Bild nicht mehr verfügbar.

Die Wissenschaft muss sich hinten anstellen, die Politik marschiert vor. Der Berater hat nur Umfragewerte in der Handtasche. Das Setting von "Don't Look Up" zeigt, wie falsch Katastrophenbekämpfung laufen kann.

Foto: Niko Tavernise/Netflix via AP

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Smartphone spielt auch in der Realsatire eine tragende Rolle.

Foto: Niko Tavernise/Netflix via AP

Es ist schwere Kost, die nach den Schlemmereien während der Feiertage trotz der Komik nicht einfach runtergeht. Selten hat ein Film den desolaten Zustand der Menschheit so treffsicher beschrieben wie "Don't Look Up", der seit Weihnachten über Netflix zu sehen ist. Der Inhalt ist schnell erzählt: Ein riesiger Komet rast auf die Erde zu und trifft sie dann auch mit voller Wucht, obwohl Wissenschafter davor gewarnt hatten. Spoiler-Warnung! Es geht nicht gut aus. Gar nicht gut.

Regisseur Adam McKay wollte mit dem Film die Welt angesichts der Klimakatastrophe aufrütteln. Seine Zustandsbeschreibung passt aber genauso gut zum Umgang mit der Corona-Pandemie.

Die zentrale Aussage des Films stammt von dem von Leonardo DiCaprio verkörperten, etwas abgehalfterten Astronomieprofessor Randall Mindy: "Wenn wir uns nicht einmal darauf einigen können, dass es keine fucking gute Sache ist, dass ein Komet in der Größe des Mount Everest auf die Erde zurast, was zur Hölle ist mit uns passiert? Wie können wir das lösen?"

Ja, was zur Hölle ist los mit uns? Die Satire, die näher an der Realität liegt als wünschenswert, liefert jede Menge Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser Frage. Der Katastrophenfilm zeichnet eine toxische Mischung aus einer völlig versauten Politik, Verheißungen neuer Digitalgötter, die gierig Daten sammeln, um diese dann doch nur für die Optimierung ihres eigenen Wohls zu nutzen, und willfährigen, quotengeilen Medien, deren Smartphone-süchtiges Publikum zu selbstbezogen und abgelenkt ist, um für Fakten zugänglich zu sein.

Bei ihrem ersten Auftritt in einer Talkshow erklärt die Astronomiedoktorandin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) gereizt, wie gefährlich der nach ihr benannte Komet ist. Sie erntet jede Menge negative Kritik auf Social Media, obwohl sie nur die unbequeme Wahrheit sagt. Das erinnert an die Klimaaktivistin Greta Thunberg oder an heimische Wissenschafterinnen und Wissenschafter, deren Aussagen verkürzt und verdreht werden oder die auf ihr Äußeres reduziert werden, während ihre eigentlichen Botschaften kein Gehör finden. Die dargestellten Medienvertreter sind mehr an der Quote und ihrem eigenen Sexleben interessiert als am Journalismus – auch das soll in Österreich mutmaßlich schon vorgekommen sein.

Jennifer Lawrence und Leonardo DiCaprio über den Film.
Netflix Türkiye

Vertraute Muster

Am stärksten schmerzt, wie realitätsnah die Rolle der Politik in Person der Präsidentin Janie Orlean wirkt, gespielt von Meryl Streep. Sie und ihr Berater aus der Familie ordnen ihr gesamtes Tun den Umfragen und Wahlerfolgen unter. Die Wissenschaft kommt zunächst auf die Wartebank, und dann wird ihr Inhalt über den Filter der Message-Control so umformuliert, dass sie der Wiederwahl nützt. Mittels eines massen- und PR-tauglichen Slogans rät die Präsidentin ihrem Wahlvolk bezüglich des herannahenden Kometen, doch einfach nicht nach oben zu schauen: "Don't Look Up!" Janie Orlean ist eine Legierung aus Donald Trump, Sebastian Kurz und Herbert Kickl. Der Techguru und Milliardär Peter Isherwell (Mark Rylance) bekommt den lukrativen Auftrag, den Kometen in Stücke zu zerbomben und aus diesen seltene Materialien für die Handy-Produktion zu gewinnen, weil er zu den Großspendern der Partei zählt. Auch das klingt vertraut.

All das wäre nicht möglich, wäre die Gesellschaft nicht eine derart narzisstische, kritiklose Masse, wie im Film dargestellt. Die große Mehrheit unterwirft sich blind den Versprechungen der Techgiganten, den dummen Slogans der Politik und dem Infotainment der Medien. Hier unterscheidet sich jedoch die Fiktion von der Realität: Immer mehr erkennen den Unterschied zwischen Fake-News und Fakten. Immer mehr erkennen durch die direkten Auswirkungen der Klimakatastrophe und der Pandemie den Wert der Wissenschaft. Seriöse Medien setzen auf Wissenschaftsjournalismus, der komplexe Themen verständlich erklärt und aufbereitet. Wissenschafterinnen und Wissenschafter verschaffen sich selbst mehr Gehör, auch über soziale Netzwerke. Immer mehr blicken hinter die Kulissen populistischer Politik und die Methoden von Datensammlern. Trump wurde schließlich doch abgewählt, das Klimathema ist in westlichen Demokratien so hoch im Kurs, dass die Leugner immer mehr ins Hintertreffen geraten.

In der Realität wie im Film kommt der stärkste Hoffnungsschimmer von der jungen Generation. Ariana Grande spielt die Sängerin Riley Bina, die mit dem Song "Just Look Up" die Gegenbewegung zur Skeptikerfront unterstützt. Sie zeigt, dass Social Media trotz aller Selbstdarstellungsnebenwirkungen auch für Sinnvolles eingesetzt werden können. Am Schluss bringt Yule (Timothée Chalamat), ein junger Ladendieb mit Skateboard, beim letzten Abendmahl vor der Apokalypse die versammelte Runde noch einmal dazu, einander die Hände zu reichen. Selbst Zweifler wagen doch einen Blick nach oben.

Ariana Grande und Kid Cudi: "Just Look Up".
Netflix Film Club

Das cineastische Ende ist definitiv kein optimistisches. Der Film kann jedoch als Auftrag gesehen werden. Der echte Komet (Klimakrise, Pandemie) ist zwar unterwegs, er kann aber noch abgewehrt werden. Die Waffe haben wir in der Hand, wir müssten sie nur gemeinsam bedienen, damit sie wirkungsvoll ist. Das ist die Antwort auf Professor Mindys Fragen. (Rainer Schüller, 28.12.2021)