Kärnten weit vor der 2000er-Wende: Die Sozialdemokraten haben ihre einstige Hochburg, die noch unter Leopold Wagner stramm gehalten wurde, an einen Newcomer verloren. Jung und sportlich-dynamisch war die blaue Zukunftshoffnung, nicht nur auf physiologischer Ebene, sondern im Besonderen auf kognitiver Ebene. Sein Gegenspieler auf Seiten der bis dato mächtigen SPÖ war ein verkrampft wirkender Parteifunktionär namens Peter Ambrozy. Egal was er versuchte, um nahbar und sympathisch zu wirken, ging nach hinten los. Dabei waren die formalen Profile von Jörg Haider und Ambrozy nicht ganz unähnlich. Beide verfügten über ein Studium der Rechtswissenschaften, das sie an der Universität Wien absolviert hatten. Sie waren ungefähr gleich alt und zur Zeit ihres Politduells im besten Mannesalter. Doch Ambrozy hatte nie auch nur den Hauch einer Chance. Ihm fehlten das notwendige Charisma und die damit assoziierte Ausstrahlung. Er wurde wie so viele im Parteiapparat der SPÖ sozialisiert und diese Ketten konnte er nicht sprengen.

Gesprengte Ketten

Der einstige FPÖ-Chef konnte in seiner Wahlheimat, im Vergleich zur damaligen SPÖ, Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre eine kleine Organisation nach seinen Ideen umkrempeln, ohne dass mächtige Strukturen - bis auf das deutschnationale Lager in Kärnten - auf seinen Schultern lasteten. Mit dem nationalen Flügel seiner Partei beherrschte der "Thunder on the Right" den Tanz im Mondschein virtuos. Benötigte er die Unterstützung der beschriebenen Wertegemeinschaft, lobte er diese beispielsweise als "anständige Menschen, die ihrer Gesinnung treu geblieben sind".

Sobald er jene nicht mehr brauchte, legte der Wandelbare den Kärntneranzug ab und dozierte nach der 2000er-Wende in modischen Designeranzügen über "Silicon Alps" und seine damit verbundene Version der ursprünglich bayrischen Idee von Laptop und Lederhosen. Nach der Landtagswahl 2004 saß der eingangs erwähnte Ambrozy als Juniorpartner dann mit Haider in der berühmten "Chianti-Koalition". Mit der Abgrenzung zu den Rechten nahm man es, wenn es um Geld, Macht und Posten ging, nicht so genau und Lichtermeere und Demos waren ebenfalls nicht mehr vonnöten.

Kurz war ein Paradebeispiel eines besonderen Politikertypus.
Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Liebe zum Leben

Haider sowie Sebastian Kurz haben eines gemeinsam: Beide stehen in jeweils ihrer Epoche für einen unverbrauchten Politikertypus, der eine Form der biophilen Ästhetik repräsentiert. Diese Liebe zum Leben und Lebendigen, frei nach Erich Fromm, fand sich einst weniger bei Haiders Konkurrenten, von Ambrozy bis Franz Vranitzky, und sie findet sich in der Wahrnehmung der Menschen ebenso weniger bei der um Seriosität und Wissenschaftlichkeit bemühten Pamela Rendi-Wagner. Der Mensch als Wesen sehnt sich jedoch nach Attraktivität und Lebensfreude und nicht nach Technokratie und Systemkonformität oder gar nach einfallsloser Anpassung. Es geht um die Varianz des Lebens. Ob bei der Partnerwahl oder Nahrungsaufnahme - das Auge isst mit und das gleiche Muster gilt für den Kauf von Produkten vom Automobil bis hin zur Inneneinrichtung. Bei allen Innovationen will unsere Seele berührt werden.

Reduktion auf das Wesentliche

Künstliche oder gekünstelte Intelligenz spielen bei aller Regentschaft der Technokratie eine nicht so wichtige Rolle, wie es manche Parteistrategen gerne hätten. Die sozial-emotionale Stimulation ist nicht nur in Zusammenhang mit Phänomenen des Extremismus zentral. Der Homo sapiens als soziales Wesen sucht nach Nähe und Zugehörigkeit und diese findet er nicht bei wissenschaftlichen Fakten, wie wir in der aktuellen Corona-Problematik sehen können. Er sehnt sich nach Identifikation und Integration - so paradox es klingen mag. Dies ist beim Themenkomplex der extremistischen Bewusstseinsbeeinflussung eine stärkere Triebfeder als physiologische Folter. Der einstige Kärntner Landeshauptmann wie der nunmehrige Altkanzler haben den Österreichern zumindest das Gefühl von Heimat und Identität in einer großen Gemeinschaft aufs kognitive Firmament projiziert. Die politische Konkurrenz von meist linker Seite darf sich über den Erfolg politischer potemkinscher Dörfer nicht wundern, wenn man selbst den Bürgern nur trockene Fakten und ausgelutschte Ideologien offerieren kann. Im Zweifel entscheidet sich der Wähler lieber für die Illusion als für Belehrungen. (Daniel Witzeling, 3.1.2022)

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