Wichtige gesellschaftliche Aufgaben brauchen nicht nur in Pandemiezeiten adäquate Ressourcen, sagt der Friedenforscher Thomas Roithner im Gastkommentar. Er kritisiert, dass immer öfter Löcher mit Truppen gestopft werden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Bundesheer-Vertreter der Gecko-Doppelspitze: Generalmajor Rudolf Striedinger.
Foto: Picturedesk / Georges Schneider

Österreich steckt seit dem Jahr 2015 mehr oder weniger im Dauerkrisenmodus. Migration, Corona, gut ein halbes Dutzend Kanzlerwechsel oder ein immer höher gehängter Brotkorb schaffen ein Unsicherheitsgefühl. Der öffentlich dauerpräsente Flecktarn – die neue Uniform der heimischen Soldaten – hat eine nicht besonders versteckte Botschaft: Militärisches Denken als Problemlöser ist wieder obenauf.

Generalmajor Rudolf Striedinger und die Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit Katharina Reich haben die neue Gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination (Gecko) übernommen und krempeln auch operativ die Ärmel hoch. Die Besetzung folgt der von dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell im Jahr 2020 ausgegebenen Marschrichtung. Er verkündete: "Gesundheit ist jetzt ein Sicherheitsproblem." Der Trick dabei: Herausforderungen werden zu besonderen Problemen erklärt und machen in der Folge Maßnahmen außerhalb des gewohnten Instrumentenkastens nötig. Die Wissenschaft nennt dies "Versicherheitlichung".

Roter Faden

Sichtbarkeit und ein allgemeiner Effekt der Gewöhnung an das Bewaffnete im übertragenen und wörtlichen Sinn sind beabsichtigt. Lästig erscheint schon fast die Frage, wer in einer Demokratie eigentlich wofür zuständig ist. Politische Grenzen für den "Universaljoker Bundesheer" sind weder in der Regierung noch in der Opposition ein großes Thema – es ist ja immer irgendeine Krise.

Schwierige Aufgaben durch die Sicherheitsbrille zu betrachten folgt einem roten Faden. Bis zu 8500 Soldaten erfüllten in Spitzenzeiten in den letzten Monaten Inlandsaufgaben (Corona-Tests, Transportlogistik, Sanitätsbetreuung). Dazu kam vormals auch, dass Häftlinge in Militärfahrzeugen transportiert oder Abschiebungen mit Militärflugzeugen vorgenommen wurden. Seit 2016 muss der Objektschutz durch die Armee im Stadtbild zur Kenntnis genommen werden. Anstatt Zuständiges und Ziviles zu finanzieren, bezeichnete der damalige Innenminister Karl Nehammer Ende September 2021 diese Praxis als einen "Teil der österreichischen Sicherheitsarchitektur".

Lücken stopfen

Es ist jedoch auch eine demokratiepolitische Notwendigkeit, wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben – nicht nur in Krisen – rasch adäquate Ressourcen zu geben, anstatt Lücken mit Truppen zu stopfen. Ein unlimitiertes Abstützen auf die Assistenz des Militärs würde "die von der Rechtsordnung vorgesehene Verteilung staatlicher Aufgaben in überschießender Weise unterwandern", heißt es in erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der Wehrgesetz-Novelle 2001. Der Rechnungshof hat im Jahr 2020 Abschiebeflüge durch das Militär als den Grundprinzipien der Assistenz zuwiderlaufend betrachtet und stark militärgestützte Bewachung von Botschaften ab August 2016 als keine "unabdingbare Notwendigkeit" erkannt.

"Kasernen werden zu 'Sicherheitsinseln' ausgebaut."

Die Normalisierung des Militärischen in der Öffentlichkeit schreitet voran. Das Heer geriert sich als Sirenendauerheulton zum Thema Blackout, und der im Sommer eröffnete Bundesheer-Shop bietet nicht nur Quietschenten, sondern will der Gesellschaft die Armee antragen. In allen neun Bundesländern werden Kasernen zu "Sicherheitsinseln" ausgebaut. Vieles ist nicht, was es suggeriert, denn Sicherheitsinseln sind in Krisen keine Anlaufstelle für die normale Bevölkerung. Warum also die Ressourcen nicht dorthin, wo sie wirklich gebraucht werden?

All dies findet seine finanzielle Entsprechung. In den beiden rezenten Jahren jubelt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner über 9,9 und 8,3 Prozent jährliche Steigerung beim Heeresbudget, und Sonderinvestitionen kommen noch drauf. Das Friedensforschungsinstitut Sipri belegt mit Zahlen der Republik Österreich von 2015 bis 2020 beim Militärbudget einen Aufwärtstrend von 21,7 Prozent.

Olivgrünes Problemlösen

Mit Budget- und Gestaltungsanspruch demonstriert das Bundesheer, dass Bereiche des gesellschaftlichen Problemlösens zumindest temporär in den eigenen Aufgabenbereich einsickern. Die mit Sicherheit befassten Ministerien – Innen, Außen und Verteidigung – sind in Händen der ÖVP. Bemerkenswert erscheint die Haltung des kleineren Regierungspartners, der einst die Gewaltfreiheit als grünen Grundwert betrachtete. Borrells Doktrin folgend, trägt die Covid-Krisenkoordination unter grüner Ressortkompetenz nun auch Olivgrün.

Ja, Corona hat mit Sicherheit zu tun, aber mit menschlicher Sicherheit. Sicherheit des Gesundheitssystems vor ideologisch motivierter Sparpolitik oder Investitionen in soziale Sicherheit. Die Uno erklärte das Konzept von Human Security einst so: "Wer von menschlicher Sicherheit spricht, macht sich nicht Sorgen über Waffen, sondern über das Leben und die Würde des Menschen". (Thomas Roithner, 2.1.2022)