Wien – Bereits im Juni stand fest, dass das heurige Jahr für die heimische Start-up-Szene ein besonderes wird. Am Jahresende zeigt sich, es verlief beispiellos. Investoren steckten eine Rekordsumme nach der anderen in österreichische Jungunternehmen – insgesamt 1,23 Milliarden Euro, wie aus dem aktuellen EY Start-up-Barometer hervorgeht. Das entspricht der fast fünffachen Höhe wie jener im vorangegangenen Rekordjahr 2020, damals flossen rund 234 Millionen Euro.

Besonders der Online-Broker Bitpanda und die Online-Nachhilfeplattform Go Student rückten in den Fokus. Erstmalig in Österreich erreichten Firmen den Einhornstatus. Diese Fabelwesenbezeichnung beschreibt Unternehmen, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden. Schnelle Skalierung und schnelles Wachstum, das macht ein solches Einhorn aus. So vereinnahmten diese beiden Firmen auch mehr als die Hälfte des geflossenen Investmentgeldes. Gemeinsam lukrierten sie rund 652 Millionen Euro.

Meist entscheidet ein Drahtseilakt über Erfolge eines Start-ups. Heuer purzelten keine Leute, sondern Rekorde.
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Was zieht wo

"Die Zahlen unterstreichen, wie positiv die Entwicklung der österreichischen Start-up-Szene ist und dass die zunehmende Professionalisierung in den letzten Jahren Früchte trägt", sagt Florian Haas, Leiter des Start-up-Ökosystems bei EY Österreich. Es sei außerdem eine Bestätigung, dass es einige Unternehmen mit überzeugenden Geschäftsmodellen bei gesellschaftlichen Megatrends gibt.

Start-ups stehen landläufig für digitale Produkte, dementsprechend überrascht es wenig, dass das meiste Geld in die Software-Branche floss, heißt es im Barometer. Überbegriffe wie künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Blockchain, Cloud, Cyber Security sowie Data Analytics erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Dahinter folgen die Bereiche E-Commerce und das Gesundheitswesen. Selbst wenn in Letzterem trotz Pandemie die Investments abnahmen.

Wien ist nicht nur geografisch und verwaltungstechnisch die Hauptstadt Österreichs, sondern auch in Sachen Start-ups. Daran wird sich auch so schnell bzw vermutlich gar nie etwas ändern. Auf Rang zwei und drei folgen Oberösterreich und die Steiermark.

Politische Lippenbekenntnisse

In die Szene kommt von Jahr zu Jahr mehr Bewegung, das honoriert auch die Politik regelmäßig. Doch zumeist bleibt es bei Lippenbekenntnissen, wenn es um die Forderungen der Jungunternehmer geht. Gebetsmühlenartig verlangen diese eine Reform der Mitarbeiterbeteiligung. Der Dachverband Austrian Startups etwa hat dafür gemeinsam mit der Steuerberatungskanzlei Mazars einen Vorschlag erarbeitet, der STANDARD hat berichtet.. Weiters wartet man schon lange auf entbürokratisiertere Unternehmensgründungen, Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Card sowie bessere Anreize für private und institutionelle Risikokapitalgeber.

Weniger ist mehr

Es stiegen zwar die Investitionssummen, daraus sollte man jedoch keine falschen Rückschlüsse ziehen. Einerseits ging mehr als die Hälfte – wie eingangs erwähnt – an zwei Firmen, und andererseits nahm die Anzahl der Finanzierungsrunden ab. Sie sank um rund 20 Prozent von 153 auf 122.

Was heißt das im Schnitt? Das durchschnittliche Volumen der Deals, bei denen eine Summe veröffentlicht wurde, hat sich laut EY im Vergleich zum Vorjahr von 4,5 Millionen Euro auf zwölf Millionen Euro fast verdreifacht. Rechnet man die Runden für Bitpanda und Go Student in beiden Jahren heraus, ergibt sich immer noch eine Verdopplung von drei Millionen auf sechs Millionen Euro.

"Die Finanzierungsrunden haben heuer eine neue Dimension erreicht. Das liegt zum einen daran, weil sehr viel Liquidität im Markt ist, die im aktuellen Niedrigzinsumfeld nach attraktiven Anlagemöglichkeiten sucht. Zum anderen sind die Bewertungen in Europa immer noch deutlich niedriger als etwa im Silicon Valley, während die Renditen höher sind", sagt Haas. Er sehe nichtsdestoweniger noch sehr viel Potenzial im Standort Österreich. Hubs mit vergleichbarer Einwohnerzahl wie Schweden und Finnland würden immer noch deutlich größere Runden erzielen. (Andreas Danzer, 30.12.2021)