Herbert Kickl gibt Gesundheitstipps.

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Herbert Kickl ist bekannt dafür, die Grenzen des Sagbaren auszuloten – und mitunter zu überschreiten. Nun brachte dem FPÖ-Chef ein Interview eine Anzeige wegen Wiederbetätigung ein. Nicht nur das: Auch die Diskussion rund um zweifelhafte Gesundheitstipps nimmt erneut Fahrt auf.

Doch erst zur Anzeige. Diese wurde von der Jüdischen Hochschülerschaft eingebracht. Grund dafür: Er habe die Testpflicht an Schulen mit der systematischen Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung und späteren Ermordung jüdischer Kinder durch die Nazis verglichen und die NS-Verbrechen damit relativiert.

Anklage unwahrscheinlich

Diese Aussage sei nicht nur "moralisch verwerflich, sondern auch strafrechtlich relevant", argumentierte die Jüdische Hochschülerschaft. Alois Birklbauer, Leiter des Strafrechtsinstituts der Johannes Kepler Universität Linz, geht allerdings im Gespräch mit dem STANDARD nicht davon aus, dass die Sachverhaltsdarstellung von Erfolg gekrönt sein wird. Es sei eine "schwierige" Angelegenheit.

Laut Gesetz müsse nämlich eine "gröbliche" Verharmlosung von NS-Verbrechen durch den FPÖ-Chef nachgewiesen werden. Kickl werde aber wohl argumentieren, dass er seine Aussagen nach dem Prinzip "Wehret den Anfängen" getroffen habe, glaubt Birklbauer. Der Jurist sieht "keine Möglichkeit", wie der besagte "ZiB 2"-Auftritt unter diesem Straftatbestand subsumiert werden könnte. Auch der Rechtsanwalt Andreas Schweitzer geht davon aus, dass das – wenn überhaupt – nur mit "viel Fantasie" möglich wäre.

Beide Juristen verweisen auf einen Fall aus dem Jahr 2016. Damals leugnete ein oberösterreichischer Rechtsanwalt in seinem Schlussplädoyer, dass es Gaskammern in Mauthausen gab. Die Staatsanwaltschaft Wels leitete Ermittlungen ein und wollte Anklage nach dem Verbotsgesetz erheben. Der Weisungsrat im Justizministerium stoppe das, er befand zwar die Aussage laut "Kurier" für "nicht akzeptabel". Aber er habe den Holocaust nicht an sich geleugnet, weshalb keine gröbliche Verharmlosung vorlag. Anhand dieses Falls sei zu erkennen, wie weit sich dieser Straftatbestand spannen lasse, erklärt Birklbauer.

Abseits des Rechtlichen schwelt noch die politische Debatte. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) schrieb etwa kürzlich in einer Aussendung zu Kickls TV-Auftritt: "Meinungsfreiheit ist ein wichtiges Gut in unserer Demokratie, aber bei jeder Form des Antisemitismus ist eine klare Grenze zu ziehen. Solche Aussagen, wie jene des FPÖ-Klubobmanns, überschreiten diese Grenze klar." Das sei "zynisch, verharmlosend und ein Schlag ins Gesicht für die wenigen heute noch lebenden Opfer des Nationalsozialismus und deren Nachfahren".

Wurmmittel-Empfehlungen

Doch auch ein anderes Lieblingsthema des FPÖ-Chefs wird zunehmend mit Hinblick auf rechtliche Konsequenzen betrachtet: seine Empfehlungen, das Wurmmittel Ivermectin zur Corona-Behandlung einzusetzen. Jenes Mittel ist in geringeren Dosen zur Wurmbehandlung bei Tieren und zur Krätzebehandlung bei Menschen im Einsatz. In hohen Dosen ist es giftig, selbst der Hersteller warnt davor, es zur Corona-Bekämpfung einzusetzen. Kickl fordert dennoch, dass der ORF doch mehr Ärzte einladen solle, die es bereits erfolgreich gegen Corona eingesetzt hatten.

In der Vergangenheit sahen Strafrechtler keine rechtliche Handhabe gegen derart gefährliche Aussagen. Christian Schneider, Anwalt und Dozent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Uni Wien, führt nun aber ein Verwaltungsdelikt ins Treffen: die verbotene Laienwerbung. Die darf nämlich unter anderem nicht für rezeptpflichtige Präparate gemacht werden – ein solches ist Ivermectin, das für Menschen unter dem Namen Scabioral am Markt ist. Die Höchststrafe liegt bei 50.000 Euro.

Ob Kickl dabei den Namen des Präparats genannte hätte oder nur den Wirkstoff, ist laut Schneider egal, "letztendlich kommt es darauf an, wie die Aussagen aufgefasst werden". Strafbar mache sich, so Schneider, eine Person auch dann, wenn sie aus eigenem Antrieb und in völliger Unabhängigkeit vom Hersteller oder Verkäufer des Arzneimittels handelt – das gehe aus einem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2009 hervor. Die Frage sei aber, ob Kickls Aussagen die Definition von Werbung erfüllen. "Als Werbung gilt aber bereits jede Information mit dem Ziel, den Verbrauch eines Arzneimittels zu fördern", sagt Schneider.

Immunität schützt

Allerdings genießt Kickl parlamentarische Immunität, er könnte – wie übrigens auch bei der Anzeige nach dem Verbotsgesetz – nicht ohne Weiteres verfolgt werden. Zuständige Behörde wäre im Falle von Kickl und Ivermectin, der seine Aussagen darüber in Wien getätigt hat, laut Schneider die Gesundheitsbehörde des Magistrats der Stadt Wien. Diese müsste einen Auslieferungsantrag stellen, um gegen Kickl zu ermitteln. Die Gesundheitsbehörde kann auf Anfrage einen entsprechenden Fall weder dementieren noch bestätigen, verweist aber darauf, dass man ihn im Falle an die Bezirkshauptmannschaft weiterleiten würde, in deren Zuständigkeit der Wohnsitz der Person liegt.

Die Immunität greift allerdings nicht bei einem weiteren Paragrafen aus dem Arzneimittelgesetz. Eine Reihe von Organisationen kann nämlich wegen verbotener Werbung auf Unterlassung klagen. Geht die Klage durch, ist zwar keine Strafe zu zahlen, die beklagte Person dürfte in Zukunft aber keine Werbung mehr machen und müsste unter Umständen auch das Urteil veröffentlichen.

Keine Klage bekannt

Zu diesen Organisationen gehören etwa die Ärztekammer, die Apothekerkammer, die Patientenanwaltschaft und die Vereinigung pharmazeutischer Unternehmer (Pharmig). Von der Apothekerkammer heißt es dazu, man plane keine Klage, diese würde daran scheitern, dass Kickl nicht als Mitbewerber der Apotheken tätig sei. Auch bei der Patientenanwaltschaft glaubt man, dass eine Klage nicht durchgehen würde. Die Pharmig hat andere Gründe: Man wolle keine Unterlassungsklage einbringen, denn: "Eine solche könnte von Betroffenen fälschlicherweise als Beweis für die Richtigkeit ihrer Behauptungen ausgelegt werden." (Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 3.1.2022)