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Der männliche Fahrer als "Standard-Dummy": Noch immer wird die Sicherheit von Autos hauptsächlich anhand männlicher Fahrer getestet.

Foto: REUTERS/Moritz Hager

Der "50-Perzentil-Mann" ist kaum jemandem bekannt – und das, obwohl er in Sachen Verkehrssicherheit fast die gesamte Bevölkerung vertritt. In den 1970er-Jahren von General Motors entwickelt, ist der Dummy dem Durchschnittsmann Nordamerikas und Mitteleuropas nachempfunden: 175 Zentimeter groß, 78 Kilogramm schwer, mit durchschnittlichen männlichen Körpermaßen. Ausgestattet mit Sensoren und ausgefeilter Schulter-, Knie- und Wirbelsäule-Mechanik, sollen die Dummys bis heute Autounfälle simulieren, um Gurte, Sitze und Airbags im Auto sicherer für (männliche) Fahrer zu machen.

Dummys, die nicht dem "Standard" entsprachen, fanden lange Zeit keine Beachtung – und wenn, dann nur als "weibliche Exemplare", die im Grunde kleinere und leichtere Männer sind, mit den Körpermaßen von Frauen allerdings wenig gemein haben. Auch für Schwangere und Menschen mit Behinderung gab es lange Zeit keine eigenen Dummys. Bis heute ist der "50-Perzentil-Mann" Standard bei Tests. Eine Handvoll davon muss ein neues Automodell bis zur Zulassung in der EU absolvieren. In keinem davon werden explizit auch weibliche Crashtest-Dummys vorgeschrieben.

Männlicher Maßstab

Die Konsequenz: Viele Autos wurden und werden in Sachen Sicherheit vor allem für Männer gebaut, so die Kritik. Für andere Insassen und Fahrerinnen können Autounfälle vergleichsweise gefährlicher sein. Laut einem EU-Bericht aus dem Jahr 2013 werden Frauen bei Unfällen mit einer 47 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit schwerer verletzt als Männer – und das auch, wenn beide angeschnallt sind und dieselbe Körpergröße, dasselbe Gewicht und Alter haben. Demgegenüber stehen Zahlen des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ), wonach Männer bei Autounfällen häufiger tödlich verunglücken als Frauen – auch dann noch, wenn die von Männern mehr zurückgelegten Kilometer berücksichtigt werden –, was laut VCÖ jedoch auch mit dem Fahrverhalten zusammenhängen dürfte.

Unterschiedliche Auswertungen des Deutschen Automobilclubs (ADAC) von Verkehrsunfällen ergaben zudem, dass Frauen häufiger Brustverletzungen erleiden als Männer, was zum Teil auf die Gurtspannung und Airbags zurückgeführt werden könnte.

Wie sicher Gurte und Airbags im Falle eines Unfalls sind, hängt laut Unfallforschern unter anderem mit der Anatomie zusammen. Und da gibt es bekanntlich große Unterschiede: Weibliche Oberkörper haben etwa meist einen anderen Schwerpunkt als männliche, was die Reaktion auf einen Autocrash beeinflusst. Auch Körpergröße und Gewicht spielen eine Rolle. Viele weibliche Dummys werden diesen Anforderungen allerdings nicht gerecht und sitzen bei Tests oft nur als Beifahrer im Auto, kritisieren einige Expertinnen. Auch die Studienlage zu Autounfällen mit schwangeren Frauen sei unzureichend.

Mittlerweile mehr Modelle

Dabei gibt es durchaus bereits Fortschritte. Einige Dummy-Hersteller produzieren mittlerweile eine Reihe von Dummy-Größen: von Kindern und Jugendlichen bis hin zu besonders dicken oder leichten Dummys. Allerdings sind die Dummy-Crashtests mit viel Geld verbunden, weshalb häufig wieder auf Standardmodelle zurückgegriffen wird.

Auch die schwedische Ingenieurin Astrid Lindner entwickelt seit einigen Jahren weibliche Dummys, stellt diese Herstellern zur Verfügung und testet den weiblichen "Durchschnitts-Dummy" auch virtuell. Solange Herstellern allerdings nicht vorgeschrieben wird, Autos auch mit weiblichen Crashtest-Dummys zu testen, werde sich an der jetzigen Situation wenig ändern, glaubt Lindner.

Zumindest innerhalb des Euro NCAP, bei der Hersteller zusätzlich zu den gesetzlichen Zulassungstests die Sicherheit ihres Autos mit einem bis zu fünf Sternen bewerten lassen können, zeichnen sich erste Veränderungen ab: Seit 2020 werden Crashtests dort auch vermehrt mit leichteren Insassen durchgeführt, die unterschiedliche Größen und Gewichte haben. Dass diese dann tatsächlich auch den Maßen von Frauen entsprechen, wird von vielen allerdings bezweifelt. Künftig könnten Crashtest aber ohnehin vermehrt am Computerbildschirm stattfinden. Bleibt zu hoffen, dass dann auch weibliche Körper korrekt modelliert werden. (Jakob Pallinger, 28.1.2022)