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In Mogadischu patrouillieren Soldaten, die dem Premier treu sind, in den Straßen. Auch sein Widersacher hat seine Truppen in Stellung gebracht.

Foto: Reuters / Feisal Omar

In einem Land, in dem seit einem halben Jahrhundert keine Wahlen mehr stattgefunden haben, kann auch der Urnengang einige Zeit in Anspruch nehmen. Doch wenn ein Jahr nach dem ursprünglichen Wahltermin noch immer keine Stimmen abgegeben werden, ist das ein Alarmsignal – wie jetzt in dem ostafrikanischen Krisenstaat Somalia, wo die Abstimmung über den Präsidenten und das Unterhaus wieder einmal in den Sternen steht.

Statt Wahllokale zu bewachen, waren am Dienstag in der Hauptstadt Mogadischu schwerbewaffnete Kämpfer unterwegs, um ihre jeweiligen Herren zu beschützen oder deren politischen Gegner zu bedrohen: auf der einen Seite der Präsident des Landes, Mohamed Abdullahi Mohamed alias Farmajo, dessen Amtszeit schon vor einem Jahr offiziell zu Ende gegangen ist. Auf der anderen Seite Regierungschef Mohamed Hussein Roble, der von seiner Nemesis, dem Präsidenten, am Montag wieder einmal seines Amtes enthoben wurde.

Pick-ups mit Bewaffneten

Somalias Bevölkerung ist alarmiert: Einmal mehr droht der Wahlgang durch Schießereien und ein Blutbad ersetzt zu werden. In der Nähe des Präsidentenamts fuhren am Dienstag mit schweren Maschinengewehren bestückte Pick-ups, sogenannte Technicals, auf: Eine falsche Bewegung, und der labile Friede in dem Chaosstaat könnte Geschichte sein.

Spätestens am Heiligen Abend sollte das Herzstück des komplizierten Urnengangs, die Wahl des 275 Sitze umfassenden Unterhauses, eigentlich abgeschlossen sein. Die Abgeordneten werden nicht, wie ursprünglich vorgesehen, durch allgemeine Wahlen bestimmt. Ein derartiger Vorgang schien in Somalia, zu gefährlich zu sein – wo seit dreißig Jahren höchstens Übergangsregierungen und zuvor zwanzig Jahre lang ein Diktator herrschte.

Stattdessen werden die Mitglieder des Unterhauses von fast 30.000 Repräsentanten der zahlreichen Clans und Unterclans des Landes bestimmt. Bisher stehen von den 275 Abgeordneten allerdings nur 24 fest. Gemeinsam mit den 54 Senatoren des Oberhauses, die von den fünf Provinzversammlungen Somalias bereits ernannt worden sind, sollen die Abgeordneten des Unterhauses schließlich einen Präsidenten wählen. Dass dieser Vorgang bald abgeschlossen werden kann, muss angesichts der jüngsten Zwischenfälle ausgeschlossen werden.

Doch kein Hoffungsträger

Präsident Farmajo und Premierminister Roble sind schon seit über einem Jahr in einen bitteren Machtkampf verstrickt, dessen Ausgang weiterhin ungewiss ist. Farmajo, der in den USA aufwuchs und ursprünglich als demokratischer Hoffnungsträger galt, hat sich inzwischen als kompromissloser Machtpolitiker herausgestellt. Sein Versuch, sich eigenmächtig noch weitere zwei Amtsjahre zu verschaffen, endete im April in Straßenkämpfen.

Nach einem sechs Monate langen Tauziehen mit dem einst von ihm eingesetzten Regierungschef sah sich Farmajo im Oktober zum Einlenken gezwungen: Die beiden Streithähne unterzeichneten eine Vereinbarung, die den Premierminister zum Chef der Streitkräfte und zum Organisator des Urnengangs machte.

Dessen Wahlvorbereitung ging allerdings nicht nach dem Gusto des Präsidenten. Dieser befürchtete, dass ihm die Besetzung des Unterhauses nicht die nötige Mehrheit bringen könnte, und setzte den Premier als Wahlorganisator kurzerhand ab. Der Vorwand: Mohamed Hussein Roble sei in eine korrupte Aneignung von staatlichen Ländereien verwickelt. Der Regierungschef erkannte seine Entlassung jedoch nicht an und sprach von einem "Putschversuch". Jener Teil der somalischen Streitkräfte, der ihm loyal gegenübersteht, wurde in Alarmbereitschaft versetzt.

Die US-Regierung, die bisher um Neutralität bemüht war, hat sich inzwischen auf die Seite des Premierministers geschlagen: Die Absetzung Robles sei "alarmierend", teilte das African Affairs Bureau des US-Außenamts mit: "Wir unterstützen seine Bemühungen um schnelle und glaubwürdige Wahlen." (Johannes Dieterich, 29.12.2021)