Im Gastkommentar zeigt Erwachsenenbildner und Historiker John Evers auf, vor welchen strukturellen Herausforderungen die Erwachsenenbildung in Österreich steht.

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Mit abgebrochener Ausbildung geht es auf der Karriereleiter kaum empor. Die Erwachsenenbildung eröffnet aber Chancen.
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Eine aktuelle Studie der Statistik Austria zeigt, wie sich der formale Bildungsabschluss auf das Fortkommen im Arbeitsleben und auf das Gehalt auswirkt, und legt gleichzeitig auch die Finger auf einige offene Wunden im österreichischen Bildungssystem.

Allgemein bekannt ist das – im internationalen Vergleich fast schon einzigartig – frühe Erstselektionsalter von zehn Jahren. Dieses droht nicht nur Kinder frühzeitig auf ein bestimmtes Bildungsniveau festzulegen, sondern wirkt auch faktisch so. Ebenso ist das System im Hinblick auf den Zugang zu höherer Bildung wenig durchlässig. Nichttraditionelle Hochschulzugänge bewegen sich in Österreich seit vielen Jahren lediglich im einstelligen Prozentbereich. Hinzu kommen, ebenso bekannt, enorme Hürden bei der Anerkennung von aus dem Ausland mitgebrachten Abschlüssen. Die neue deutsche Regierung hat übrigens die Verbesserung genau dieser letztgenannten Problemstellung in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. Wir sollten hier dringend nachziehen!

Erprobte Instrumente

Gleichzeitig verfügt Österreich – auch im internationalen Vergleich – im Rahmen der Erwachsenenbildung über einige erprobte Instrumente und innovative Ansätze. Dazu gehören Angebote des sogenannten zweiten Bildungsweges, vor allem die Studienberechtigungs- beziehungsweise Berufsreifeprüfung (inklusive des Programms Lehre mit Matura) oder das Programm Initiative Erwachsenenbildung (IEB). Die durch Bund, Länder und EU (ESF) geförderte IEB ermöglicht seit zehn Jahren kostenlose und qualitätsgesicherte Lehrgänge für Personen mit Basisbildungsbedarf oder ohne Pflichtschulabschluss.

Die Erfolge sind hier durchaus beeindruckend: Menschen, die über die Studienberechtigungs- beziehungsweise Berufsreifeprüfung ihr Studium aufnehmen, sind von jeher in der Gruppe der am schnellsten Studierenden besonders stark vertreten. Ebenso liegen die Erfolgsquoten bei den Kursen zur Absolvierung des Pflichtschulabschlusses beispielsweise an den Wiener Volkshochschulen bei 80 bis 90 Prozent. Das galt übrigens auch für die letzten beiden Jahre; trotz Pandemie!

Strukturelle Mängel

Nichtsdestoweniger existieren hier aus Perspektive der Erwachsenenbildung weiter strukturelle Herausforderungen. Eine bereits sehr eng definierte Bedarfsschätzung umfasst österreichweit rund 240.000 Personen für die Basisbildung und rund 340.000 Personen für den Pflichtschulabschluss. Die Bedarfsdeckung in der Basisbildung liegt aber hochgerechnet bei den kostenlosen Angeboten der IEB bei maximal 28 Prozent, beim Pflichtschulabschluss sogar bei nur acht Prozent. Hinzu kommen, trotz aller Bemühungen der unmittelbar Verantwortlichen, regelmäßig Lücken in der Finanzierung. Gesicherte Budgets für die Träger, massiver Ausbau durch Bund und Länder und nicht zuletzt eine professionelle, breitflächig getragene Werbekampagne wären hier das Gebot der Stunde.

Angebote der Studienberechtigungs- und Berufsreifeprüfung sind demgegenüber grundsätzlich kostenpflichtig (Ausnahme: Lehre mit Matura). Die individuellen Fördermöglichkeiten auf Landesebene stellen sich unterschiedlich und zum Teil auch unübersichtlich dar. Auch hier wäre ein flächendeckendes und kostenloses Angebot ein logischer nächster Schritt.

Mobile Volkshochschule

Abschließend lohnt einmal mehr der Blick ins deutsche Koalitionspapier. In diesem wird die Auf- und Ausrüstung der Erwachsenenbildung explizit mit der Digitalisierungsstrategie des Bundes verknüpft. Nicht zuletzt das verzweigte Netz der Volkshochschulen und deren niederschwelliger Zugang sollen hier speziell unterstützt werden, um wirklich alle Teile der Bevölkerung für die kommenden Herausforderungen zu rüsten.

Auch durch die österreichische Erwachsenenbildung wurden in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen gesetzt. Das gilt auch für die Digitalisierung von Bildungsangeboten selbst, aber nicht nur (nicht zuletzt die oben genannten Bereiche waren übrigens während der Lockdowns durchgängig im Betrieb). Ebenso wurden aufsuchende und beratende Formate entwickelt. So tourt etwa durch Kärnten ein VHS-Mobil, ein mobiler, kleiner Seminarraum, der an Orten ohne weitere Infrastruktur digitale Coachings anbietet.

Innovations- und Interventionspotenzial ist im Hinblick auf das lebenslange Lernen somit ausreichend vorhanden und wird von den Lernenden auch angenommen. Es muss aber ebenso von den politisch Verantwortlichen genutzt, also letztlich auch finanziert werden. (John Evers, 29.12.2021)