Der tragische Held Dan Treacy (links) von den Television Personalities und sein Zauberlehrling Alan McGee von Creation Records 1984 in London. Der eine sitzt im Pflegeheim, der andere wurde Millionär.

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Anfang der 1980er-Jahre bedeutete Musik noch etwas mehr als eine sofort per Klick verfügbare Playlist auf Spotify. Vinylschallplatten, die für hiesige Hartlauer-Filialen etwas zu obskur waren, musste man noch aus Versandkatalogen bestellen. Und man wartete dann monatelang auf die Post aus England. Vorabhören gestaltete sich eher schwierig. Man hatte sich also auf sein Gespür zu verlassen.

An einem Albumtitel wie diesem konnte keiner vorbei: They Could Have Been Bigger Than The Beatles stammte von Dan Treacy und seinen Londoner Television Personalities. 1982 erschienen, war damals dank dieser wackeligen, zittrig gesungenen und verschepperten Gitarrenmusik schon wieder fast alles vorbei – obwohl es noch weitere Jahre von unten bis ganz nach unten ging.

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Dreamworld. Oder: vom fabelhaften Leben des Dan Treacy und seiner Band Television Personalities, die literarische, mit den Songtexten gekonnt spielende, präzise recherchierte wie beeindruckend flunkernde Biografie des französischen Prix-Goncourt-Preisträgers Benjamin Berton, schildert eine beispielhafte Verfallsgeschichte im Musikgeschäft. Es geht um einen jungen Mann, der davon träumt, mit seiner Kunst relevant zu sein.

Wenige Jahre, Singles und Alben lang währte die brüchige Illusion. Gespickt waren diese mit Popperlen wie I Know Where Syd Barrett Lives, Part Time Punks, Stop and Smell The Roses oder Flowers For Abigail. Der Fan der Swinging Sixties in London, von psychedelischer Musik der frühen Pink Floyd, dem verschrobenen Pop der Kinks oder den romantisch-schattseitigen Songs von The Velvet Underground kombinierte dies vor allem auch mit der Do-it-yourself-Haltung des Punk.

Träume muss man träumen

Technisches Können ist nicht alles, allerdings erwies sich Dan Treacy als begnadeter Lyriker, der mit windschiefer Stimme poetische Alltagsbeschwörungen und persönliche Zustandsbeschreibungen verfasste. Leider kamen ihm Panikattacken, finanzielle Probleme mit seinen von ihm gegründeten Plattenlabels und die Drogen dazwischen. Dan Treacy wird obdachlos und lebt von Diebstählen. Für einige Jahre landet er auf einem Gefängnisschiff. Ab den Nullerjahren geht auch ein letztes Comeback schief. Sein Zauberlehrling Alan McGee wird mit Oasis und Creation Records zum Millionär.

Mittlerweile sitzt Dan Treacy erblindet und kaputt in einem Pflegeheim. Für immer. In Großbritannien hat sich bis jetzt kein Verlag für dieses todtraurige und herzergreifende Buch gefunden. Oft gehen Träume gründlich schief. Aber schön, dass sie geträumt werden. (Christian Schachinger, 31.12.2021)