Die Stahlwerke in Ternitz waren ab 1946 Staatseigentum. In den 1990ern wurden sie wieder privatisiert.

Foto: Franz Mayer / ÖNB-Bildarchiv

Eigentlich ist alles durch einen Zufall entstanden", erzählt Martin Bleckmann. Als er vor Jahren durch den Wald joggte, sei ihm ein Gedanke durch den Kopf geschossen, der ihn seither nicht mehr losgelassen hat.

Bleckmann ist Nachfahre jener Familie, deren Stahlkonzern Schoeller-Bleckmann im Jahr 1946 verstaatlicht wurde. Beruflich war er kurz vor seinem Waldlauf auf mehrere Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zum Thema Enteignung gestoßen. Seither ist Bleckmann überzeugt: Er und weitere Nachfahren können Ansprüche gegen die Republik Österreich geltend machen. Denn die Eigentümer des Familienunternehmens seien bei der Verstaatlichung nicht ausreichend entschädigt worden.

Rund 15 Jahre später hat der Jurist das Rätsel – zumindest für sich – endgültig gelöst. Seine Ergebnisse veröffentlichte er zu Weihnachten in Buchform im Verlag Österreich. Mit 880 Seiten ist Verstaatlichung und Entschädigung in Österreich relativ lang geworden. "Die Corona-Krise und die Lockdowns haben bei der Fertigstellung geholfen", gibt Bleckmann zu. Er habe zwar schon öfter Schriften veröffentlicht, dieses Mal sei es aber etwas Besonderes gewesen – auch deshalb, weil der Jurist mit dem Werk seine eigene Familiengeschichte rekonstruierte.

Niedrige Entschädigung

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Österreich rund 70 Unternehmen verstaatlicht. Betroffen waren auch die Schoeller-Bleckmann Stahlwerke, die während des Kriegs – auch aufgrund der Nähe der damaligen Unternehmensleitung zum Nationalsozialismus – ein bedeutendes Unternehmen der Rüstungsindustrie waren, in dem Zwangsarbeit stattfand.

Grund für die Verstaatlichung im Jahr 1946 war, dass die Österreicher einer Beschlagnahmung durch die Sowjets vorgreifen und Arbeitsplätze sichern wollten. Eine Entschädigung bekamen die Eigentümer erst 1954, und auch da nur ein Drittel des eigentlichen Werts. Die restlichen zwei Drittel klagten Schoeller und Bleckmann in den 1950er-Jahren ein – allerdings ohne Erfolg.

Die Gerichte erklärten sich für unzuständig beziehungsweise wiesen die Klage als unzulässig zurück. 1959 beendete das Parlament den Rechtsstreit ein für alle Mal mit einer ungewöhnlichen Verfassungsbestimmung, die von ÖVP und SPÖ mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde. Sie erklärte lapidar, dass das Entschädigungsgesetz aus dem Jahr 1954 dem Gleichheitsgrundsatz und dem Staatsgrundgesetz "entspricht". Damit war die Sache erledigt – zumindest vorerst.

Veränderte Rechtslage

Denn aus Sicht von Bleckmann hat sich die Rechtslage inzwischen geändert: Das erwähnte Verfassungsgesetz wurde aufgehoben, der Zugang zum Recht ausgeweitet und die Grundrechte gestärkt. So hat der Verfassungsgerichtshof in den 1980er-Jahren statuiert, dass verstaatlichtes Eigentum rückübereignet werden muss, wenn die Verstaatlichung ihren Zweck nicht mehr erfüllt. Genau das ist laut Bleckmann aber der Fall, denn 1993 wurden die Werke wieder privatisiert.

Die Karten seien deshalb "neu gemischt". Die Gesetze über die Verstaatlichung begründen laut Bleckmann nach wie vor einen vermögensrechtlichen Anspruch. Dazu komme der Anspruch auf das höchstpersönliche Namensrecht. Denn Bleckmann sei trotz Verstaatlichung und erneuter Privatisierung weiterhin der Firmenname geblieben. "Stellen Sie sich vor, jemand verwendet Ihren Namen und macht Geschäfte, die gegen Ihre eigenen Überzeugungen sprechen", sagt Bleckmann und nennt Erdölförderung als Beispiel.

In seinem Buch erklärt der gelernte Anwalt auch, wie eine Rückforderung umgesetzt werden könnte. "Das Buch ist ein erster Schritt", sagt Bleckmann. Ihm gehe es zunächst um Bewusstseinsbildung. Die damaligen Entschädigungen erachte er als ungerecht. Die "Grundprinzipien des Rechts" seien dabei vom Staat ausgehebelt worden.

Ob er und weitere Familienmitglieder in Zukunft tatsächlich klagen werden, lässt Bleckmann offen. "Jetzt liegen die Karten aber einmal auf dem Tisch." (Jakob Pflügl, 31.12.2021)