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Sekt und Wodka gehören in Russland ebenso zu Silvester wie Kaviar – allerdings haben die Preise heuer stark angezogen.

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Zweifelnd steht Oleg vor der Kühltheke des Spezialitätenladens "Meeresfrüchte aus Kamtschatka". Vor ihm türmen sich Plastikbehälter und Blechbüchsen mit rotem Kaviar. "Angebot" steht auf den einen, "Verkaufshit" auf den anderen.

Doch so richtig überzeugt ist Oleg weder von der 500-Gramm-Dose Buckellachs-Kaviar für 30 Euro noch vom "Sparpreis" für die 140-Gramm-Büchse Rotlachs-Kaviar zu neun Euro.

"Zu teuer", murmelt der Mittfünfziger. Da werde er mal im Supermarkt nebenan schauen. Ob er da mehr Glück hat, bleibt allerdings fraglich.

Kaviar auf dem Butterbrot gehört zusammen mit dem sowjetischen Filmklassiker Ironie des Schicksals zum russischen Neujahr wie Dinner for One und Silvesterkarpfen hierzulande. Ist schwarzer Kaviar vom Stör auch in Russland seit Jahren ein schier unerschwingliches Luxusgut, konnten sich den roten Lachskaviar zumindest zu Neujahr bisher auch einfache Familien leisten.

Kostspieliger Kaviar

In diesem Jahr geht sich das womöglich nicht mehr aus. Um 30 Prozent ist die Delikatesse im Vergleich zum Vorjahr teurer geworden. Dabei erreichten die Fischeier schon 2020 ein neues Preishoch, damals erklärten das die Produzenten mit der schlechten Fangquote.

2021 hingegen gelang den Fischern die Verdoppelung der Produktion. Trotzdem kostet das Kilogramm nun erstmals mindestens 5000 Rubel (60 Euro).

Und dafür bekommen sie gerade einmal die am weitesten verbreitete Sorte vom Buckellachs. Wer auf den großkörnigen, gelb- bis orangefarbenen Ketalachs- oder gar den feineren Rotlachs-Kaviar steht, der mit leichter Bitternote im Nachgeschmack glänzt, muss noch mehr zahlen.

Unter diesen Umständen werden sich viele Russen überlegen, ob sie sich ein Döschen kaufen sollen, denn auch ansonsten ist der Neujahrstisch reichlich teuer geworden. Zentralbankchefin Elwira Nabiullina räumte schon im November bei einem Auftritt in der Staatsduma ein, dass die Lebensmittelinflation auf einen zweistelligen Betrag geschnellt sei.

Ärmere stark betroffen

Laut dem Marktforschungsinstitut Romir haben sich Waren des täglichen Bedarfs um 17 Prozent verteuert. Das ist das Doppelte der offiziellen Inflation und trifft damit die ärmeren Bevölkerungsschichten besonders hart.

Expertenschätzungen zufolge verteuert sich der Neujahrstisch heuer statt der üblichen fünf bis sieben Prozent um bis zu 15 Prozent. Eine vierköpfige Familie muss demnach mit Ausgaben von 10.000 bis 11.000 Rubel (120 bis 130 Euro) rechnen. Das entspricht dem von der Regierung festgelegten Existenzminimum, an dem sich Renten und Mindestlöhne orientieren – oder laut Statistikbehörde gut einem Drittel der Medianeinkommen russischer Arbeitnehmer.

Üblicherweise gehört zu einem Neujahrstisch in Russland eine Flasche Sekt, die pünktlich zur Neujahrsansprache von Präsident Wladimir Putin geköpft wird, daneben auch oft Wodka oder Kognak. Neben Fisch- und Wurstbeilagen ist das wichtigste Mahl am Silvesterabend ein Salat, zumeist der sogenannte Salat Olivier, den vor 160 Jahren der belgisch-französische Koch Lucien Olivier ins Zarenreich brachte, als er in Moskau ein Restaurant eröffnete.

Zu Sowjetzeiten deutlich vereinfacht, enthält der Salat Erdäpfel, Karotten, Zwiebeln, Erbsen, Eier, Kochwurst und marinierte oder Salzgurken und wird mit reichlich Mayonnaise übergossen.

Der Vorteil des Salats ist neben seinem herzhaften Geschmack und der einfachen Zubereitung auch die Erschwinglichkeit. So konnten die Russen die Zutaten sowohl zu den Defizitzeiten in der Sowjetunion als auch in den wirtschaftlich schweren 90er-Jahren beschaffen.

Das gilt bis heute, auch wenn gerade die Obst- und Gemüsepreise heuer besonders stark – um teilweise über 100 Prozent – angezogen haben. (André Ballin aus Moskau, XX.12.2021)