Mann, der alles Mögliche hätte werden können.

Besessener Puppenspieler

Herheim war ein "Tausendsassa": Er malte, war ein Zurück nach salzburg zum Skandal"besessener Puppenspieler und ein recht begabter Cellist". Er habe "getanzt und viel gesungen, auch Countertenor war eine ernste Option". Sich jedoch allein einzusperren "und tagelang nur eines zu üben lag mir nicht. Ich wollte mit Menschen im Theater unterwegs sein", sagt Herheim, dessen internationale Karriere als Regisseur dann bei den Salzburger Festspielen 2003 als Skandal ihren Ausgang nahm.

Festspielintendant war Peter Ruzicka, und er wäre "mutig gewesen", Herheim für Mozarts Entführung zu engagieren. Zwei Jahre davor kam der 1970 in Oslo Geborene "aus der Hochschule raus und hatte erst eine Handvoll Stücke inszeniert. Ruzicka hatte meine Diplominszenierung in Hamburg gesehen, eine eigenwillige, aber nicht radikale Zauberflöte." Auch die Salzburger Entführung wäre gewagt gewesen, aber "keineswegs provokant um der Provokation willen".

Zurück nach Salzburg zum Skandal

Er wird jedenfalls "nie vergessen, wie versteinert das Premierenpublikum – darunter The Prince of Wales mit seiner Camilla – dasaß in diesem Singspiel. Bei den Folgevorstellungen gingen die Leute rein, um zu buhen."

Herheim war da schon Richtung Urlaub abgereist, wurde jedoch zurück nach Salzburg beordert, "wo ich vor jeder Aufführung vor den Vorhang trat, mich vorstellte und sagte: ,Nachher treffen wir uns im Karl-Böhm-Saal! Dann können Sie mit mir machen, was Sie wollen, aber lassen Sie die armen Sänger und Sängerinnen jetzt bitte durch das Stück kommen. Sie bekamen es voll ab: Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Peter Rose, die damals noch keine Stars waren. Manchmal konnte Ivor Bolton 20 Minuten lang nicht dirigieren, so heftig waren die Reaktionen", erinnert sich Herheim, der später, nach dem Parsifal in Bayreuth, "plötzlich Everybody’s Darling wurde und mich fragte, was ich da wohl falsch gemacht hatte".

Warum Manager?

Wer das alles hört, fragt sich, warum dieser Genrestar, der überall gefragt ist, eine Intendanz suchte. "Es hat sicher damit zu tun, dass ich als Regisseur ein Bilderstürmer bin, der den ganzen Theaterbetrieb in Anspruch nimmt und auf stimmige Rahmenbedingungen achtet." Immer öfters erlebe er, wie Operninstitutionen regelrecht "kunstfeindlich erscheinen – mangels Kommunikation und einer kohärenten Produktionsplanung".

Herheim fragt: Warum kommt der Startenor nicht wie alle anderen zu Proben? Warum werden Sänger und Sängerinnen, die sechs Wochen intensiv proben, nach drei Vorstellungen gegen Ungeprobte ausgetauscht? "

Lieber Stagione

Als Gesamtkunstwerk lebt Musiktheater von einer Verhältnismäßigkeit, die an vielen Repertoirehäusern kaum mehr berücksichtigt wird." Deswegen nun die Doppelrolle als Intendant und Regisseur. Deswegen seine Vorliebe für den Stagionebetrieb. Deswegen legt der Sohn eines Orchestermusikers seine "internationale Karriere zur Seite", um "im eigenen Haus zweimal im Jahr zu inszenieren".

Um ein Haar wäre Regisseur Herheim übrigens an der Wiener Staatsoper gelandet. Kurz "bevor ich mich für Wien entschied, bot mir Bogdan Roščić an, einige meiner alten Produktionen an der Staatsoper neu rauszubringen. Ich musste ihm mitteilen, dass wir Kollegen werden, was ihn schon überrascht hat. Wir verstehen uns aber gut. Und auch mit Volksopernchefin Lotte de Beer habe ich ein kollegiales Verhältnis. Natürlich kämpfen wir alle ums Publikum, was immer herausfordernder wird."

Hier irrt Herheim womöglich. Auslastung war h vor Corona jedenfalls – in Wien für kein Opernhaus ein Problem. Eher, dass punktuell künstlerische Spannung fehlte und internationale Relevanz. Das wird in der neuen Wiener "Dreierkonstellation" der Direktoren und Direktorinnen sicher besser, interessanter. (Ljubiša Tošic, 28.12.2021)