Verzagter Blick in die Zukunft – aber das persönliche Glück wird davon kaum berührt.

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Linz – 87 Prozent der österreichischen Wahlberechtigten erwarten, dass im neuen Jahr eine vierte oder gar fünfte Impfung gegen Corona nötig sein wird – wer selbst schon dreifach geimpft ist, erwartet das mit noch höherer Wahrscheinlichkeit als Ungeimpfte. Gleichzeitig bekunden 27 Prozent große und weitere 49 Prozent etwas Sorge, ob die Corona-Impfung auch gegen neue Virus-Varianten bieten wird.

Das geht aus der in der Vorwoche durchgeführten Neujahrs-Umfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD hervor. Sie zeigt nicht nur einen deutlich gedämpften Optimismus, sondern auch einen pragmatischen Umgang des Großteils der österreichischen Bevölkerung mit der Corona-Krise.

Tiefstand des Optimismus

Zunächst zum unmittelbaren Ausblick. Market fragte: "Wenn Sie an die nächsten Monate denken: Was erwarten Sie sich: Sehen Sie der nahen Zukunft mit Optimismus und Zuversicht oder eher mit Skepsis bzw. Pessimismus entgegen?" Darauf bekannten sich 40 Prozent als Pessimisten und nur 29 Prozent als Optimisten (der Rest ist unentschieden). Das ist ein markanter Unterschied zum Juni 2021, als kurz nach dem Ende des Gastro-Lockdowns 47 Prozent optimistisch und nur 24 Prozent pessimistisch waren. Seither sind die Optimismus-Werte stetig gesunken, die Pessimismus-Werte umgekehrt angestiegen.

In der Langzeitbetrachtung seit der Nationalratswahl zeigt sich, dass ein Höhepunkt des Optimismus in der Bevölkerung kurz nach Bildung der türkis-grünen Regierung – und damit kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie – war. Im Oktober 2020 – damals wurde der zweite Lockdown angekündigt, der in der Gastronomie bis in den folgenden Mai gedauert hat – war der Optimismus mit 23 Prozent im Keller. Zu Jahresbeginn aber war der Optimismus noch nie so gering ausgeprägt, wie auch eine in der Vorwoche publizierte Imas-Langzeitstudie mit einem Vergleich der Daten aus 50 Dezember-Befragungen ergibt – Imas sieht (mit etwas anderer Fragestellung) derzeit überhaupt nur 26 Prozent Optimisten im Land.

Wenig Hoffnung auf Entlastung

Market-Institutsleiter David Pfarrhofer analysiert: "Nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie sind viele Menschen verzagt. Und es werden auch nicht viele Entwicklungen gesehen, die Zuversicht vermitteln. Nur 27 Prozent meinen, dass im Lauf des neuen Jahres die Corona-Pandemie so erfolgreich bekämpft werden kann, dass man keine Einschränkungen mehr braucht. Oder: Acht von zehn Befragten erwarten die Einführung von Ökosteuern etwa auf Energie – aber ob das für sie selber gut oder schlecht sein wird, können die meisten nicht einschätzen. Nur 21 Prozent erwarten die versprochene Steuerentlastung für sich und ihre Familie."

Fragt man die österreichischen Wahlberechtigten nach der wirtschaftlichen Entwicklung der kommenden zwölf Monate, dann rechnen 38 Prozent mit einer Verschlechterung und nur 20 Prozent mit einer Verbesserung – 37 Prozent meinen, dass sich nicht viel verändern wird.

Skepsis in Bezug auf Wirtschaftsentwicklung

Dabei müsse man bedenken, dass viele Unternehmen besser als erwartet durch das Jahr 2021 gekommen sind, sagt Pfarrhofer. Dass es noch besser wird, könnten sich daher nicht so viele Menschen vorstellen – im Gegensatz zur Vergleichsumfrage vom Dezember 2020 als 31 eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und 45 Prozent die (nicht eingetretene) Verschlechterung erwartet haben.

In einer Liste von 40 möglichen Erwartungen an das Jahr 2022 wurde die Frage noch einmal anders gestellt – nämlich ohne die Möglichkeit, auf eine gleichbleibende Entwicklung zu setzen. Zwischen denen, die einen Aufschwung erwarten und jenen, die das nicht glauben, herrscht praktisch Gleichstand.


Zu beurteilen war weiters die Aussage "Die Wirtschaft wird sich nach dem schwierigen Jahr 2021 rasch erholen" – und da sagen 43 Prozent, dass es eine rasche Erholung geben wird. 57 Prozent glauben das nicht.

Pfarrhofer verweist auch auf die Punkte, bei denen es keine Mehrheit gibt: "Weiterhin glauben nur 44 Prozent, dass das Sozialsystem sicher im heurigen Jahr sicher sein wird. Da gibt es weit verbreitete Unsicherheiten: Besonders die jüngeren Befragen haben da in ganz erheblichem Maß Zweifel. Die Älteren vertrauen mehrheitlich dem Gesundheits- und Pensionssystem. Und man sieht sehr deutlich, dass die Wählerschaften der beiden Regierungsparteien dem Sozialsystem trauen. Die Anhänger der FPÖ, der Neos und der MFG tun das überwiegend nicht. Von den Anhängern der Sozialdemokratie vertraut etwa die Hälfte dem Sozialstaat, die Hälfte hat Zweifel, dass er heuer funktionieren wird."

Terrorgefahr wird geringer eingeschätzt

Was positiv auffällt: Nur 30 Prozent glauben, dass es bei uns einen weiteren Terroranschlag geben wird – vor einem Jahr, also relativ kurz nach dem Anschlag im November 2020, haben das noch 41 Prozent geglaubt.

