Unsere Planeten gingen aus einer rotierenden Scheibe aus Gas und Staub hervor – wie genau, das ist noch nicht genau geklärt.
Illustr.: NASA/JPL-Caltech

Unser Sonnensystem wurde vor etwa 4,6 Milliarden Jahren in einer kollabierenden Wolke aus Wasserstoff, Helium und einer Prise Sternenstaub geboren. Diese Asche verblichener Sterne – mikrometerkleine Partikel aus schwereren Elementen und anderen Strukturen, etwa Wasser, Kohlenstoffverbindungen oder Siliziummoleküle – verteilte sich in einer rotierenden Gasscheibe um die heranwachsende Sonne, in die Drehimpuls, Gasdruck, Magnetfelder und andere Einflussgrößen die Wolke gezwungen haben.

So weit die anerkannte Theorie. Viel unschlüssiger ist sich die Fachwelt dagegen, wenn es darum geht, was in dieser sogenannten protoplanetaren Scheibe als Nächstes geschah. Das wissenschaftliche Bild über die Prozesse, die unsere Planeten hervorbrachten, ist jedenfalls lückenhaft und teilweise widersprüchlich.

Zwei Theorien

So beschäftigen sich etwa zwei Theorien mit der Frage, wie aus dem ursprünglichen Baumaterial im Laufe von Jahrmillionen die inneren Gesteinsplaneten wurden. Gemäß der älteren Theorie ballte sich der Staub zu immer größeren Brocken zusammen, die im inneren Sonnensystem nach und nach etwa die Ausmaße unseres Mondes erreichten. Aus Zusammenstößen und Verschmelzungen dieser Planetenvorgänger gingen schließlich Merkur, Venus, Erde und Mars hervor.

Im Rahmen einer neueren Theorie hingegen erscheint ein anderer Wachstumsprozess plausibler: Demnach wanderten millimetergroße Staubklümpchen aus dem äußeren Sonnensystem Richtung Sonne. Auf ihrem Weg stießen sie auf die Planetenvorgänger des inneren Sonnensystems, lagerten sich dort an und verhalfen ihnen Schritt für Schritt zu ihrer heutigen Größe.

Zwei unterschiedliche Theorien versuchen, die Entstehung der inneren Planeten zu erklären: Beim klassischen "Wetherill"-Modell entstehen die Felsplaneten durch Kollisionen von mond- bis marsgroßen planetaren "Embryonen", nachdem sich die ursprüngliche Gasscheibe aufgelöst hat. Laut der "Pebble"-Theorie können sich die inneren Planeten früher gebildet haben, indem sie kleine "Kiesel" aus dem äußeren Sonnensystem eingefangen haben.
Grafik: Christoph Burkhardt et al.

Spurensuche mit Isotopenhilfe

Beide Theorien beruhen auf Modellrechnungen und Computersimulationen, die die Verhältnisse und Bewegungen im frühen Sonnensystem nachbauen; beide beschreiben einen möglichen Weg der Planetenentstehung. Doch welches Modell trifft eher zu? Auf dem Weg zu Antworten hat ein internationales Team einen genauen Blick auf die Zusammensetzung der Gesteinsplaneten Erde und Mars geworfen. "Wir wollten herausfinden, ob deren Baumaterial dem äußeren oder inneren Sonnensystem entstammt", erklärt Erstautor Christoph Burkhardt von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).

Um herauszufinden, wo ein bestimmtes Material im Sonnensystem seinen Ursprung hat, eignet sich die Untersuchung von Isotopen besonders gut. Im konkreten Fall sind es die Isotope (verschiedene Spielarten desselben Elements, die sich allein durch das Gewicht ihres Atomkerns unterscheiden) seltener Metalle wie Titan, Zirkonium und Molybdän, die sich in den äußeren, silikatreichen Schichten beider Planeten in winzigen Spuren finden.

Forscher gehen davon aus, dass diese Metallisotope im frühen Sonnensystem nicht gleichmäßig verteilt waren. Vielmehr hing ihre Häufigkeit vom Abstand von der Sonne ab. Die Isotopenhäufigkeiten geben somit Aufschluss darüber, wo im frühen Sonnensystem das Baumaterial eines Körpers entstand. Als Referenz für das ursprüngliche Isotopeninventar im äußeren und inneren Sonnensystem dienen den Wissenschaftern zwei Arten von Meteoriten.

Material aus den Anfängen

Diese Gesteinsbrocken haben ihren Weg in aller Regel aus dem Asteroidengürtel, dem Bereich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter, zur Erde gefunden. Sie gelten als weitgehend unverändertes Material aus den Anfängen des Sonnensystems. Während sogenannte kohlige Chondrite, die geringe Anteile an Kohlenstoff enthalten können, jenseits der Jupiterbahn entstanden sind und erst später durch den Einfluss des wachsenden Gasriesen in den Asteroidengürtel umsiedelten, sind ihre kohlenstoffärmeren Cousins, die nichtkohligen Chondrite, echte Kinder des inneren Sonnensystems.

Video: Simulation der Planetenentstehung.
California Academy of Sciences

Die genaue Isotopenzusammensetzung der zugänglichen, äußeren Gesteinsschichten der Erde und die beiden Meteoritenarten sind bereits seit einiger Zeit erforscht, vergleichbar umfassende Analysen von Marsgestein gab es bisher dagegen nicht. Die nun im Fachjournal "Science Advances" veröffentlichte Studie soll diese Lücke schließen: Die Forscher untersuchten Proben von 17 Marsmeteoriten, die sich sechs typischen Arten von Marsgestein zuordnen lassen. Zudem gingen die Wissenschafter erstmals den Spuren gleich drei verschiedener Metallisotope nach.

Die Ergebnisse zeigen, dass die äußeren Gesteinsschichten von Erde und Mars nur wenig mit den kohligen Chondriten des äußeren Sonnensystems gemein haben. Ihr Anteil am ursprünglichen Baumaterial beider Planeten beträgt nur rund vier Prozent. "Hätten die Vorgängerplaneten von Erde und Mars hauptsächlich Staubkörnchen aus dem äußeren Sonnensystem angesammelt, müsste dieser Wert um fast das Zehnfache höher liegen", betont Thorsten Kleine von der WWU. "Diese Theorie von der Entstehung der inneren Planeten können wir somit nicht bestätigen."

Aufgebrauchtes Material

Doch auch zu dem Material der nichtkohligen Chondrite passt die Zusammensetzung von Erde und Mars nicht haargenau. Modellrechnungen legen nahe, dass weiteres, anders geartetes Baumaterial im Spiel gewesen sein muss. "Diese dritte Art von Baumaterial muss ihren Ursprung im innersten Bereich des Sonnensystems haben. Das lässt sich aus der Isotopenzusammensetzung schließen, die unseren Rechnungen zur Folge vorliegen muss", erklärt Burkhardt. Da Gesteinsklümpchen aus solch großer Sonnennähe so gut wie nie in den Asteroidengürtel gestreut wurden, haben sie die inneren Planeten praktisch vollständig aufgebraucht. In Meteoriten kommen sie jedenfalls nicht vor. "Es handelt sich um 'verlorenes Baumaterial', auf das wir heute keinen direkten Zugriff mehr haben", sagt Kleine.

Der überraschende Fund ändert nichts an den Konsequenzen der Studie für die Theorien zur Planetenentstehung. Dass Erde und Mars hauptsächlich aus Material aus dem inneren Sonnensystem bestehen, passt gut zu der Vorstellung, dass die Felsplaneten aus den Kollisionen größerer Objekte im inneren Sonnensystem hervorgingen, so die Forscher. (red, 4.1.2022)