Was aus der Umfrage deutlich hervorgeht: Die größte Sorge der Bevölkerung ist eine Vergrößerung der Kluft zwischen Armen und Wohlhabenden – und als neue Sorgen sind die Auswirkungen der Geldentwertung hinzugekommen. 26 Prozent machen sich angesichts der hohen Inflation große Sorgen (und weitere 40 Prozent etwas Sorge), ob ihr Einkommen angesichts steigender Preise ausreicht. Und sogar 38 Prozent haben große Sorgen um den Wert ihrer Ersparnisse.

Deutlich abgenommen haben allerdings die Sorgen vor Corona-bedingten Steuererhöhungen oder staatlichen Sparpaketen.

Zugenommen – und zwar um satte zehn Prozentpunkte im Jahresvergleich – hat die Sorge, ob anlässlich der Corona-Pandemie genügend Intensivbetten zur Verfügung stehen.

Nur wenige sind wirklich unglücklich

Pfarrhofer betont allerdings auch, dass viele Menschen die Sorgen nicht so stark an sich herankommen lassen, wie es der geäußerte Pessimismus eigentlich erwarten ließe: "Wir haben auch gefragt, ob die Leute persönlich glücklich sind. Und da hat sich in den letzten Monaten sehr wenig getan. 23 Prozent sagen, dass sie auf jeden Fall als glücklich zu bezeichnen sind – und 59 Prozent sagen, dass das eher schon der Fall ist. Das sind genau dieselben Zahlen wie vor einem Jahr und die sind wiederum nur unwesentlich anders als beim Jahreswechsel 2019/20. Und es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sich 14 Prozent als eher unglücklich bezeichnen und vier Prozent total unglücklich sind. "

Eine genaue Analyse der Daten ergibt allerdings, dass Glücksgefühl und Unglücklichsein ungleich verteilt sind: In der jüngsten Altersgruppe gibt es besonders viele Glücksbekundungen, in der mittleren Altersgruppe finden sich besonders viele Unglückliche. Und die Unglücklichen neigen in einem hohen Maße dazu, FPÖ zu wählen.

Klarer Verlierer ÖVP

Was zur generellen Einschätzung der Politik führt. Market fragte, welche der Parlamentsparteien heute besser und welche schlechter dastünden als bei der Nationalratswahl. Klarer Verlierer ist die ÖVP – 83 Prozent der Befragten (darunter sogar 71 Prozent der ÖVP-Wähler) erklären, dass sie jetzt schlechter dastünde; nur acht Prozent vermuten eine Verbesserung. Deutlich, wenn auch nicht ganz so klar ist auch die Aussage, dass die SPÖ nun besser dastünde als bei der Wahl 2019: Das sagen immerhin 48 Prozent, darunter praktisch die gesamte SPÖ-Wählerschaft. 36 Prozent sagen, dass die SPÖ schlechter dastünde. Vor einem Jahr noch war das Verhältnis umgekehrt.

Es sind vor allem ÖVP- und FPÖ-Anhänger, die einen Aufstieg der SPÖ nicht wahrhaben wollen. Bei der Einschätzung der FPÖ ist das andersherum: Da sagen 74 Prozent, die FPÖ stehe schlechter da – denn da wollen fast nur die eigenen Wähler und jene der MFG eine Stärkung erkennen.

DER STANDARD ließ schließlich auch errechnen, wie eine Nationalratswahl derzeit ausgehen würde – immerhin glaubt die Hälfte der Befragten, dass es 2022 zu einer Neuwahl kommen wird.

Dabei zeigt sich, dass es gegenüber Anfang Dezember kaum Änderungen gibt:

  • Die SPÖ liegt sehr stabil bei 26 Prozent – und ebenfalls unverändert würde Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner von 16 Prozent gewählt, wenn man den Bundeskanzler direkt wählen könnte.
  • Die ÖVP käme bei Neuwahlen auf 24 Prozent, auch da hat sich nichts gegenüber der letzten Umfragewelle verändert. Man muss aber stets bedenken, dass solche Hochrechnungen kein exaktes Prognosetool sind, insbesondere weil vor einer Wahl ja ein Wahlkampf stattfindet, was zu deutlichen Verschiebungen führen kann. Was bei der ÖVP auffällt: Innerhalb weniger Wochen ist es Bundeskanzler Karl Nehammer gelungen, eine Art Kanzlerbonus aufzubauen – in der theoretischen Kanzlerfrage kommt er auf 27 Prozent, anfang Dezember waren es erst 21 Prozent.
  • FPÖ-Chef Herbert Kickl ist gegenüber der vorigen Umfragewelle leicht zurückgefallen. acht Prozent würden ihn direkt wählen. Hochgeschätzt käme die FPÖ auf 21 Prozent
  • Weitgehend unverändert gegenüber früheren Umfragewellen liegen die Grünen (zwölf Prozent) und Vizekanzler Werner Kogler (acht Prozent)
  • Beate Meinl-Reisinger punktet als Kanzlerkandidatin (neun Prozent), ihre Neos kämen hochgerechnet auf elf Prozent.
  • Für die durch die Corona-Kritik groß gewordene und in den oberösterreichischen Landtag eingezogene Liste MFG ist mit vier Prozent ein Nationalratseinzug in Reichweite. Weitere Parteien könnten allenfalls auf insgesamt zwei Prozent hoffen.

Alle Parteien schlecht gerüstet

Noch etwas lässt sich für die Parteien aus der Umfrage herauslesen: Weder den Regierungs- noch den Oppositionsparteien wird zugetraut, für die Herausforderungen des Jahres 2022 gut vorbereitet zu sein. Und das, obwohl sich neun von zehn Befragten besorgt zeigen, ob die Regierung für das neue Jahr die richtigen Maßnahmen für die Zukunft Österreichs trifft. (Conrad Seidl, 3.1. 2022)